Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Zweites Kapitel.

Eine kurze Andeutung von dem, was wir in dem Erhabenen vermögen und eine Beschreibung von Sophie Western.

Jeder lautere Athem schweige. Möge der heidnische Beherrscher der Winde die Glieder des tosenden Boreas in eiserne Bande legen und dem Pfeifen des Eurus Ruhe gebieten. Du aber, süßer Zephyr, erhebe Dich von Deinem duftenden Lager nach dem westlichen Himmel und führe jenen köstlichen Hauch herbei, dessen Reiz die liebliche Flora aus ihrem Gemache lockt, wenn am ersten Juni, an ihrem Geburtstage, das blühende Mädchen in losem Gewande leicht über die grünende Wiese hüpft, wo jede Blume sich emporrichtet, um ihr zu huldigen, bis die ganze Fläche geschmückt ist und Farben mit süßen Düften wetteifern, sie zu erfreuen.

So reizend mag sie nun erscheinen, und ihr gefiederten Sänger der Natur, deren süßeste Töne selbst Händel nicht zu übertreffen vermag, stimmt euere melodischen Kehlen, um ihr Erscheinen zu feiern. Aus Liebe fließen euere Töne und Liebe wecken sie. Erweckt also dieses wonnige Gefühl in jedes Mannes Brust, denn die liebliche Sophie erscheint, geschmückt mit allen Reizen, in welche die Natur sie zu 141 kleiden vermag, in Schönheit, Tugend, Unschuld, Bescheidenheit und Zärtlichkeit. Sanftmut atmet von ihren rosigen Lippen und aus ihren glänzenden Augen spricht die Reinheit.

Leser, vielleicht hast Du die Statue der mediceischen Venus gesehen, oder eine Galerie von Schönheiten; sahest Du sie, ohne zu wissen, was Schönheit ist, so hast Du keine Augen, fühltest Du ihre Macht nicht, so besitzest Du kein Herz. Aber Du magst alles dies gesehen haben, ohne daß Du Dir eine richtige Vorstellung von Sophien machen kannst, denn sie glich nichts anderem und mir werden versuchen müssen, eine Beschreibung von ihr zu geben, obgleich unsere Fähigkeiten dieser Aufgabe schwerlich gewachsen sind.

Sophie, die einzige Tochter des Herrn Western, war von mittlerer Größe, ja man hätte sie wohl groß nennen können. Ihr Körper war nicht blos proportionirt, sondern äußerst zart. Ihr schwarzes reiches Haar reichte bis zur Mitte ihres Körpers hinunter, bevor sie es der neuen Mode wegen abschnitt, und es war jetzt so anmuthig an ihrem Nacken gelockt, daß wenige glauben mochten, es sei ihr eigenes. Wenn der Neid irgend einen Theil des Gesichtes ausfindig machen konnte, der weniger Lob verdiente, als das übrige, so möchte es vielleicht die Stirn sein, die etwas höher hätte sein können. Ihre Brauen waren voll, glatt und bildeten einen Bogen, wie ihn die Kunst nicht nachzuahmen vermag. Ihre schwarzen Augen besaßen einen Glanz, der durch alle Sanftmuth, die darin lag, nicht zu verlöschen war. Ihre Nase war streng regelmäßig und ihr Mund, in welchem zwei Reihen weißer Zähne standen, entsprach der Schilderung, welche Suckling einmal in den Worten aussprach: »ihre Lippen waren roth, die obere in Vergleich zur untern dünn, denn eine Biene hatte sie eben 142 gestochen.« Ihre Wangen hatten eine ovale Form und auf der rechten befand sich ein Grübchen, das bei dem geringsten Lächeln zum Vorschein kam. Ihr Kinn trug gewiß auch seinen Theil zu der Schönheit des Gesichtes bei, aber es ließ sich schwerlich sagen, ob es breit oder schmal war, wenn es gleich wohl eher breit genannt werden konnte. Die Farbe des Gesichtes hatte mehr von der Lilie, als von der Rose, wenn aber Bewegung oder züchtiges Erröthen dieselbe höher färbte, kam ihr sicher keine künstliche Farbe an Glanz und Schönheit bei. Ihr Hals war lang und schön geformt und darin, könnte ich mit vollem Rechte sagen, wenn ich nicht fürchtete, ihrer Bescheidenheit zu nahe zu treten, übertraf sie die berühmte Venus von Medici. Er war so weiß, daß weder Lilien, noch Elfenbein, noch Alabaster sich damit vergleichen ließen. Man konnte wohl sagen, der feinste Battist verhüllte ihren Busen aus Neid, weil derselbe um vieles weißer war. Er war wirklich »nitor splendens Pario marmore purius,« ein reinerer Glanz als der des kostbarsten parischen Marmors. Das war das Aeußere Sophiens und dieser schöne Körper barg eine nicht minder schöne Seele, die dem erstern selbst noch größere Reize gab, denn wenn sie lächelte, verbreitete die Sanftmuth ihres Characters die Glorie über ihr Gesicht, welche keine Regelmäßigkeit der Züge zu geben vermag. Da jedoch die ganze Trefflichkeit des Gemüthes sich in der nähern Bekanntschaft ergeben wird, in die wir unsere Leser mit diesem reizenden jungen Mädchen bringen wollen, so brauchen wir sie hier nicht zu schildern, ja es wäre dies eine Beleidigung des Verstandes des Lesers und möchte ihm auch das Vergnügen verkürzen, mit dem er sich selbst ein Urtheil über ihren Character bilden wird.

Sagen muß ich jedoch, daß, welche Gaben des Geistes und des Herzens sie auch von der Natur empfangen, die 143 Kunst dieselben auch noch ausgebildet und veredelt hatte; denn sie war unter der Aufsicht einer Taute erzogen worden, einer sehr verständigen, mit der Welt vollkommen bekannten Frau, die in ihrer Jugend am Hofe gelebt, von dem sie sich vor einigen Jahren auf das Land zurückgezogen hatte. Durch den Umgang mit derselben und durch ihre guten Lehren war Sophie vollkommen gebildet worden, wenn es ihr auch vielleicht noch etwas an Leichtigkeit und Ungezwungenheit in dem Benehmen fehlte, die sich nur durch Uebung und durch das Leben in sogenannten feinen Cirkeln erlangen lassen. Sie werden indeß, wenn man die Wahrheit gestehen soll, oft zu theuer erkauft, und ob sie gleich so unaussprechliche Reize haben, daß die Franzosen wahrscheinlich unter andern Eigenschaften dies meinen, wenn sie sagen, sie wüßten nicht, was es sei, so wird ihr Mangel doch hinreichend durch Unschuld ersetzt, wie ein gesunder Sinn und natürliche Artigkeit sie nie bedarf.


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