Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Enthält weit deutlichere Dinge, die aber aus derselben Quelle flossen wie die in dem vorigen Kapitel erwähnten.

Der Leser wird, wie ich glaube, gern mit mir zu Sophien zurückkehren. Sie verbrachte die Nacht, nachdem wir sie zuletzt gesehen, auf eine keineswegs angenehme Weise. Der Schlaf floh sie fast immer und noch mehr der 187 Traum. Am Morgen, als das Kammermädchen zur gewöhnlichen Stunde erschien, war sie bereits aufgestanden und angekleidet.

Personen, die eine oder zwei Stunden von einander entfernt auf dem Lande leben, gelten für nächste Nachbarn und das, was in dem einen Hause geschieht, verbreitet sich mit unglaublicher Schnelligkeit zu dem andern. Das Kammermädchen hatte die Geschichte von Molly's Fall gehört und da sie sehr mittheilender Natur war, so erzählte sie dieselbe, sobald sie in Sophiens Zimmer getreten war, in folgender Weise:

»Was meinen wohl das Fräulein? Das Mädchen, das Sie am Sonntage in der Kirche sahen und das Sie für so hübsch hielten, das Sie aber gar nicht so hübsch gefunden haben würden, hätten Sie es in der Nähe gesehen, nun, das Mädchen ist vor Gericht gefordert worden, weil sie schwanger ist. Als Vater hat sie den jungen Herrn Jones angegeben und alle Leute sagen, Herr Allworthy sei so erzürnt auf den jungen Herrn Jones, daß ihm derselbe nicht unter die Augen kommen dürfe. Man muß den armen jungen Herrn bedauern, wenn er gleich nicht viel Mitleiden verdient, da er sich mit einem solchen gemeinen Mädchen einließ. Er ist aber ein so hübscher junger Herr, daß es sehr Schade sein würde, wenn er verstoßen werden sollte. Ich möchte es beschwören, daß das Mädchen ihn verlockt hat, denn sie war immer die züchtigste nicht. Wenn die Mädchen so weit entgegenkommen, darf man es freilich den jungen Herren nicht gar zu sehr verdenken, wenn sie nehmen, was ihnen geboten wird: sie thun doch nur etwas ganz Natürliches. Ich wollte, solche Mädchen bekämen den Staupbesen, denn es ist eine Schande, daß sie junge Herren in das Verderben führen, und daß Herr Jones einer der hübschesten jungen Herren ist, die . . .«

188 So schwatzte sie, bis Sophie mit schüchternerer Stimme, als sie jemals zu ihr gesprochen hatte, sagte: »Warum aber erzählst Du mir solche Dinge? Was kümmert es mich, was Herr Jones thut? Ich denke, Ihr Mädchen von geringem Stande seid alle gleich. Du scheinst es nur zu bedauern, daß Du nicht an der Stelle jenes Mädchens bist.«

– »Ich, Fräulein!« entgegnete das Kammermädchen. »Es thut mir leid, daß Sie eine solche Meinung von mir haben. Mir kann gewiß Niemand etwas Schlechtes nachsagen. Meinetwegen können alle jungen Herren dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. Weil ich sagte, er sei ein schöner Mann? Nun das sagt Jedermann und ich glaubte nicht, daß es was Unrechtes sei, wenn man sagt, ein junger Mann sei hübsch. Ich werde ihn aber nicht wieder für einen solchen halten, denn schön ist der, welcher schön handelt. Ein Bettelmädchen . . .«

»Hör' auf!« rief Sophie, »und sieh vielmehr, ob mein Vater mich beim Frühstück braucht.«

Mamsell Honour eilte aus dem Zimmer, immer vor sich hinmurmelnd, ohne daß man weiter etwas verstehen konnte als: »wer hätte das gedacht!«

Ob das Kammermädchen wirklich den Verdacht verdiente, den ihre Gebieterin andeutete, ist eine Sache, die wir nicht aufzuklären vermögen, wäre der Leser auch noch so neugierig. Dafür wollen wir ihm dagegen mittheilen, was in dem Herzen Sophiens vorging.

