Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Zehntes Kapitel.

Der Pfarrer Supple erzählt eine Geschichte. Der Scharfsinn des Squire Western. Seine große Liebe zu seiner Tochter und wie diese dieselbe erwiedert.

Am nächsten Morgen jagte Tom Jones mit dem Herrn Western, der ihn nach der Zurückkunft einlud, bei ihm zu Tische zu bleiben.

Die liebenswürdige Sophie war diesen Tag noch heiterer und witziger als gewöhnlich. Sie hatte ihre Batterien offenbar gegen unsern Helden gerichtet, ob sie gleich, wie ich glaube, ihre Absicht selbst nicht kannte. Hatte sie aber den Wunsch, ihn zu bezaubern, so gelang ihr es vollkommen.

Supple, der Pfarrer in dem Dorfe Allworthy's, befand sich in der Gesellschaft. Er war ein gutmüthiger würdiger Mann, zeichnete sich aber bei Tische hauptsächlich durch seine Schweigsamkeit aus, obgleich sein Mund keineswegs verschlossen blieb. Er besaß mit einem Worte den trefflichsten Appetit von der Welt. Kaum war das Tischtuch weggenommen, so pflegte er sein Schweigen wieder gut zu machen, denn seine Gespräche waren oft unterhaltend und nie verletzend.

Gleich bei seiner Ankunft, nämlich kurz vor dem Erscheinen des Roastbeef, hatte er angedeutet, daß er Neuigkeiten zu berichten habe; er wollte auch zu erzählen anfangen, daß er eben von Herrn Allworthy komme; der Anblick des Roastbeef machte ihn aber sogleich stumm. Er konnte nur 177 noch das Tischgebet sprechen und erklärte, er müsse vor allem dem herrlichen Braten die Ehre anthun.

Nach Beendigung der Mahlzeit erinnerte ihn Sophie an seine Neuigkeiten und er begann: ich glaube, Sie haben gestern in der Kirche ein junges Mädchen bemerkt, die eines Ihrer fremdartigen Kleider trug, denn ich erinnere mich, Sie in einem solchen gesehen zu haben. Auf dem Lande sind indeß solche Anzüge

rara avis in terris, nigroque simillima cygno,

d. h. »ein seltener Vogel auf Erden, gleich wie ein schwarzer Schwan.« Die Stelle findet sich im Juvenal. Doch ich komme auf meine Erzählung zurück. Ich sagte eben, solche Anzüge wären bei uns selten; man hielt sie wohl für noch seltener an der Person, die sie trug, und die die Tochter des schwarzen Georg sein soll, Ihres Jägers, der in seiner Armuth wohl gelernt haben sollte, seine Mädchen nicht so bunt und auffallend zu kleiden. Sie brachte die Anwesenden so in Aufruhr, daß der Gottesdienst unterbrochen worden sein würde, hätte nicht Allworthy die Ruhe wieder hergestellt. Nachdem aber das Gebet vorüber war und ich mich entfernt hatte, gab es ein Handgemenge auf dem Kirchhofe, wobei unter andern der Kopf eines umherziehenden Geigers übel zugerichtet worden ist. Diesen Morgen meldete sich der Geiger bei dem Squire Allworthy und das Mädchen wurde vor denselben beschieden. Der Herr Allworthy hätte die Sache gern beigelegt, er bemerkte aber, daß das Mädchen (ich bitte das Fräulein um Entschuldigung), bald einen Bastard zur Welt bringen würde. Der Squire fragte sie, wer der Vater ihres Kindes sei und sie weigerte sich hartnäckig, darauf Antwort zu geben, so daß er sie eben einstecken lassen wollte, als ich fortging.

»Und das ist alles?« fragte Western; »ich dachte, Sie hätten uns eine politische Neuigkeit zu erzählen.«

178 – »Ich fürchte freilich, daß es eine sehr gewöhnliche Sache ist,« entgegnete der Pfarrer; »meinte aber, die ganze Geschichte verdiene doch erwähnt zu werden. Die politischen Neuigkeiten sind Ew. Gnaden besser bekannt als mir. Meine Kenntnisse gehen nicht über mein Kirchspiel hinaus.«

»Nun ja, ich glaube, ich verstehe etwas von den Dingen, wie Sie sagen. Aber, Tommy, kommen Sie und trinken Sie; die Flasche steht ja vor Ihnen.«

Tom entschuldigte sich und sagte, er habe besondere Geschäfte vor. Dann stand er auf, entzog sich den Armen des Squire, der ihn zurückhalten wollte und ging ohne weiteres fort.

Der Squire schickte ihm einen gutgemeinten Fluch nach, dann wendete er sich an den Pfarrer und sagte: »ich merke es, ich merke es. Tom ist gewiß der Vater des Kindes. Erinnern Sie sich, Herr Pfarrer, wie dringend er mir den Vater des Mädchens empfahl? Er ist klug! Tom ist der Vater des Kindes, es ist richtig.«

»Das sollte mir Leid thun,« entgegnete der Pfarrer.

