Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Ein sonderbares Ereigniß, das dem Herrn Allworthy bei seiner Rückkehr nach Hause zustößt. Das anständige Benehmen der Jungfer Deborah Wilkins, nebst einigen passenden Bemerkungen über Bastarde.

Ich habe dem Leser in dem vorhergehenden Kapitel erzählt, daß Herr Allworthy ein großes Vermögen besaß, das er geerbt, daß er ferner ein gutes Herz, aber keine Familie 7 hatte. Daraus werden nun Manche schließen, er habe als redlicher Mann gelebt, sei Niemandem etwas schuldig gewesen, habe nur das genommen, was ihm gehörte, ein gutes Haus gemacht, seine Nachbarn an seinem Tische herzlich willkommen geheißen, den Armen reichlich gegeben, d. h. denen, welche lieber betteln, als arbeiten, sei als unermeßlich reicher Mann gestorben und habe ein Hospital bauen lassen.

Es ist wahr, Manches davon that er; hätte er aber nicht mehr gethan, so würde ich es ihm überlassen haben, seine Verdienste selbst auf einem Steine über dem Eingange seines Hospitals der Welt zu verkündigen. Weit außerordentlichere Dinge sind der Gegenstand dieser Geschichte, ich würde sonst meine Zeit auf unverzeihliche Weise durch das Schreiben eines so dicken Buches verschwenden, und Sie, mein kluger Freund, könnten mit eben dem Nutzen und Vergnügen einige Seiten von dem lesen, was gewisse närrische Schriftsteller spaßhafter Weise »die Geschichte Englands« genannt haben.

Herr Allworthy hatte sich ein ganzes Vierteljahr lang eines besondern Geschäftes wegen, das ich weiter nicht kenne, in London aufgehalten; es muß aber wohl von Wichtigkeit gewesen sein, weil es ihn so lange von der Heimath fern hielt, die er seit vielen Jahren keinen Monat lang verlassen hatte. Spät am Abende kam er in sein Haus zurück und nach einem kurzen Abendessen in Gesellschaft seiner Schwester begab er sich sehr ermüdet in sein Zimmer. Nachdem er hier einige Minuten auf seinen Knien gelegen hatte, eine Gewohnheit, von welcher er aus keiner Veranlassung jemals abwich, wollte er eben in sein Bett steigen, als er bei dem Aufdecken desselben zu seiner großen Verwunderung ein Kind, das in grobe Linnen geschlagen war, darin in süßem und tiefem Schlafe liegen sah. Eine Zeit lang stand er bei diesem Anblick unbeweglich vor Staunen da, bald aber, da 8 seine Gutmüthigkeit stets schnell die Oberhand gewann, fühlte er Mitleid mit dem kleinen armen Dinge vor ihm. Er zog die Klingel und befahl einer ältlichen Magd, sogleich aufzustehen und zu ihm zu kommen. Bis dahin betrachtete er so eifrig die Schönheit der Unschuld, die in jenen lebendigen Farben erschien, in welchen sich die Kindheit und der Schlafzimmer zeigt, daß es ihm nicht einfiel, er sei im Hemd, als die alte Magd hereintrat. Sie hatte indeß ihrem Herrn hinreichend Zeit zum Bekleiden gelassen, weil sie, aus Ehrfurcht vor ihm und im Gefühl der Schicklichkeit, viele Minuten mit der Anordnung ihres Haares vor dem Spiegel verbracht, trotz der Eile, mit welcher sie von dem Diener beschieden worden war, und obgleich ihr Herr, was sie nicht wissen konnte, vielleicht im Sterben lag.

Man wird sich nicht verwundern, daß eine Person, die an sich selbst so viel auf Schicklichkeit und Anstand hielt, sich schwer verletzt fühlte, wenn eine andere im geringsten davon abwich. Sie hatte also kaum die Thüre geöffnet und ihren Herrn mit einem Lichte in der Hand im Hemde an dem Bette stehen sehen, als sie höchst entsetzt zurückprallte; sie wäre vielleicht gar in Ohnmacht gefallen, hätte er sich nicht noch schnell besonnen, daß er unangekleidet war und ihrem Entsetzen ein Ende gemacht, indem er sie aufforderte, so lange vor der Thüre zu bleiben, bis er sich etwas angekleidet habe und die züchtigen Augen der Jungfer Deborah Wilkins nicht mehr beleidige, die, obgleich zwei und funfzig Jahre alt, betheuerte, sie habe niemals einen Mann ohne Rock gesehen. Spötter und Witzler mögen vielleicht über den ersten Schreck der guten Jungfer lachen, die ernstern Leser aber werden, wenn sie die nächtliche Zeit, das Herbescheiden aus dem Bette und die Stellung berücksichtigen, in welcher sie ihren Herrn fand, ihr Benehmen vollkommen billigen und rühmen, wenn nicht die Bewunderung ein 9 wenig durch die Klugheit gemindert wird, welche man bei Mädchen in dem Alter der Jungfer Deborah voraussetzen muß.

