Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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39 Elftes Kapitel.

Enthält einige Regeln über das Verlieben und Beispiele davon; handelt auch von der Schönheit und anderen Veranlassungen zum Heirathen.

Kluge Männer oder Frauen, ich weiß nicht mehr welche, haben die Bemerkung gemacht, alle Menschen müßten sich wenigstens einmal im Leben verlieben. Es ist, so weit ich mich erinnere, keine besondere Zeit dafür angegeben worden; das Alter aber, welches Brigitte erreicht hatte, scheint mir dazu eben sowohl geeignet zu sein als irgend ein anderes. Oft tritt zwar das Verlieben früher ein; geschieht es aber nicht, so erscheint es fast immer, wie ich bemerkt habe, in diesen Jahren. Indessen ist die Liebe zu dieser Zeit ernster und ruhiger als die, welche sich bisweilen in jüngern Jahren zeigt. Die Liebe junger Mädchen ist unsicher, launenhaft und so thöricht, daß man nicht immer ermitteln kann, was das Mädchen eigentlich will, ja es läßt sich bezweifeln, ob sie es immer selbst weiß.

Bei Frauenzimmern, die den Vierzigen nahe stehen, kann man nie in eine solche Verlegenheit kommen; denn da solche ernste und erfahrene Personen recht wohl wissen, was sie wollen, so wird es auch dem Manne, der nur einigen Scharfblick besitzt, immer leicht, dies mit der größten Bestimmtheit zu errathen.

Miß Brigitte ist ein Beispiel für alle diese Bemerkungen und Beobachtungen. Sie war nicht oft in der Gesellschaft des Capitains gewesen, als jene Leidenschaft sie überfiel. Sie ging nicht schmachtend und seufzend in dem Hause umher, wie ein thörichtes junges Mädchen, das nicht weiß, was ihm fehlt; sie fühlte, sie kannte die wonnige Empfindung, erfreute sich an ihr, fürchtete sich nicht vor derselben und 40 schämte sich ihrer nicht, da sie die Ueberzeugung hatte, daß sie nicht blos unschuldig, sondern sogar lobenswerth sei.

Es ist, wenn man die Wahrheit sagen soll, in allen Stücken ein gewaltiger Unterschied zwischen der verständigen Liebe, welche Frauen in diesem Alter für die Männer fühlen, und dem eiteln und kindischen Gefallen eines Mädchens an einem Knaben, das oft blos das Aeußere betrifft und Dinge von geringem Werthe und ohne Dauer, wie kirschrothe Wangen, kleine lilienweiße Hände, kohlschwarze Augen, wallende Locken, Flaum am Kinne, ja bisweilen Reize, die noch werthloser sind als diese, und noch weniger das Eigenthum der Person, wie z. B. äußerer Putz, welchen die Männer dem Schneider u. s. w. verdanken, nicht aber der Natur. Einer solchen Liebe mag ein Mädchen sich wohl schämen, wie es auch meist der Fall ist, sich selbst oder Andern zu gestehen.

Die Liebe Brigittens war anderer Art. Der Capitain hatte in seiner Kleidung nichts Stutzerhaftes, auch verdankte er der Natur sehr wenig. Seine Kleidung und seine Person waren von der Art, daß sie, wäre er in einer vornehmen Gesellschaft erschienen, von allen feinen Damen verachtet, verspottet und verlacht worden sein würden. Die erstere war zwar anständig, aber einfach, grob, altmodisch und schlecht gemacht. Die letztere haben wir schon oben beschrieben. Die Haut seiner Wangen hatte so wenig von der Farbe der Kirschen, daß man eigentlich die natürliche Farbe derselben gar nicht ermitteln konnte, weil sie von einem schwarzen Barte, der bis an die Augen hinauf ging, völlig überwachsen waren. Sein Wuchs und seine Glieder waren zwar völlig proportionirt, aber so groß, daß sie eher die Kraft eines Bauern als eines andern Mannes verriethen. Seine Schultern waren unmäßig breit und die Waden an seinen Beinen umfänglicher als die eines holländischen Bürgermeisters. Kurz, es fehlte seiner Person ganz an der 41 Eleganz und der Schönheit, welche gerade das Gegentheil von plumper Stärke ist.

