Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Fünftes Kapitel.

Enthält Dinge, die wohl jedem Geschmacke zusagen.

Parva leves capiunt animos – »kleine Ereignisse machen Eindruck auf leicht erregbare Gemüther,« sagte ein großer Meister in der Kunst des Liebens. Auch ist so viel gewiß, daß Sophie von diesem Tage anfing, für Tom Jones eine gewisse Vorliebe und für dessen Gefährten einigen Widerwillen zu äußern.

Mancherlei Vorfälle steigerten von Zeit zu Zeit diese beiden Gefühle in ihrer Brust. Sophie erkannte schon, als sie noch sehr jung war, daß Tom, obgleich ein unfleißiger, leichtsinniger Bursche, eigentlich nur sich selbst schadete; daß Blifil dagegen, obgleich ein kluger, vorsichtiger und bedächtiger junger Mensch, zu gleicher Zeit nur den Vortheil 152 einer einzigen Person im Auge habe. Wer diese einzige Person war, wird der Leser auch ohne unsere Beihilfe leicht errathen können.

Diese beiden Charactere werden in der Welt nicht immer mit der verschiedenen Rücksicht behandelt, die sie zu verdienen scheinen und die ihnen die Menschen aus eigenem Interesse eigentlich schenken sollten. Es mag indeß einen Grund der Klugheit dafür geben; wenn die Menschen eine wirklich wohlwollende Person gefunden haben, so meinen sie wohl mit Recht, sie hätten einen Schatz gefunden und wünschen, denselben, wie alles Gute, für sich allein zu behalten. Sie glauben deshalb wohl, wenn sie eine solche Person laut rühmten, riefen sie Andere herbei, die dann auch etwas von dem sich zueignen würden, was sie doch für sich allein behalten wollten. Genügt dieser Grund dem Leser nicht, so kann ich keinen andern angeben, um die geringe Achtung zu erklären, die meist einem Character erwiesen wird, welcher der menschlichen Natur wirklich zur Ehre gereicht und der Gesellschaft das meiste Gute erzeugt. Anders war es bei Sophien. Sie ehrte Tom Jones und verachtete Blifil fast so bald als sie die Bedeutung dieser beiden Worte kannte.

Sophie war gegen drei Jahre bei ihrer Tante gewesen und hatte in dieser Zeit die beiden jungen Männer selten gesehen. Sie war indeß einmal mit ihrer Tante zu Tische bei Allworthy. Dies war wenige Tage nach dem Vorfalle mit dem Rebhuhn. Sie hörte die ganze Geschichte bei Tafel erzählen, sagte aber da nichts, auch konnte ihre Tante nicht viele Worte aus ihr bringen, als sie nach Hause gekommen waren. Als aber ihr Kammermädchen beim Auskleiden zufällig sagte: »Sie haben heute wahrscheinlich auch den jungen Herrn Blifil gesehen?« antwortete sie ziemlich heftig: »ich hasse den Namen Blifil eben so wie alles, was 153 niederträchtig und heimtückisch ist und wundere mich gar sehr, daß Herr Allworthy durch jenen alten barbarischen Lehrer einen armen Knaben so grausam für etwas züchtigen läßt, das nur die Folge seiner Gutmüthigkeit ist.« Dann erzählte sie die Geschichte ihrem Kammermädchen und schloß mit der Bemerkung: »hältst Du ihn nicht auch für einen jungen Menschen von edelm Sinne?«

Die junge Dame war jetzt zu ihrem Vater zurückgekommen, der ihr das Regiment im Hause übertrug und ihr den Platz am obern Ende seines Tisches anwies, an dem Tom (der wegen seiner großen Jagdlust ein Liebling des Squire war) öfters mit aß. Junge Männer von offenem, edelmüthigem Character sind von Natur auch galant und sie zeigen dies, wenn sie dabei verständig sind, wie es wirklich bei Tom der Fall war, durch ein gefälliges Benehmen gegen alle Frauen im Allgemeinen. Dies zeichnete denn auch Tom vor der plumpen Rohheit der gewöhnlichen Landedelleute auf der einen und vor dem feierlichen und etwas sauertöpfischen Benehmen Blifil's auf der andern Seite aus und er galt jetzt, in seinem zwanzigsten Jahre, bei dem ganzen weiblichen Geschlechte in der Nachbarschaft für einen hübschen jungen Mann.

Tom zeichnete Sophien weiter nicht aus, als daß er ihr höhere Achtung als irgend einer andern bewies. Diese Auszeichnung schien ihre Schönheit, ihr Vermögen, ihr Herz und ihr ganzes liebenswürdiges Benehmen zu fordern; eine Absicht auf ihre Person aber hatte er nicht, und der Leser mag ihn darum vor der Hand dumm nennen. Vielleicht können wir später diesen Umstand vollkommen gnügend erklären.