Als Jungfer Deborah wieder in das Zimmer trat und von ihrem Herrn erfuhr, daß derselbe ein Kind in seinem Bette gefunden habe, erreichte ihre Bestürzung einen noch höhern Grad als vorher, und sie konnte sich nicht enthalten, mit Entsetzen im Tone der Stimme und in ihren Mienen auszurufen: »Ach, guter Herr, was soll da geschehen?« Herr Allworthy entgegnete, sie müsse diese Nacht das Kind warten und pflegen; am andern Morgen würde er für eine Amme sorgen. »Ja, Herr,« sagte sie, »und ich hoffe, Ew. Gnaden werden einen Befehl erlassen, den Nickel, seine Mutter, die in der Nähe wohnen muß, festzunehmen. Es sollte mich freuen, wenn sie in das Zuchthaus gesteckt und tüchtig ausgepeitscht würde. Solche schlechte Mädchen können nie streng genug bestraft werden. Ich wette, es ist nicht ihr erstes Kind, weil sie so unverschämt war, dasselbe Ew. Gnaden zu bringen, als wenn . . .« – »Das Kind mir zu bringen, Deborah!« antwortete Allworthy, »die Absicht hatte sie wohl nicht. Wahrscheinlich glaubte sie auf diese Weise für ihr Kind zu sorgen und ich bin wirklich erfreut, daß sie nichts Schlimmeres gethan hat.«

»Ich wüßte nicht, was noch schlimmer wäre,« sagte Deborah, »als daß solche Nickel ihre Sünde vor ehrlicher Leute Thüre legen, und wenn auch Ew. Gnaden Ihre eigne Unschuld kennen, so ist doch die Welt böse und gar mancher redliche Mann hat für den Vater von Kindern gelten müssen, die er nicht erzeugte. Nehmen sich Ew. Gnaden des Kindes an, so werden die Leute noch bereitwilliger glauben, was sie wollen, und warum wollen denn auch Ew. Gnaden für das Kind sorgen, das ja das Kirchspiel erhalten muß? Meinetwegen noch, wenn es eines 10 ehrlichen Mannes Kind wäre; solche in Unzucht erzeugte Geschöpfe aber rühre ich nicht gern an und kann sie nicht für meine Mitmenschen halten. Pfui! wie es stinkt! Es riecht gar nicht wie ein Christenkind. Wenn ich mich unterstehen darf, einen Rath zu geben, so wäre ich dafür, wir legten es in einen Korb und ließen es vor die Thüre des Kirchenvorstehers setzen. Es ist eine schöne Nacht, blos etwas regnerig und windig, und wenn man es gut einwickelte und in einen warmen Korb legte, so ist zwei gegen eins zu wetten, daß es leben würde, bis es früh gefunden wird. Sollte es aber auch sterben, so haben wir doch unsere Schuldigkeit gethan, da wir für sein Unterkommen sorgten, und es ist vielleicht besser für solche Geschöpfe, sie sterben unschuldig, als daß sie aufwachsen und ihren Müttern nachahmen, denn etwas Besseres kann man von ihnen nicht erwarten.«

Es waren einige Stellen in dieser Rede, welche vielleicht den Herrn Allworthy beleidigt hätten, wenn er aufmerksamer darauf gewesen wäre; aber er hatte eben einen Finger in das Händchen des Kindes gebracht, das durch leisen Druck ihn um Beistand zu bitten schien und sicherlich die Beredtsamkeit der Jungfer Deborah zu Schanden gemacht hätte, wäre sie auch noch größer gewesen, als sie wirklich war. Er befahl der Jungfer Deborah, das Kind ohne Umstände mit in ihr Bett zu nehmen und eine Magd zu rufen, die einen Brei und andere Dinge für das Kind bereit mache. Er befahl ferner, gleich früh am Morgen für reine Wäsche für dasselbe zu sorgen und es ihm zu bringen, sobald er auf sei.

Jungfer Wilkins hatte so viel Einsehen und so große Achtung vor ihrem Herrn, bei dem sie eine vortreffliche Stelle hatte, daß ihre Bedenken vor seinen bündigen Befehlen sogleich schwanden. Sie nahm das Kind auf den Arm, ohne Widerwillen vor der unehelichen Geburt desselben zu 11 verrathen, meinte, es sei ein liebes kleines Ding und ging mit ihm in ihre Schlafkammer.

Allworthy dagegen versank in den süßen Schlummer, den ein Herz genießt, das etwas Gutes gethan hat und mit sich zufrieden ist, und der wohl süßer ist, als jener, welcher durch irgend einen andern Genuß herbeigeführt wird.


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