Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Zehntes Kapitel.

Der junge Blifil und der junge Jones erscheinen in verschiedenem Lichte.

Der junge Blifil stand seinem Gespielen in der liebenswürdigen Eigenschaft der Theilnahme sehr nach, übertraf ihn jedoch in einer noch höhern, nämlich der Gerechtigkeitsliebe, wobei er die Vorschriften und das Beispiel Thwackum's und Square's befolgte, denn obgleich beide das Wort Theilnahme und Barmherzigkeit häufig im Munde führten, so war doch Square eigentlich der Meinung, diese Eigenschaft könne mit dem Rechte nicht bestehen. Thwackum seiner Seits war ganz für die Gerechtigkeit und überließ die Gnade und Barmherzigkeit dem Himmel. Die beiden Herren hatten freilich eine etwas verschiedene Meinung über die Gegenstände dieser erhabenen Tugend, aus welcher Thwackum 135 höchst wahrscheinlich die eine Hälfte und Square die andere Hälfte der Menschheit vernichtet haben würde.

Obgleich nun der junge Blifil im Beisein Tom's geschwiegen hatte, so konnte er doch, nachdem die Sache reiflicher erwogen, die Gedanken nicht ertragen, daß sein Oheim einem Menschen Gutes erzeige, der es nicht verdiene. Er nahm sich also vor, ihm sogleich den oben angedeuteten Vorfall mitzutheilen. Die Sache war nämlich folgende:

Der Jäger hatte ein Jahr etwa, nachdem er aus dem Dienste Allworthy's entlassen worden und noch ehe Tom das Pferdchen verkaufte, als er weder für sich noch seine Familie Brod besaß, auf seinem Wege über ein Feld des Herrn Western einen Hasen im Lager liegen sehen. Diesen Hasen hatte er barbarischer und hinterlistiger Weise auf den Kopf geschlagen, den bestehenden Landesgesetzen zum Hohne und allem Jagdgebrauche zuwider.

Der Hehler, an welchen der Hase verkauft worden, war leider einige Monate darauf mit einer Menge Wildpret auf dem Rücken ergriffen worden und mußte sich mit dem Squire dadurch auszusöhnen suchen, daß er gegen einige Wilddiebe zeugte. Er wählte als solchen den Schwarzen Georg aus, der dem Herrn Western bereits Schaden zugefügt hatte und überdies in keinem guten Rufe in der Gegend stand. Uebrigens war er das beste Opfer, das der Hehler bringen konnte, weil er ihm seitdem kein Wildpret wieder gebracht hatte; der Zeuge deckte dadurch seine bessern Kunden, denn der Squire, der sich sehr freute, eine Gelegenheit zu haben, den Schwarzen Georg zu strafen, fragte nicht weiter.

Wäre dies dem Herrn Allworthy der Wahrheit nach vorgelegt worden, so würde es dem Jäger wahrscheinlich sehr geringen Nachtheil gebracht haben. Aber kein Eifer ist verblendeter als der, welchen die Gerechtigkeitsliebe gegen 136 die Sünder einflößt. Blifil hatte die Zeit vergessen, die Sache selbst gab er verändert an und durch einen übereilten Zusatz des einzigen Buchstaben N änderte er die Sache bedeutend, denn er erzählte, Georg habe Hasen gestohlen. Diese Abweichung wäre wahrscheinlich berichtiget worden, hätte Blifil nicht darauf bestanden, daß Allworthy ihm erst versprechen müsse, davon zu schweigen, ehe er die Sache entdeckte. Auf diese Weise wurde der arme Jäger verurtheilt, ohne daß er Gelegenheit hatte, sich zu vertheidigen; denn da die Sache mit dem Erschlagen eines Hasen sicherlich wahr war, so bezweifelte Allworthy auch das übrige nicht.

Die Freude der armen Leute war also von sehr kurzer Dauer, denn Allworthy erklärte am nächsten Morgen, er habe neue Veranlassung zu seinem Unwillen und verbot Tom geradezu, Georg ferner zu erwähnen, ob er gleich die Familie vor dem Verhungern zu bewahren suchen wolle; den Menschen selbst würde er den Gesetzen überlassen, die er durchaus nicht brechen möge.

Tom vermochte nicht zu errathen, was Herrn Allworthy so aufgebracht habe, denn auf Blifil fiel sein Argwohn durchaus nicht. Er nahm sich indeß vor, eine andere Art zu versuchen, den armen Jäger vor gänzlichem Verderben zu bewahren.

Jones war in der letzten Zeit sehr vertraut mit Herrn Western geworden und hatte sich diesem Herrn so empfohlen, dadurch, daß er über Thüren hinwegsetzte und durch andere Reiterkünste, daß der Squire erklärte, Tom würde gewiß ein großer Mann werden, wenn er hinreichende Aufmunterung finde. Er wünschte sich gar oft einen Sohn mit solchen Anlagen und betheuerte eines Tages sogar bei einem Trinkgelage höchst feierlich, Tom solle eine Hundemeute, für tausend Pf. Sterl. seines Geldes, mit jedem Jäger im ganzen Lande jagen.

137 Durch solche Talente hatte er die Gunst des Squire Western in dem Maße gewonnen, daß er ein höchst willkommener Gast bei Tische und ein Lieblingsbegleiter auf der Jagd, bei Rennen u. s. w. war; alles, was der Squire hoch hielt, nämlich seine Flinten, seine Hunde und seine Pferde, stand Jones so ganz zu Diensten, als wenn es sein eigen wäre. Er beschloß also, diese seine günstige Stellung für seinen Freund, den schwarzen Georg, zu benutzen, den er in Western's Haus als Jäger zu bringen hoffte.

Wenn der Leser bedenkt, daß dieser Mann dem Herrn Western bereits Schaden zugefügt hatte, wenn er ferner die wichtige Sache berücksichtiget, durch welche er sich das Mißfallen jenes Herrn zugezogen, so wird er das Unternehmen Tom's vielleicht für ein thörichtes und verzweifeltes erklären. Tom wendete sich jedoch an Western's Tochter, ein junges Mädchen von etwa siebzehn Jahren, die ihr Vater zunächst nach den eben erwähnten Gegenständen über alles in der Welt liebte. Wie sie einigen Einfluß auf den Squire besaß, so hatte Tom auch einigen Einfluß auf sie. Da sie jedoch die Heldin dieses Buches sein wird, ein Mädchen, in das wir selbst sehr verliebt sind und in das sich, ehe wir scheiden, wahrscheinlich auch mancher Leser verliebt haben wird, so halten wir es für unschicklich, sie zu Ende eines Buches zum ersten Male auftreten zu lassen.


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