Sophie besaß neben der reinsten Unschuld und der höchsten Züchtigkeit ein fröhliches Temperament. Dieses zeigte sich besonders bei jeder Gelegenheit, wenn sie in der Gesellschaft 154 Tom's war und er hätte es eigentlich bemerken sollen, wäre er nicht zu jung und zu leichtsinnig gewesen. Auch dürfte Western einigermaßen darüber besorgt geworden sein, wären seine Gedanken nicht immer vorzugsweise auf das Feld, den Stall und die Hunde gerichtet gewesen. Der gute Mann war so weit entfernt, irgend einen Argwohn zu hegen, daß er dem Tom jede Gelegenheit gab, die ein Liebhaber nur wünschen konnte, mit Sophien allein zu sein. Tom folgte indeß nur seiner Gutmüthigkeit und seiner natürlichen Galanterie; hätte er im geringsten Absichten auf die junge Dame gehabt, würde er sich gewiß ganz anders benommen haben.

Man darf sich eigentlich wenig wundern, daß dies alles der Bemerkung Anderer entging, da ja die arme Sophie es selbst nicht bemerkte, so daß ihr Herz unrettbar verloren war, ehe sie es ahnete, daß es in Gefahr sei.

So standen die Sachen, als Tom eines Nachmittags Sophien allein traf und nach einer kurzen Einleitung, mit ernstem Gesichte, ihr anzeigte, er habe sie um eine Gefälligkeit zu bitten, die sie ihm, wie er von ihrem Herzen erwarte, gewiß erweisen würde.

Obgleich nun weder das Wesen des jungen Mannes, noch die Art, wie er die Angelegenheit eröffnete, sie zu dem Glauben berechtigen konnten, er wolle ihr eine Liebeserklärung machen, so ist es doch gewiß (ob die Natur ihr etwas der Art zuflüsterte oder aus welchem Grunde es sonst geschah, will ich nicht untersuchen), daß sie wohl an etwas der Art dachte, denn die Farbe wich von ihren Wangen, ihre Glieder zitterten und die Zunge würde ihr den Dienst versagt haben, hätte Tom eine Antwort erwartet; er befreiete sie indeß bald aus ihrer Verlegenheit, indem er ihr sofort seine Bitte vortrug, welche darin bestand, sie für den Jäger zu interessiren, der, wie er sagte, nebst seiner 155 großen Familie verloren sein würde, wenn Herr Western in der Klage gegen ihn fortgehe.

Sophie erholte sich sofort von ihrer Verwirrung und sagte mit einem freundlichen Lächeln: »ist dies die große Gunst, die Sie mit solchem Ernste erbaten? Ich will herzlich gern thun, was Sie wünschen. Ich bedauere wirklich den armen Mann und schickte auch erst gestern seiner Frau eine Kleinigkeit.« Diese Kleinigkeit bestand in einem Kleide, etwas Wäsche und einigen Thalern Geld, wie Tom schon gehört hatte, der durch diese Gabe des Mädchens eigentlich veranlaßt worden war, mit der Bitte sich an Sophien zu wenden.

Ermuthiget durch den Erfolg, beschloß der junge Mann, die Sache noch weiter zu verfolgen, und er wagte wirklich, sie um ihre Empfehlung des Mannes für den Dienst ihres Vaters zu ersuchen, wobei er betheuerte, er halte ihn für einen der ehrlichsten Menschen in der Gegend, so wie ganz für den Posten eines Jägers geeignet, der zufällig und zum Glück in dem Hause Western's zu besetzen war.

Sophie antwortete: »nun wohl, auch dies will ich über mich nehmen. aber darin kann ich Ihnen keinen so günstigen Erfolg versprechen, wie bei der erstern Sache, die ich nicht aufgeben werde, bis ich meinen Vater gewonnen habe. Ich werde indeß auch für das Zweite thun, was ich vermag, da ich den Mann und seine Familie für wirklich bemitleidenswerth halte. Nun muß ich aber auch Sie, Herr Jones, um eine Gefälligkeit bitten.«

»Eine Gefälligkeit, mein Fräulein!« rief Tom; »wenn Sie wüßten, welches Vergnügen Sie mir schon durch die Hoffnung gewähren, einen Befehl von Ihnen zu erhalten, so würden Sie nicht zweifeln, daß Sie mir die größte Gunst erzeigen, wenn Sie den Befehl wirklich aussprechen; denn, um Ihnen gefällig zu sein, würde ich, bei dieser lieben Hand! selbst mein Leben opfern.«

156 Er ergriff dabei ihre Hand und küßte dieselbe. Es war das erste Mal, daß seine Lippen sie jemals berührt hatten. Das Blut, welches vorher aus ihren Wangen gewichen war, überströmte jetzt ihr Gesicht und ihren Hals mit solcher Gewalt, daß sie purpurroth wurde. Sie empfand jetzt ein Gefühl, das sie bis dahin noch nicht gekannt hatte, und das sie, als sie mit Muße darüber nachdenken konnte, einige Geheimnisse lehrte, welche der Leser, wenn er sie nicht schon jetzt erräth, zu seiner Zeit auch erfahren wird.

