Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Achtes Kapitel.

Ein Kampf, den die Muse im Homerischen Style besingt und der nur dem mit den Classikern vertrauten Leser zusagen kann.

Herr Western hatte ein Gut in diesem Kirchspiele, und da sein Haus etwas weiter von dieser Kirche entfernt stand als von seiner eigenen, so wohnte er dem Gottesdienste häufiger hier bei. Auch diesmal war er mit der liebenswürdigen Sophie anwesend.

Sophie freute sich über die Schönheit des Mädchens, die sie aber der Einfalt wegen bemitleidete, indem sie sich so gekleidet hatte. Kaum war sie nach Hause zurückgekommen, als sie zu dem Jäger schickte und demselben befahl, seine Tochter zu ihr zu bringen, da sie diese in dem Hause unterbringen und vielleicht um sich selbst behalten wolle, sobald ihr Kammermädchen abgezogen sein würde.

Der arme Seagrim erschrak gewaltig darüber, da er die Veränderung an seiner Tochter recht wohl auch bemerkt hatte. Er antwortete deshalb stotternd, er fürchte, Molly werde zu ungeschickt und linkisch sein, um die Dame zu bedienen. »Das schadet nichts,« fiel Sophie ein; »sie wird es bald lernen. Mir gefällt das Mädchen und ich bin entschlossen, es mit ihr zu versuchen.«

Der Jäger kehrte zu seiner Frau zurück, durch deren klugen Rath er sich aus der Verlegenheit zu helfen gedachte; als er aber dahin kam, fand er sein Haus in einiger Verwirrung. Das Kleid hatte so großen Neid erregt, daß nach der Entfernung des Herrn Allworthy und der andern vornehmen Personen aus der Kirche, die Wuth, die bis dahin im Zaume gehalten worden war, losbrach. Anfangs äußerte sie sich in Schmähworten, Lachen, Zischen und Gebereden, bald aber griff sie zu Wurfwaffen, die bildsamer Natur waren und zwar weder das Leben noch die Glieder 167 gefährdeten, aber einem anständig gekleideten Mädchen doch gefährlich genug waren. Molly besaß zu viel Muth, um eine solche Behandlung ruhig zu ertragen. Als sie also – doch halt, da wir unsern eigenen Fähigkeiten nicht trauen, müssen wir eine höhere Macht zu unserm Beistande anrufen.

Ihr Musen also, wer Ihr auch sein möget, die Ihr gern Kämpfe und Schlachten besingt, Du namentlich, die Du weiland das Gemetzel auf den Feldern erzähltest, wo Hudibras und Trulla fochten, stehe mir bei bei dieser wichtigen Gelegenheit. Nicht Alle vermögen Alles.

Wie eine große Heerde Kühe in dem Hofe eines reichen Pächters, wenn sie, während sie gemolken werden, in einiger Entfernung ihre Kälber kläglich schreien hören, laut brüllen, so erhob der Pöbel von Somersetshire ein Geschrei von fast eben so vielen verschiedenen Tönen, als Personen oder vielmehr Leidenschaften da waren. Einige wurden durch Wuth angetrieben, andere fühlten Furcht und noch andere sannen blos auf Spaß; hauptsächlich aber stürzte der Neid, der Bruder des Satans, und dessen beständiger Begleiter, unter die Menge und schürte die Wuth der Weiber, die Molly alsbald mit Schmuz und Kehricht warfen.

Molly drehete sich um, nachdem sie versucht hatte, sich ruhig zurückzuziehen, ergriff die zerlumpte Elisabeth, die an der Front des Feindes ankam, und warf sie mit einem Schlage zu Boden. Die ganze Feindesschaar, obgleich nahe an hundert Köpfe stark, wich bei dem Anblicke des Schicksals der Führerin einige Schritte zurück hinter ein neugegrabenes Grab, denn der Gottesacker, wo am Abend ein Begräbniß stattfinden sollte, war der Kampfplatz. Molly verfolgte ihren Sieg, ergriff einen Schädel, der neben dem Grabe lag und warf ihn so gewaltig unter ihre Feinde und an den Kopf eines Schneiders, daß die beiden Schädel mit hohlem Klange aneinanderschlugen und der Schneider 168 zu Boden fiel, wo die beiden Schädel neben einander lagen, ohne daß zu ermitteln war, welcher von beiden der beste sei. Molly ergriff darauf einen Schenkelknochen, drang in die fliehenden Reihen ein, theilte freigebig Hiebe aus und warf manchen Helden und manche Heldin nieder.

