Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Eine Entschuldigung der Unempfänglichkeit des Jones für die Reize der liebenswürdigen Sophie, wobei wir vielleicht seinen Character in der Achtung vieler Leser um ein Bedeutendes herabsetzen.

Es giebt zwei Arten von Menschen, die, wie ich fürchte, meinen Helden wegen seines Benehmens gegen Sophien bereits einigermaßen verachten. Die erstern werden ihn darum tadeln, daß er eine Gelegenheit vernachlässigte, in Besitz des Vermögens Western's zu kommen, und die letztern sehen ihn wahrscheinlich über die Achsel an wegen seiner Unempfindlichkeit einem so schönen Mädchen gegenüber, das ja bereit schien, ihm in die Arme zu sinken, wenn er sie ihr nur öffnen wollte.

Ob ich nun gleich schwerlich im Stande sein werde, ihn von diesen beiden Beschuldigungen ganz frei zu sprechen (denn der Mangel an Klugheit läßt keine Entschuldigung zu und das, was ich gegen die letztere Beschuldigung vorbringen werde, dürfte wahrscheinlich nicht gnügen), so werde ich doch die Sache darlegen, wie sie ist und dem Leser überlassen, die Entscheidung auszusprechen.

Jones hatte etwas an sich, das, obgleich die Schriftsteller über den Namen nicht ganz einig sind, sich gewiß in mancher Menschenbrust findet und nicht eigentlich dazu dient, das Recht von Unrecht zu unterscheiden, als vielmehr zu dem Erstern hinzutreiben und von dem Letztern zurückzuhalten.

Um eine recht hohe Idee von dem zu geben, was ich meine, kann man sagen, es sitze auf seinem Throne in der Seele, wie der Lord-Canzler von England in seinem Gerichtshofe, und es leitet, regiert, lenkt, richtet, spricht frei und verurtheilt nach Verdienst und Gerechtigkeit mit einer Kenntniß, der nichts entgehen kann, mit einem 160 Scharfsinne, den nichts zu täuschen vermag, und mit einer Rechtlichkeit, die durch nichts zu bestechen ist.

Dieses Etwas kann auch die wesentlichste Schranke zwischen uns und unsern Nächsten, den Thieren, genannt werden; denn wenn es Einige in Menschengestalt giebt, die nicht unter solcher Herrschaft stehen, so möchte ich lieber sagen, sie sind von uns zu unsern Nächsten übergegangen, unter denen sie das Schicksal der Deserteure tragen und nicht in die erste Reihe werden gestellt werden.

Unser Held stand, – ich will es nicht untersuchen, ob es von Thwackum oder Square ausgebildet worden war, – stark unter der Leitung dieses Gefühles, denn ob er gleich nicht immer recht handelte, so that er doch nie das Gegentheil, ohne es tief zu empfinden und dafür zu leiden. Dieses Gefühl sagte ihm, nur der gemeinste und niederträchtigste Dieb könne die Artigkeiten und kleinen Gefälligkeiten der Gastfreundschaft dadurch vergelten, daß er das Haus bestehle, in welchem er dieselben empfange. Auch glaubte er nicht, daß die Abscheulichkeit dieser That durch die Größe des zugefügten Schadens verringert werde; im Gegentheile, wenn es Tod und Schande verdiene, eines andern Silbergeschirr zu stehlen, ließe sich, seiner Meinung nach, gar keine angemessene Strafe für den denken, welcher einem Manne sein ganzes Vermögen und die Tochter obendrein entwende.

Dieses Gefühl hielt ihn also von dem Gedanken fern, sein Glück auf diese Weise zu machen. Wäre er in Sophien sehr verliebt gewesen, so hätte er vielleicht anders gedacht; aber man erlaube mir die Bemerkung, es ist ein großer Unterschied, mit der Tochter eines Mannes aus Liebe zu entfliehen, und dasselbe aus Gewinnsucht zu thun.

Obgleich nun der junge Mann für die Reize Sophiens nicht unempfindlich war, ob ihm gleich ihre Schönheit sehr 161 wohl gefiel und er ihre andern Eigenschaften hoch achtete so hatte sie doch keinen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht. Dies müssen wir erklären, um ihn nicht der Dummheit oder wenigstens des Mangels an Geschmack beschuldigen zu lassen.

Um es mit einem Worte zu sagen, ein anderes Mädchen besaß bereits sein Herz. Der Leser wird sich gewiß wundern, daß wir diesen Umstand so lange verschwiegen haben, und nicht errathen können, wer dies Mädchen wohl sein möge, da wir bis jetzt keine erwähnt haben, die wohl eine Nebenbuhlerin Sophiens sein könnte. Im Bezug auf Madame Blifil haben wir, ob wir gleich einige Andeutungen von ihrer Vorliebe für Tom erwähnen mußten, bis jetzt nichts gesagt, woraus man schließen könnte, daß auch er eine Vorliebe für sie empfunden hätte. Ich muß leider sogar bemerken, daß junge Leute beiderlei Geschlechtes nur zu häufig undankbar für die Zuneigung sind, mit welcher sie bisweilen von ältern Personen beehrt werden.

Damit der Leser nicht länger in Ungewißheit bleibe, wollen wir ihn daran erinnern, daß wir die Familie Georg Seagrim's (des Jägers, gewöhnlich der schwarze Georg genannt), erwähnt haben, die gegenwärtig aus seiner Frau und fünf Kindern bestand.

Das zweite dieser Kinder war ein Mädchen, Molly mit Namen, die für eines der hübschesten in der ganzen Umgegend galt.