Sophie eröffnete ihm, sobald sie sprechen konnte (was nicht sogleich geschah), daß die Gefälligkeit, um die sie ihn bitte, die wäre, ihren Vater bei der Jagd nicht in so viele Gefahren zu verleiten, denn nach dem, was sie gehört habe, sei sie jedesmal sehr ängstlich, wenn sie mit einander ausritten und erwartete jeden Tag, man werde ihren Vater einmal mit zerbrochenen Gliedmaßen nach Hause bringen. Sie ersuche ihn deshalb, um ihretwillen vorsichtiger zu sein und, da sie wisse, daß Western ihm folgen würde, nicht so toll zu reiten und in Zukunft namentlich keine so gefährlichen Sprünge mit dem Pferde zu machen.

Tom versprach, ihren Befehlen zu gehorchen, dankte ihr sodann nochmals für die freundliche Bewilligung seines Gesuchs, nahm Abschied und entfernte sich hocherfreut über sein Glück.

Die arme Sophie war auch erfreut, aber in anderer, ganz verschiedener Weise. Ihre Gefühle wird indeß der Leser oder die Leserin durch das eigene Herz besser zu würdigen wissen, als ich sie schildern kann, hätte ich auch so viele Zungen, als sich jemals ein Dichter wünschte, wahrscheinlich um die vielen kostbaren Dinge zu genießen, mit denen er so reichlich versorgt ist.

Herr Western pflegte nach Tische, wenn er etwas betrunken war, seine Tochter auf der Harfe spielen zu hören, 157 denn er liebte die Musik sehr und würde, hätte er in einer Stadt gelebt, vielleicht für einen Kenner gegolten haben, denn er machte stets Einwendungen gegen die schönsten Compositionen Händel's. Er liebte keine andere Musik als die leichte und melodienreiche und hatte nichts lieber als einige alte englische Volkslieder.

Seine Tochter nun, die zwar eine vollkommene Kennerin der Musik war und ihrem Geschmacke nach nur Händel'sche gespielt haben würde, achtete so sehr auf ihres Vaters Vergnügen, daß sie alle jene Lieder lernte, um ihm einen Gefallen zu erzeigen.

Diesen Abend, als Western seiner Flasche überdrüssig war, spielte sie alle seine Lieblingsstücke dreimal durch, ohne sich darum bitten zu lassen. Dies gefiel dem guten Squire so sehr, daß er von dem Canapee aufsprang, seiner Tochter einen Kuß gab und versicherte, sie habe sich seit einiger Zeit im Spiele sehr vervollkommnet. Sie benutzte diese Gelegenheit, um ihr Tom gegebenes Versprechen zu lösen, und es gelang ihr auch so wohl, daß der Squire erklärte, wenn sie ihm noch eines seiner Lieblingslieder spiele, würde er den nächsten Morgen die Klage gegen den Jäger zurücknehmen. Das Lied wurde also noch ein und noch einmal gespielt, bis der Zauber der Musik den alten Herrn in Schlaf lullte. Am nächsten Morgen verfehlte Sophie nicht, ihn an sein Versprechen zu erinnern, und der Squire ließ auch seinem Advocaten sogleich sagen, er möge in der Sache gegen den Jäger nicht weiter vorschreiten, sondern dieselbe niederschlagen.

Tom's Erfolg in dieser Sache wurde bald in der ganzen Gegend bekannt und man sprach verschiedene Meinungen darüber aus; einige rühmten seine Handlung als höchst lobenswerth, andere lachten höhnisch und sagten, es sei kein Wunder, wenn ein Taugenichts den andern liebe. Der 158 junge Blifil zumal war höchst erbittert. Er hatte lange den schwarzen Georg in demselben Maße gehaßt, wie Jones ihn liebte, nicht weil derselbe ihm jemals etwas zu Leide gethan, sondern in Folge seiner großen Liebe für Religion und Tugend, denn der schwarze Georg stand in dem Rufe, keineswegs religiös zu sein. Blifil meinte also, diese Handlung Tom's sei zum Trotz gegen Allworthy geschehen und erklärte mit großer Betrübniß, es sei kein anderer Grund zu erdenken, warum er einem so schlechten Menschen so viel Gutes erweise.

Thwackum und Square sprachen eben so. Sie waren jetzt (besonders der letztere) auf den jungen Jones wegen der Wittwe höchst eifersüchtig, denn er näherte sich dem zwanzigsten Jahre, war wirklich ein hübscher junger Mann und die Dame schien ihn wirklich jeden Tag mehr für einen solchen zu halten.

Allworthy ließ sich durch ihre Böswilligkeit nicht bewegen. Er erklärte vielmehr, er sei über das, was Jones gethan habe, sehr erfreut, und die Ausdauer, die Redlichkeit der Freundschaft verdiene alles Lob und äußerte zuletzt, er wünsche, er könne häufiger Beispiele von dieser Tugend sehen.

Das Schicksal, das selten solche Menschen liebt, wie unsern Freund Tom, wahrscheinlich weil dieselben ihm nicht mehr Huldigungen darbringen, gab indeß allen seinen Handlungen eine ganz andere Wendung und zeigte sie dem Herrn Allworthy in einem weit ungünstigeren Lichte, als der gute Herr dieselben bis dahin betrachtet hatte.


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