Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Enthält so ernste Dinge, daß der Leser in dem ganzen Kapitel auch nicht einmal lachen kann, wenn er nicht etwa über den Verfasser lachen will.

Als Jenny ankam, nahm Herr Allworthy sie in sein Studirzimmer und redete sie also an: »Du weißt, Kind, daß es in meiner Macht, als Richter, steht, Dich für das, was Du gethan hast, streng zu bestrafen, und Du fürchtest vielleicht um so mehr, daß ich diese Macht gebrauche, weil Du Deine Sünde in mein Haus gebracht hast.

»Dies ist indeß vielleicht ein Grund, der mich veranlaßt hat, milder mit Dir zu verfahren, denn da ein Richter sich nie durch persönlichen Unwillen und Haß bestimmen lassen soll, so bin ich so weit davon entfernt, das Herbringen des Kindes in mein Haus für eine Vergrößerung Deiner Schuld anzusehen, daß ich dies vielmehr für einen Beweis von Liebe für Dein Kind annehme, weil Du gehofft haben magst, es werde hier besser für dasselbe gesorgt werden, als Ihr, Du und des Kindes Vater, es zu thun vermöget. Ich würde sehr erzürnt gegen Dich gewesen sein, hättest Du das Kind ausgesetzt, wie es manche unmenschliche Mütter thun, die mit ihrer Keuschheit auch jedes menschliche Gefühl verloren zu haben scheinen. Mein Verweis ist also gegen den andern Theil Deines Vergehens gerichtet, gegen die Verletzung Deiner Keuschheit, ein 23 Vergehen, das zwar von sittenlosen Personen sehr gering angeschlagen wird, an sich selbst aber sehr abscheulich und in seinen Folgen schrecklich ist.

»Die Abscheulichkeit dieses Vergehens muß jeder Christ hinreichend begreifen, zumal da es trotz den Geboten unserer Religion und gegen die ausdrücklichen Vorschriften dessen begangen wird, der diese Religion stiftete.

»Deswegen müssen auch seine Folgen schrecklich sein, denn was kann schrecklicher sein, als sich das göttliche Mißfallen zuzuziehen durch Uebertretung der göttlichen Gebote und zwar in einem Falle, gegen welchen die Rache des Höchsten ausdrücklich angekündiget ist?

»Doch diese Dinge sind, wie wenig sie auch leider beachtet werden, so klar, daß die Menschen, wie sehr sie auch daran erinnert zu werden nöthig haben, darüber nicht belehrt zu werden brauchen. Es wird deshalb eine Andeutung bei Dir hinreichen, denn ich will nur die Reue in Deinem Herzen wecken, Dich nicht zur Verzweiflung treiben.

»Es giebt noch andere Folgen, die zwar nicht so schrecklich und grauenvoll sind, die aber doch, wenn sie wohl berücksichtiget werden, wie man denken sollte, wenigstens alle Personen Deines Geschlechtes von diesem Verbrechen eigentlich zurückschrecken müßten.

»Durch dasselbe werdet ihr ehrlos gemacht und wie in der alten Zeit die Aussätzigen aus der Gesellschaft ausgestoßen, wenigstens aus der Gesellschaft Aller, außer den Schlechten und Verworfenen, denn Andere werden mit Euch nicht umgehen wollen.

»Habt Ihr Vermögen, so werdet Ihr unfähig, dasselbe zu genießen; habt Ihr keines, so entgehen Euch die Mittel, solches zu erlangen, ja fast die Mittel, Euern Unterhalt zu erwerben, denn Niemand von Zucht und Sitte wird Euch in sein Haus aufnehmen.. So werdet ihr oft durch 24 die Noth in einen Zustand der Schande und des Elendes gebracht, der unfehlbar in leiblichem und geistigem Verderben endiget.

»Kann irgend ein Vergnügen diese Uebel aufwiegen? Kann irgend eine Versuchung so lockend und täuschend sein, Euch zu vermögen, einen solchen Tausch einzugehen? Oder kann Fleischeslust Euern Verstand so ganz überwältigen, daß Ihr verhindert werdet, mit Schrecken und Entsetzen vor einem Verbrechen zu fliehen, das eine solche Strafe mit sich bringt?