Obgleich nun Miß Brigitte eine Dame vom feinsten Geschmacke war, so fand sie doch in der Unterhaltung des Capitains so viel Anziehendes, daß sie über die Mängel seiner Persönlichkeit gänzlich hinwegsah. Sie meinte, und sie hatte dabei vielleicht vollkommen Recht, sie würde mit dem Capitain angenehmere Augenblicke verleben als mit einem viel schönern Manne und, wenn er auch ihren Augen nicht gerade wohlgefalle, sich dafür weit dauerndere Freuden verschaffen.

Sobald der Capitain die Liebe Brigittens bemerkte, und in solchen Dingen hatte er ein sehr scharfes Auge, so entgegnete er sie getreulich. Die Dame zeichnete sich eben so wenig durch Schönheit aus als ihr Liebhaber. Ich würde es versuchen, sie zu schildern, aber ihr Bildniß ist bereits von einem geschicktern Meister entworfen worden, von Hogarth, dem sie vor vielen Jahren saß und der sie in seinem »Wintermorgen« darstellte, für den sie auch ein ganz vortreffliches Sinnbild war. Man kann sie auf diesem Bilde nach der Covent-Garden-Kirche gehen sehen, begleitet von einem halb verhungerten Diener, der ihr das Gebetbuch nachträgt.

Auch der Capitain zog sehr weise die soliden Genüsse, die er mit dieser Dame erwartete, den vergänglichen persönlichen Reizen vor. Er gehörte zu den verständigen Männern, welche die Schönheit an dem andern Geschlechte für eine völlig werthlose und überflüssige Eigenschaft halten, oder deutlicher zu reden, die lieber alle Annehmlichkeiten des Lebens mit einem häßlichen Weibe, als eine schöne Frau ohne diese Annehmlichkeiten besitzen, und da er sehr guten Appetit hatte, der leicht zu befriedigen war, so meinte er, er würde seine Rolle bei dem Hochzeitsessen recht gut spielen, wenn auch die Schönheit seiner Braut abgehe.

42 Wenn wir aufrichtig gegen den Leser sein sollen, so müssen wir gestehen, daß der Capitain seit seiner Ankunft, wenigstens von dem Augenblicke an, als ihm sein Bruder die Partie vorgeschlagen und lange vorher, ehe er irgend ein schmeichelhaftes Symptom an Miß Brigitte entdeckt hatte, sehr bedeutend verliebt gewesen war, d. h. in Allworthy's Haus und Garten, in die Ländereien und Pachtgelder, die der Capitain sämmtlich so leidenschaftlich liebte, daß er höchst wahrscheinlich die Hexe von Endor geheirathet haben würde, wäre er durch dieselbe in Besitz jener Gegenstände gekommen.

Da nun Herr Allworthy gegen den Doctor sich bestimmt darüber ausgesprochen hatte, daß er nie wieder heirathen würde, da seine Schwester seine nächste Verwandte war und der Doctor herausgebracht hatte, er habe die Absicht, ein Kind derselben zu seinem Erben einzusetzen, was übrigens das Gesetz auch ohnehin gethan haben würde, so hielten es der Doctor und dessen Bruder für eine wohlthätige Handlung, ein menschliches Wesen hervorzubringen, das so reichlich mit den wesentlichsten Mitteln zum Glücklichsein versehen werden sollte. Alle Gedanken der beiden Brüder waren deshalb darauf gerichtet, wie sie die Neigung dieser liebenswürdigen Dame erlangten.