Nenne, o Muse, die Namen derer, welche an diesem verderblichen Tage fielen. Zuerst fühlte Jemmy Tweedle den entsetzlichen Knochen an seinem Hinterhaupte. Ihn hatten die lieblichen Ufer des sanft sich schlängelnden Stour genährt, wo er zuerst die Kunst des Singens erlernte, mit welcher er, auf Märkten umherziehend, die Dorfnymphen und ihre Geliebten erfreute, wenn sie im Grünen den fröhlichen Tanz flochten und er fiedelnd und hüpfend dabei stand. Wie wenig nützt ihm nun seine Fiedel. Er sank auf den grünen Rasen nieder. Dann empfing der alte Echepole, der Schweineschneider, von der Heldin einen Schlag an die Stirn und fiel sogleich zu Boden. Es war ein dicker fetter Mann und die Erde erbebte von seinem Falle. Aus seiner Tasche entfiel ihm zugleich seine Tabaksdose, die Molly als gute Beute aufhob. Dann stolperte Käthe aus der Mühle unglücklicherweise über einen Grabstein, der ihren nicht festgebundenen Strumpf faßte und die Ordnung der Natur umkehrte, so daß die Beine zu oberst kamen. Lieschen Pippin und ihr Liebhaber, der junge Roger, fielen zu gleicher Zeit und aufeinander. Tom Freckle, der Sohn des Schmidts, war das nächste Opfer ihres Zornes. Wäre er in der Kirche geblieben, so würde er kein Loch in den Schädel erhalten haben. Mamsell Crow, die Tochter eines Pächters; Johann Giddish, ein Pächter; Aennchen Slouch, Esther Codling, Wilhelm Spray und Thomas Bennet, die drei Schwestern Potter, deren Vater den rothen Löwen besitzt, und mehrere andere geringere Leute lagen unter den Gräbern umher.

169 Der kräftige Arm Molly's hatte nicht alle diese getroffen, viele hatten einander auf der Flucht zu Boden gerannt.

Das Glück, das wohl fürchten mochte, seinem Character untreu geworden zu sein und zu lange sich auf dieselbe Seite geneigt zu haben, zumal es die rechte war, wendete sich jetzt plötzlich, und zwar durch die gute Frau Brown, welche Ezechiel Brown in seinen Armen zu halten pflegte und nicht er allein, sondern außerdem das halbe Kirchspiel, und die nicht minder unter der Fahne des Mars als unter jener der Venus sich auszeichnete. Die Trophäen aus beiderlei Kämpfen trug ihr Ehemann fortwährend an Kopf und Gesicht an sich; denn wenn jemals ein männlicher Kopf, durch die Hörner daran, die Liebestriumphe eines Weibes anzeigte, so war es der Ezechiel's, dessen zerkratztes Gesicht nicht minder deutlich von ihren andern Talenten sprach.

Diese Amazone konnte die Flucht ihrer Partei nicht länger ertragen. Sie blieb stehen, rief den Fliehenden laut zu und sprach: »Ihr Männer oder vielmehr Ihr Weiber von Somersetshire, schämt Ihr Euch nicht, so vor einer Einzigen zu fliehen? Wenn keine andere sich widersetzt, so werde ich und Johanna Top hier allein die Ehre des Sieges haben.« Nach diesen Worten trat sie Molly Seagrim entgegen, der sie leicht den Todtenknochen aus der Hand wand, während sie ihr zugleich das Häubchen vom Kopfe riß. Dann faßte sie mit der linken Hand Molly's Haar und schlug sie mit der rechten so kräftig in das Gesicht, daß das Blut bald aus der Nase floß. Molly war unterdeß nicht müßig. Sie riß der Frau Brown bald die Mütze ab, faßte dann deren Haar mit einer Hand und rief mit der andern einen blutigen Strom aus der Nase der Gegnerin hervor.

Als jede der Kämpfenden der Gegnerin Haare genug vom Kopfe gerissen hatte, wendete sich die Wuth gegen die Kleidungsstücke und bei diesem Angriffe zeigten sie so 170 große Heftigkeit, daß beide nach wenigen Minuten bis zur Mitte des Leibes nackt waren.