– »Warum Leid thun?« fragte der Squire;»was ist denn das Großes? Haben Sie keinen Bastard in die Welt gesetzt? Nicht? Dann hast Du viel Glück gehabt und ich wette, daß Du deswegen des Guten viel gethan hast.«

»Ew. Gnaden belieben zu scherzen,« antwortete der Pfarrer; »ich beziehe mich nicht blos auf das Sündhafte einer solchen Handlung, sondern fürchte auch, sie werde ihm bei Allworthy sehr zum Nachtheile gereichen. Ich gestehe, daß ich von dem jungen Manne bis jetzt nie etwas Uebeles gesehen und gehört habe, ob er gleich etwas wild sein mag. Ich wünsche freilich, er möchte in seinen Antworten in der Kirche etwas regelmäßiger sein, indeß er scheint

Ingenui vultus puer ingenuique pudoris

179 »Das ist ein lateinischer Vers, mein Fräulein, und würde in der Uebersetzung etwa lauten: ein junger Mensch von offenem Gesichte und unverstellter Züchtigkeit. Es würde mir also Leid thun, wenn er sich in der Achtung des Herrn Allworthy schaden sollte.«

»Bah!« entgegnete der Squire; »bei Allworthy schaden! Liebt nicht Allworthy selbst ein Mädchen? Weiß nicht die ganze Gegend, wessen Sohn Tom ist? Sie müssen in der Weise mit einem andern reden. Ich kenne Allworthy von der hohen Schule her.«

– »Ich glaubte,« warf der Pfarrer ein, »er sei nie auf einer hohen Schule gewesen.«

»Doch, doch,« entgegnete der Squire, »und wir haben manches Mädchen mit einander gehabt. Er läuft den Mädchen ärger nach als irgend Einer in der Runde von fünf Meilen. Nein, nein, es wird Tom bei ihm nicht schaden, glauben Sie mir, auch bei sonst Niemanden. Fragen Sie Sophien da – hast Du eine schlechte Meinung, Mädchen, von einem jungen Manne, der Vater eines Bastards wird? Nein, nein, gerade ein solcher gefällt den Weibern um so mehr.«

Das war eine grausame Frage für die arme Sophie. Sie hatte gesehen, wie Tom die Farbe wechselte bei des Pfarrers Erzählung und daraus, so wie aus seinem schnellen Fortgehen schloß sie, die Vermuthung ihres Vaters möge nicht ohne Grund sein. Ihr Herz entdeckte ihr jetzt mir einem Male das große Geheimniß, das sich ihr bis jetzt nur allmälig enthüllt hatte und sie fand, daß sie bei der Sache sehr betheiliget sei. Bei dieser ihrer Lage brachte die Frage ihres Vaters einige Symptome hervor, welche ein argwöhnisches Herz hätten beunruhigen können; diesen Fehler besaß aber, wie wir gestehen müssen, ihr Vater nicht. Als sie also aufstand und ihm sagte, ein Wink von ihm reiche 180 stets hin, sie zu entfernen, ließ er sie fortgehen und bemerkte darauf sehr ernst, es sei besser, wenn ein Mädchen zu züchtig, als wenn es zu rücksichtslos sei, welchem Ausspruche der Pfarrer vollkommen beipflichtete.

Es folgte nun zwischen dem Squire und dem Pfarrer ein vorzügliches politisches Gespräch nach Zeitungen und politischen Flugschriften, wobei sie vier Flaschen Wein auf das Wohl des Landes leerten. Als darauf der Squire einschlief, zündete der Pfarrer seine Pfeife an, bestieg sein Pferd und ritt heim.

Nachdem der Squire ein halbes Stündchen geschlafen hatte, berief er seine Tochter zu der Harfe, sie bat aber, er möge sie für diesen Abend entschuldigen, weil sie von heftigen Kopfschmerzen gequält würde. Er gewährte ihr Nachsicht, denn sie hatte überhaupt selten Ursache, zweimal zu bitten, da er sie so sehr liebte, daß es ihm gewöhnlich selbst das größte Vergnügen machte, ihr ein Vergnügen machen zu können. Sie war, wie er sie auch häufig nannte, sein kleiner Liebling und sie verdiente es zu sein, da sie seine Liebe auf die umfassendste Weise erwiederte. Sie setzte nie eine Pflicht gegen ihn aus den Augen und die Liebe zu ihm machte ihr dies nicht blos leicht, sondern angenehm und wenn eine ihrer Freundinnen darüber lachte, daß sie so großen Werth auf den pünktlichsten Gehorsam lege, antwortete Sophie: »Du verkennst mich, wenn Du meinst, ich rechne dies mir zum Verdienste an, denn es macht mir Vergnügen, ungerechnet daß ich nur meine Pflicht thue. Ich kann mit Recht sagen, daß mir nichts mehr Freude macht, als zu dem Glücke meines Vaters beizutragen, und ich schätze mich glücklich, daß ich dies thun kann, nicht daß ich es thue.«

An diesem Abende aber wurde es ihr unmöglich. Sie wünschte deshalb nicht blos von dem Harfenspiele entbunden 181 zu werden, sondern bat auch um die Erlaubniß, von dem Abendessen wegbleiben zu dürfen. Auch dieses Gesuch bewilligte der Squire, wenn auch mit einigem Widerstreben, denn er ließ sie selten aus den Augen, wenn er nicht mit seinen Pferden, seinen Hunden oder mir der Flasche beschäftiget war. Um nicht ganz allein zu sein, ließ er einen benachbarten Pächter einladen.


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