Das Glück, eine zärtliche Mutter, die oft mehr für ihre Lieblingskinder thut, als diese wünschen und verdienen, war so thätig für den Capitain gewesen, daß, während er Pläne entwarf, seinen Zweck zu erreichen, die Dame dieselben Wünsche hegte wie er selbst und ihrerseits darüber nachdachte, wie sie den Capitain auf schickliche Art ermuthige, ohne ihm zu weit entgegen zu gehen, denn sie beobachtete streng alle Regeln der Schicklichkeit. Es wurde ihr dies indeß recht leicht, denn da der Capitain immer auf der Lauer stand, so entging ihm kein Blick, kein Geberde, kein Wort.

43 Die Freude, welche der Capitain über dies freundliche Benehmen der Miß Brigitte empfand, wurde freilich bedeutend durch seine Furcht vor dem Herrn Allworthy gedämpft, denn trotz der Uneigennützigkeit desselben meinte der Capitain doch, er würde, wenn es zum Handeln komme, dem Beispiele der übrigen Welt folgen und seine Einwilligung zu der, in Hinsicht auf Gewinn für seine Schwester so unvortheilhaften Verbindung verweigern. Welches Orakel ihm diese Meinung beibrachte, will ich dem Leser zu ermitteln überlassen; woher sie ihm aber auch gekommen sein mochte, sie versetzte ihn in bedeutende Verlegenheit, wie er wohl sein Benehmen am Besten einrichte, um seine Liebe der Dame zu erkennen zu geben, deren Bruder sie aber zu verbergen. Endlich beschloß er, jede Gelegenheit zu benutzen, wann er mit ihr allein sein würde; in Gegenwart Allworthy's dagegen zurückhaltend und so viel als möglich auf seiner Hut zu sein. Sein Bruder billigte dieses Verfahren vollkommen.

Er fand bald Gelegenheit, seine Erklärung in bestimmten Worten an seine Geliebte zu bringen, von welcher er eine Antwort in der geeigneten Form erhielt, nämlich die Antwort, die zuerst vor mehrern tausend Jahren gegeben wurde und die seitdem von der Mutter auf die Tochter sich fortgepflanzt hat. Wenn ich sie in das Lateinische übersetzen sollte, würde ich sie durch die beiden Worte wiedergeben: Nolo episcopari, einen Ausdruck, der ebenfalls seit undenklicher Zeit bei einer andern Gelegenheit gebräuchlich ist.

Der Capitain verstand, woher er auch seine Kenntniß haben mochte, die Dame vollkommen und wiederholte bald darauf sein Gesuch mit noch mehr Wärme und Ernst als zuvor, wurde aber wiederum nach der gehörigen Form abgewiesen; wie aber die Glut seines Verlangens zugenommen hatte, ließ die Dame eben so geeignet in der Heftigkeit ihrer Weigerung nach.

44 Um den Leser nicht zu ermüden, wenn wir ihm jede Scene dieser Bewerbung vorführen (die, wenn auch der Meinung Mancher nach, die angenehmste im Leben für den Betheiligten, für den Unbetheiligten aber sicherlich eben so langweilig ist), so erklären wir blos, daß der Capitain seine Laufgräben in aller Form näher rückte, die Festung in aller Form vertheidiget wurde und endlich in der geeigneten Form sich auf Gnade und Ungnade ergab.

Diese ganze Zeit über, welche sich fast durch einen ganzen Monat erstreckte, benahm sich der Capitain höchst ehrerbietig gegen seine Dame in Anwesenheit des Bruders derselben und je weiter er mit ihr unter vier Augen kam, um so zurückhaltender wurde er öffentlich. Die Dame ihrer Seits hatte sich ihres Liebhabers kaum versichert, so benahm sie sich gegen ihn in Gesellschaft mit der größten Gleichgültigkeit, so daß Herr Allworthy die Wissenschaft des Teufels, oder vielleicht eine noch schlimmere Eigenschaft desselben hätte besitzen müssen, wenn er im geringsten geahnt, was vorging.


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