Der Leser wird sich erinnern, daß sich eine geheime Zuneigung für Jones in das Herz dieses jungen Mädchens geschlichen hatte und daß sie ziemlich groß geworden war, ehe sie selbst die Bemerkung machte. Als sie zuerst die Symptome dieser Liebe erkannte, waren die Empfindungen so lieblich und angenehm, daß sie nicht zu dem Entschlusse kommen konnte, sie zu hemmen oder ganz zu unterdrücken, 189 weshalb sie denn eine Leidenschaft fortnährte, über deren Folgen sie nie ernstlich nachdachte.

Der Vorfall mit Molly öffnete ihr zuerst die Augen. Sie erkannte nun die Schwachheit, deren sie sich schuldig gemacht hatte und ob es gleich die größte Störung in ihrem Herzen verursachte, so hatte es doch auch die Wirkung anderer ekelerregender Arzenei und vertrieb auf eine Zeit lang wenigstens ihre Krankheit. Die Wirkungen erfolgten wunderbar schnell und die kurze Zeit, welche ihr Kammermädchen abwesend war, entfernte alle Symptome so ganz und gar, daß, als Mamsell Honour mit einer Aufforderung von dem Squire zurückkam, Sophie ganz ruhig geworden und sich zu völliger Gleichgiltigkeit gegen den Herrn Jones gebracht hatte.

Die Krankheiten des Gemüthes sind fast in jedem Stücke denen des Körpers ähnlich. Aus diesem Grunde wird, hoffen wir, die gelehrte Facultät, vor welcher wir einen so gewaltigen Respect haben, uns die Nothwendigkeit verzeihen, einige Worte und Redensarten zu brauchen, welche mit Recht ihr allein gehören und ohne welche unsere Beschreibungen oft hätten unverständlich sein müssen.

In keinem andern Umstande haben die Krankheiten der Seele eine größere Aehnlichkeit mit denen des Körpers als in der Neigung zu Rückfällen. Dies zeigt sich deutlich in den heftigen Krankheiten Ehrgeiz und Geiz. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß der Ehrgeiz, wenn er durch getäuschte Erwartung (die einzige Arzenei dagegen) auf einige Zeit geheilt war, sogar in einem Streite wieder ausbrach, Obmann bei einer Jury zu sein; ich habe auch von einem Manne gehört, der den Geiz so weit bekämpft hatte, daß er manches Viergroschenstück ausgab, wenn es ihm einen Genuß schaffen konnte, auf dem Sterbebette aber einen listigen und vortheilhaften Contract wegen seiner Beerdigung mit dem 190 Leichenbestatter machte, der seine einzige Tochter geheirathet hatte.

In der Liebe, die wir in strenger Uebereinstimmung mit der stoischen Philosophie, hier als eine Krankheit behandeln, ist diese Neigung zu Rückfällen nicht minder in die Augen fallend. So erging es auch der armen Sophie, bei welcher sich, als sie Jones das nächste Mal wieder sah, alle frühern Symptome wieder einstellten und von dieser Zeit an kalte und hitzige Anfälle mit einander abwechselten.

Die Lage des jungen Mädchens war nun von der frühern ganz verschieden. Die Liebe, die vorher ihr so wonnig gewesen, wurde jetzt ein Scorpion in ihrem Busen. Sie widerstand ihr deshalb mit der äußersten Kraft und bot jeden Grund auf, den ihr Verstand (welcher für ihr Alter sehr stark war) aufzufinden vermochte, um sie niederzuhalten und zu vertreiben. Dies gelang ihr insoweit, daß sie von der Zeit und Abwesenheit völlige Genesung zu hoffen begann. Sie nahm sich deshalb vor, Tom Jones so viel als möglich zu meiden und kam darum auf die Idee, ihre Tante zu besuchen. Daß sie ihres Vaters Einwilligung dazu erhalten würde, bezweifelte sie nicht.

Das Schicksal aber, das andere Pläne hatte, machte ihrem Vorsatze ein schnelles Ende durch einen Vorfall, den wir in dem nächsten Kapitel erzählen wollen.


 << zurück weiter >>