»Wie gemein, wie niedrig muß ein Mädchen sein, wie ganz bar jener Seelenwürde und jenes Anstandsstolzes, ohne welche wir den Namen »Menschen« nicht verdienen, wenn es sich zu dem niedrigsten Thiere erniedrigen und alles, was groß und edel in ihr ist, alles Himmlische in ihr, einem Verlangen zu opfern vermag, das sie mit dem niedrigsten Theile der Schöpfung gemein hat! Kein Weib wird die Leidenschaft der Liebe zur Entschuldigung anführen wollen; dadurch würde sie zugeben, daß sie das bloße Spielzeug des Mannes sei. Die Liebe ist, wie roh wir auch ihre Bedeutung verdrehen mögen, ein lobenswerthes und ein verständiges Gefühl und kann nur heftig sein, wenn sie gegenseitig ist; denn wenn auch die Schrift sagt, wir sollen unsere Feinde lieben, so meint sie doch nicht, mit der innigen Liebe, die wir gegen unsere Freunde hegen, noch viel weniger, daß wir ihnen unser Leben und, was uns noch theurer sein sollte, unsere Unschuld, aufopfern. Wie anders aber als einen Feind kann ein verständiges Mädchen den Mann ansehen, der von ihr verlangt, sie solle das ganze Elend auf sich nehmen, das ich Dir eben geschildert habe, und der sich ein kurzes verächtliches Vergnügen erkaufen will, das sie so theuer bezahlen muß? Nach der Sitte und der Gewohnheit fällt ja die ganze Schande mit allen Folgen 25 derselben auf sie allein. Kann die Liebe, die immer das Gute für ihren Gegenstand sucht, ein Mädchen zu einem Handel zu verlocken suchen, bei dem sie so viel verliert? Sollte nicht das Mädchen, wenn ein solcher Verführer frech genug ist, wirkliche Liebe zu ihr zu heucheln, ihn nicht blos für ihren Feind, sondern für den schlimmsten aller Feinde halten, – für einen falschen, verrätherischen, böse Absichten hegenden, angeblichen Freund, der nicht blos ihren Körper schänden, sondern auch zu gleicher Zeit ihre Seele verderben will?«

Jenny schien sehr betroffen zu sein; Allworthy hielt deshalb einen Augenblick ein; dann fuhr er fort: »Ich habe Dir dies gesagt, mein Kind, nicht um Dich zu kränken um das, was geschehen und nicht zu ändern ist, sondern um Dich für die Zukunft zu warnen und zu stärken. Ich würde mir auch diese Mühe nicht genommen haben, hätte ich nicht, trotz dem großen Fehltritte, den Du begangen hast, eine so gute Meinung von Deinem Verstande und hoffte ich nicht herzliche Reue, die sich nach Deinem offenen und aufrichtigen Geständnisse erwarten läßt. Täusche ich mich darin nicht, so werde ich dafür sorgen, Dich von diesem Schauplatze Deiner Schande wegzubringen an einen andern Ort, wo Du unbekannt bist und der Strafe entgehst, welche, wie gesagt, Dein Verbrechen in dieser Welt trifft, wo Du durch Reue, hoffe ich, jene weit schwerere Strafe abwendest, welche in der andern Welt angedrohet wird. Sei Dein übriges Leben hindurch ein gutes Mädchen und der Mangel wird die Veranlassung nicht werden, die Dich von neuem von dem rechten Wege abführt. Glaube mir, ein schuldloses und tugendhaftes Leben giebt selbst in dieser Welt größeres Vergnügen, als ein sittenloses und lasterhaftes.

