Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Achtes Kapitel.

Ein Gespräch zwischen Brigitte und Deborah, das mehr Unterhaltung, aber weniger Belehrung enthält als das vorige.

Als Herr Allworthy mit Jenny Jones, wie wir gesehen haben, in sein Studirzimmer ging, begab sich Miß Brigitte mit der guten Haushälterin an die Thüre desselben und sie vernahmen durch das Schlüsselloch die Ermahnungen des Herrn Allworthy, so wie die Antwort Jenny's und Alles, was in dem vorstehenden Kapitel berichtet worden ist.

Das Schlüsselloch in der Thüre des Studirzimmers ihres Bruders war Brigitten so genau bekannt und von ihr so oft benutzt worden, wie von Thisbe in der alten Zeit das berühmte Loch in der Mauer. Es diente zu manchem guten Zwecke. Brigitte erfuhr auf diesem Wege oft die Wünsche ihres Bruders, ohne daß er ihr dieselben mitzutheilen brauchte. Allerdings waren auch einige Unannehmlichkeiten damit verbunden und sie hatte bisweilen Ursache, mit Thisbe, bei Shakespeare, auszurufen: »o böse, böse Mauer!« Denn da Herr Allworthy Friedensrichter war, so kamen bei Fragen wegen Bastarden und dergleichen Dinge vor, welche die keuschen Ohren der Jungfrauen gewaltig beleidigen, besonders wenn diese Jungfrauen den Vierzigen nahe stehen, wie es bei Brigitten der Fall war. Sie hatte indeß bei solchen Gelegenheiten den Vortheil, ihr Erröthen vor den Augen der Menschen verbergen zu können und de non apparentibus, et non existentibus eadem est ratio, zu deutsch, wenn man ein Frauenzimmer nicht erröthen sieht, so erröthet es überhaupt gar nicht.

Die beiden Horcherinnen verhielten sich ganz ruhig, so lange das Mädchen bei dem Herrn Allworthy war; sobald aber die Vermahnung zu Ende war, sprach sich die Jungfer Deborah gegen die Milde und Nachsicht ihres Herrn aus, 29 besonders konnte sie nicht begreifen, wie er es dulde, daß sie den Vater des Kindes nicht nenne, und sie schwur, denselben auszukundschaften, ehe noch die Sonne untergehe.

Bei diesen Worten verzog sich das Gesicht Brigittens zu einem Lächeln, was bei ihr etwas ganz Ungewöhnliches war. Ich will damit meinen Leser keineswegs verleiten, dieses Lächeln für ein solches zu halten, wie es Homer an der Venus beschreibt, wenn er sie die gernlachende Göttin nennt; auch war es kein Lächeln, wie man es an Seraphinen im Theater sieht, ein Lächeln, für welches selbst Venus ihre Unsterblichkeit hingeben würde; nein, es war ein Lächeln, wie es etwa auf dem Antlitze der Tisiphone oder dem ihrer Fräulein Schwestern erschien.

Mit einem solchen Lächeln und mit einer Stimme, die so lieblich war, wie der Abendhauch des Nordwindes in dem lieblichen Novembermonate, hielt Miß Brigitte der Jungfer Deborah ihre Neugierde vor, ein Laster, von welchem die letztere völlig beherrscht worden zu sein scheint und gegen das die erstere mit großer Bitterkeit eiferte, indem sie hinzusetzte, sie danke dem Himmel, daß, welche Fehler sie auch haben möge, doch selbst ihre Feinde sie nicht beschuldigen könnten, sie kümmere sich um anderer Leute Angelegenheiten.

Dann rühmte sie die Ehrenhaftigkeit, mit welcher Jenny gehandelt. Sie sagte, sie müßte mit ihrem Bruder übereinstimmen und zugeben, daß etwas Verdienstliches in dem aufrichtigen Geständnisse und in der Treue gegen den Liebhaber liege; sie habe Jenny immer für ein sehr gutes Mädchen gehalten und zweifle nicht, dieselbe sei durch irgend einen Schurken verführt worden, der unendlich mehr Tadel verdiene, als das Mädchen, und der sie höchst wahrscheinlich durch ein Eheversprechen oder irgend eine andere Falschheit verlockt habe.

30 Diese Reden Brigittens setzten die Jungfer Deborah sehr in Verwunderung, denn das kluge Weib sprach selten mit ihrem Herrn oder dessen Schwester, bevor sie nicht erst die Meinung derselben zu erforschen gesucht hatte, nach denen sie sich sodann genau richtete. Hier hatte sie indeß geglaubt, in aller Sicherheit ihrer Zunge freien Lauf lassen zu können, und der scharfsinnige Leser wird sie dabei auch nicht eines Mangels an geeigneter Vorsicht beschuldigen, vielmehr bewundern, wie schnell sie umwendete, als sie merkte, daß sie auf falschem Wege sei.

»Ja, wahrhaftig,« sagte die gewandte Frau, »ich muß gestehen, ich bewundere das Mädchen eben so wie Sie. Wie Sie sagen, das arme Ding ist zu bedauern, wenn sie von einem schlechten Menschen verführt wurde. Das Mädchen sah immer, wie Sie sagen, wie ein gutes, rechtschaffenes Mädchen aus und sie war gar nicht eitel auf ihr Lärvchen, wie viele andere Närrinnen hier in der Gegend.«

»Du hast ganz Recht, Deborah,« entgegnete Miß Brigitte. »Wäre das Mädchen eine der eiteln Närrinnen, deren wir nur zu viele im Kirchspiele haben, so würde ich meinen Bruder wegen seiner Nachsicht gegen sie getadelt haben. Vorigen Sonntag sah ich zwei Pachterstöchter mit bloßem Halse in der Kirche. Der Anblick empörte mich. Wenn die Mädchen so Lockspeisen für die Männer aushängen, so sind sie nicht zu bedauern, wenn sie später leiden müssen. Ich verabscheue solche Geschöpfe und es wäre besser für sie, ihr Gesicht wäre von den Blattern zerrissen; bei der armen Jenny, das muß ich gestehen, habe ich nie ein solches Benehmen bemerkt; ein schlauer Bösewicht hat sie verführt oder wohl gar gezwungen, davon bin ich überzeugt und ich bedaure die Arme von ganzem Herzen.«

Jungfer Deborah billigte alle diese Aeußerungen, und das Gespräch endigte mit einem allgemeinen und heftigen 31 Ausfalle gegen die Schönheit, so wie mit manchen mitleidsvollen Betrachtungen über alle rechtschaffenen Mädchen, welche durch die bösen Künste der betrügerischen Männer verlockt und verführt werden.


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