Es ist ein Glück, daß das Ziel bei Faustkämpfen bei den Frauen nicht dasselbe ist wie bei den Männern, denn wenn sie auch von ihrem Geschlechte sich etwas zu entfernen scheinen, sobald sie zum Handgemenge kommen, so habe ich doch nie bemerkt, daß sie sich so weit vergäßen, eine der andern Busen anzugreifen, wo einige Schläge den meisten derselben verderblich sein würden. Dies erklären einige, wie ich weiß, dadurch, daß sie behaupten, sie wären blutdürstiger als die Männer, weshalb sie ihren Angriff gegen die Nase richteten, als den Theil, von welchem am leichtesten Blut zu erhalten ist; dies scheint mir aber zu weit hergeholt zu sein.

Die Frau Brown war in diesem Stücke im Vortheile gegen Molly, da sie eigentlich gar keine Brüste hatte; ihr Busen (wenn man es so nennen darf), glich der Farbe wie einigen andern Eigenschaften nach einem alten Pergamentstücke, auf das man lange trommeln konnte, ohne ihr irgend großen Schaden zu thun.

Molly dagegen war, ihren unglücklichen Zustand abgerechnet, in diesen Theilen ganz anders gebildet und hätte vielleicht in der Brown dadurch die Lust geweckt, ihr einen verderblichen Schlag zu versetzen, wäre nicht der blutige Auftritt durch die glückliche Ankunft Tom Jones in diesem Augenblicke beendiget worden.

Dieser glückliche Zufall war dem Herrn Square zu verdanken, denn er war mit Blifil und Jones nach der Kirche zu Pferde gestiegen, um einen Spazierritt zu machen. Nachdem sie einige Minuten weit geritten, änderte Square seinen Sinn (nicht ohne Ursache, wie wir angeben werden, sobald wir Zeit dazu haben) und forderte die jungen Männer auf, mit ihm einen andern Weg zu 171 reiten. Diese willigten ein und so kamen sie auf den Kirchhof zurück.

Blifil, der voranritt, hielt, als er die Menge Leute und zwei Frauenzimmer im Kampfe sah, das Pferd an, um zu fragen, was es gebe. Ein Bauer antwortete, indem er sich hinter den Ohren kratzte: »ich weiß es so eigentlich nicht, was es giebt; die Brown und die Moll Seagrim haben sich gezauset.« – »Wer? wer?« rief Tom, stieg aber, ohne eine Antwort abzuwarten, sobald er seine Molly in dem traurigen Zustande erkannt hatte, rasch vom Pferde, sprang über die Mauer und eilte zu ihr. Sie erzählte ihm mit Thränen in den Augen, wie grausam sie behandelt worden sei und er gab, ohne Rücksicht auf das Geschlecht der Brown, das er in der Wuth vielleicht auch nicht erkannte, da sie wirklich außer dem Kleide nichts Weibliches hatte, derselben einen oder ein Paar Hiebe mit der Reitgerte. Dann wendete er sich an die Menge, die sammt und sonders von Molly angeklagt worden war, und theilte seine Hiebe so reichlich nach allen Seiten hin aus, daß es mir unmöglich sein würde, dieses Auspeitschen gnügend zu schildern, ich müßte denn die Muse noch einmal anrufen, was der einsichtsvolle Leser gewiß auch für zuviel halten wird.

Nachdem er das Feld von dem Feinde geräumt hatte, wie es je einer der Helden Homers oder Don Quixote oder irgend ein anderer irrender Ritter gethan haben konnte, kehrte er zur Molly zurück, die er in einem Zustande fand, dessen Beschreibung mir und dem Leser peinlich sein würde. Tom wüthete wie ein Wahnsinniger, schlug sich an die Brust, raufte sich das Haar aus, stampfte auf den Boden und schwur allen Betheiligten die gräßlichste Rache. Dann zog er den Rock aus und denselben ihr an, setzte ihr seinen Hut auf, wischte ihr so gut als möglich das Blut aus dem Gesichte und rief dem Bedienten zu, er möge so schnell als 172 möglich einen Frauensattel holen, damit er sie nach Hause bringen könnte.

Blifil machte Einwendungen gegen das Fortschicken des Reitknechtes, weil sie nur einen bei sich hätten, da aber Square den Befehl Jones' unterstützte, so mußte er nachgeben. Der Reitknecht kam bald mit dem verlangten Sattel zurück, Molly nahm ihre Lumpen so gut als möglich zusammen und wurde hinter ihn gesetzt. Auf diese Weise wurde sie in Begleitung von Square, Blifil und Jones nach Hause gebracht.

Hier verließ Jones seine Molly, nachdem er seinen Rock in Empfang genommen, ihr heimlich einen Kuß gegeben, und zugeflüstert hatte, er würde Abends wiederkommen und ritt seinen Gefährten nach.


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