»Wegen Deines Kindes sei unbesorgt; ich werde besser für dasselbe sorgen, als Du hoffen kannst. Es bleibt nun 26 nichts weiter übrig, als daß Du mir den schlechten Mann nennst, der Dich verführte, denn mein Unwille wird gegen ihn weit größer sein, als der, den Du jetzt erfahren hast.«

Jenny schlug die Augen empor und begann mit züchtigem Blicke und bescheidener Stimme:

»Wer Sie kennt, Herr, und Ihre Güte nicht liebt, beweiset, daß es ihm völlig an gesundem Verstande oder an gefühlvollem Herzen fehlt. Ich würde die größte Undankbarkeit verrathen, fühlte ich nicht tief die große Güte, die Sie heute gegen mich geäußert haben. Ich weiß, Sie verschonen mich damit, erröthend zu wiederholen, was geschehen ist. Mein Verhalten in der Zukunft wird besser als jede Betheuerung meine Gefühle darthun. Erlauben Sie mir die Versicherung, daß ich Ihren Rath noch höher schätze als das edele Anerbieten, mit welchem Sie denselben beschlossen, denn er beweiset, wie Sie sich auszudrücken beliebten, Ihre gute Meinung von meinem Verstande.« Sie konnte hier ihre Thränen nicht länger zurückhalten; sie hielt einige Minuten inne und fuhr sodann fort: »Ihre Güte, Herr, überwältiget mich, aber ich will versuchen, diese gute Meinung zu verdienen, denn wenn ich den Verstand besitze, den Sie mir in ihrer Güte zuschreiben, so wird ein solcher Rath bei mir nicht vergeblich sein. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre freundlichen Absichten wegen meines armen hilflosen Kindes; es ist unschuldig und wird, wie ich hoffe, für die Liebe, die Sie ihm erzeigen werden, dankbar sein. Aber auf meinen Knien, Herr, muß ich Sie beschwören, bestehen Sie nicht auf dem Verlangen, Ihnen den Vater meines Kindes zu nennen. Ich verspreche Ihnen, Sie sollen ihn eines Tages erfahren, aber mich zwingen die feierlichsten Verpflichtungen, wie die heiligsten Schwüre und Betheuerungen, jetzt seinen Namen zu verschweigen, 27 und ich kenne Sie zu gut, als daß ich fürchten könnte, Sie würden verlangen, die heiligsten Schwüre zu brechen.«

Herr Allworthy, bei dem die bloße Erwähnung der letzten Worte hinreichten, ihn wankend zu machen, zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete, dann sagte er, sie habe Unrecht gethan, solche Verpflichtungen gegen einen Schurken einzugehen, da sie es aber einmal gethan, so könne er nicht verlangen, daß sie denselben untreu werde. Er setzte hinzu, er habe nicht aus bloßer Neugierde darnach gefragt, sondern um den Menschen zu bestrafen und wenigstens um nicht vielleicht dem Wohlthaten zu erzeigen, der dieselben nicht verdiene.

Ueber diese Punkte beruhigte ihn Jenny, indem sie auf das Feierlichste versicherte, der Mann befinde sich gänzlich außer dem Bereiche seiner Macht und es sei auch durchaus nicht wahrscheinlich, daß er in den Fall komme, Wohlthaten von dem Herrn Allworthy zu empfangen.

Durch dieses Benehmen hatte sich Jenny die Achtung des würdigen Mannes in so hohem Maße erworben, daß er gern und leicht glaubte, was sie ihm sagte, denn da sie es verschmähte, sich durch eine Lüge zu entschuldigen und sich in ihrer gegenwärtigen Lage lieber seinem fernern Unwillen ausgesetzt als sich hatte bewegen lassen, einen Andern gegen ihren Schwur zu verrathen, so fürchtete er nicht, sie werde sich einer Unwahrheit gegen ihn schuldig machen.

Er entließ sie deshalb mit der Versicherung, sie bald aus der Gegend wegzubringen, wo sie nichts als Schande finden würde und schloß damit, daß er ihr Reue anempfahl, indem er sagte: »Bedenke, Kind, Du hast noch Einen zu versöhnen, dessen Gunst für Dich von weit größerer Wichtigkeit ist als die meinige.«


 << zurück weiter >>