Congreve sagt, es liege in der wahren Schönheit etwas, das von gemeinen Seelen nicht bewundert werden könne; eben so wenig vermögen Lumpen und Schmuz dieses Etwas vor den Seelen zu verbergen, die nicht gemeinen Schlages sind.

Die Schönheit des Mädchens machte indeß keinen Eindruck auf Tom bis sie sechszehn Jahre zählte. Da fing Tom, der beinahe drei Jahre älter war, an, zärtliche 162 Blicke auf sie zu werfen. Diese seine Liebe besaß das Mädchen lange, bevor er sich zu dem Versuche entschließen konnte auch ihre Person zu erhalten, denn obgleich das Herz ihn gewaltig dazu trieb, so hielten ihn doch seine Grundsätze mit nicht minderer Gewalt zurück. Ein junges Mädchen zu verführen, von wie niedrigem Stande sie auch sein möge, hielt er für ein abscheuliches Verbrechen; das Wohlwollen, das er für den Vater empfand, und das Mitleid, das er für die Familie fühlte, bestärkten ihn in diesem verständigen Gedanken, so daß er sich einmal sogar vornahm, seine Neigung zu bekämpfen, und auch wirklich drei Monate lang weder in das Haus Seagrim's kam, noch dessen Tochter sah.

Obgleich nun, wie bereits erwähnt, Molly allgemein für ein sehr hübsches Mädchen galt und es auch wirklich war, so konnte ihre Schönheit doch nicht eigentlich liebenswürdig genannt werden. Das Mädchen hatte wirklich sehr wenig Weibliches an sich und ihre Schönheit würde einen Mann eben so sehr geziert haben, da, die Wahrheit zu sagen, Jugend und blühende Gesundheit einen großen Theil derselben ausmachten.

Ihr Geist war nicht weiblicher als ihr Körper. Wie der letztere groß und stark, war der erstere kühn und ungestüm. Von Züchtigkeit hatte sie so wenig, daß Jones mehr Werth auf ihre Tugend legte als sie selbst. Da Tom ihr wahrscheinlich eben so gefiel, wie sie ihm, so ging sie ihm in dem Verhältnisse entgegen, wie sie ihn zurückweichen sah, und als sie bemerkte, daß er das Haus ganz mied, fand sie Mittel, ihm in den Weg zu treten und sie benahm sich so, daß der junge Mann sehr viel oder sehr wenig von dem Helden gehabt haben müßte, wären ihre Bemühungen nutzlos gewesen.

Mit einem Worte, sie besiegte bald alle tugendhaften 163 Entschlüsse Tom's, denn ob sie gleich zuletzt jedes züchtige Widerstreben zeigte, so glaube ich doch, ihr den Triumph zuschreiben zu müssen, weil es ihre Absicht war, die auch gelang.

Molly spielte ihre Rolle so gut, daß Jones die Eroberung ausschließlich sich selbst zuschrieb und der Meinung war, das Mädchen habe nur den heftigen Angriffen seiner Leidenschaft nachgegeben. Auch schrieb er dieses ihr Nachgeben ihrer Liebe zu ihm zu. Dies ist, wie der Leser gewiß zugeben wird, eine sehr natürliche und wahrscheinliche Vermuthung, da wir seine ungewöhnlich hübsche Persönlichkeit schon mehr als einmal erwähnt haben und er auch wirklich einer der schönsten jungen Männer war.

Wie es Gemüther giebt, deren Zuneigung, wie es bei dem jungen Blifil der Fall war, sich ausschließlich auf eine einzelne Person beschränkt, welche nur die Theilnahme und Nachsicht dieser bei jeder Gelegenheit berücksichtigen und das Wohl und Wehe aller andern für ganz gleichgültig halten, insofern sie nicht zu dem Vergnügen und Vortheile dieser Person beitragen; so giebt es wiederum andere, welche selbst dem Eigennutze eine gewisse Tugend zuschreiben. Diese können keine Gefälligkeit von andern Menschen empfangen, ohne diese dafür zu lieben und für das Wohlergehen derselben auf jede Weise besorgt zu sein.

Zu dieser letztern Art gehörte unser Held. Er glaubte, er sei die Ursache gewesen, daß das Glück oder Unglück dieses armen Mädchens von ihm abhänge. Ihre Schönheit war noch der Gegenstand des Verlangens, obgleich größere Schönheit oder ein neuerer Gegenstand dies in höherm Maße gewesen sein würde; die geringe Abnahme aber, welche der Genuß hier veranlaßt hatte, wurde durch die Berücksichtigung der Liebe, die sie sichtbar für ihn empfand und des Zustandes aufgewogen, in den er sie gebracht hatte. 164 Die erstere erregte Dankbarkeit, die letztere Mitleid und beide, in Verbindung mit dem Verlangen nach ihrer Person, erzeugten in ihm eine Leidenschaft, die, ohne dem Worte große Gewalt anzuthun, wohl Liebe genannt werden konnte.

Dies also war der eigentliche Grund jener Unempfindlichkeit, die er gegen die Reize Sophiens und gegen ihr Benehmen gezeigt hatte, das man mit vollem Rechte für eine Ermuthigung seiner Bewerbung hätte ansehen können; denn wie er nicht daran denken konnte, die arme Molly zu verlassen, so war er auch nicht im Stande, ein Mädchen wie Sophien zu hintergehen. Hätte er irgend einer leidenschaftlichen Zuneigung für dieses junge Mädchen Raum gegeben, so mußte er sich nothwendig eines dieser Verbrechen schuldig machen und jedes derselben würde ihn meiner Meinung nach mit Recht dem Schicksale ausgesetzt haben, das man ihm allgemein prophezeihete, wie ich im ersten Eingange zu dieser Geschichte erwähnt habe.


 << zurück weiter >>