Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Die Geschichte geht zurück, um einen unbedeutenden Vorfall zu erwähnen, der vor einigen Jahren vorkam und trotz seiner Unbedeutendheit einige weitere Folgen hatte.

Die liebenswürdige Sophie stand jetzt in ihrem achtzehnten Jahre, da sie in dieser Geschichte auftritt. Ihr Vater liebte sie, wie bereits erwähnt, mehr als irgend ein anderes menschliches Wesen. An sie also wendete sich Tom Jones, um ihre Theilnahme für seinen Freund, den Jäger, zu erregen.

Ehe wir indeß weiter gehen, wird eine kurze Wiederholung einiger früherer Vorfälle nöthig sein.

Obgleich wegen der verschiedenen Temperamente 144 Allworthy's und Western's kein inniges Verhältniß zwischen beiden möglich war, so lebten sie doch auf ziemlich freundschaftlichem Fuße mit einander, so daß die jungen Leute schon von Kindheit an mit einander bekannt waren und, weil sie ziemlich in gleichem Alter standen, häufig mit einander gespielt hatten.

Das heitere Temperament Tom's paßte besser für Sophien als das ernste und ruhige Wesen Blifil's und der Vorzug, den sie dem erstern gab, zeigte sich oft so deutlich, daß ein Bursche von größerer Leidenschaftlichkeit als Blifil wohl einiges Mißfallen darüber zu erkennen gegeben haben würde.

Da er sich jedoch keinen solchen Verdruß merken ließ, so würde es Unrecht sein, wenn wir sein Herz genauer besichtigen wollten, wie scandalsüchtige Menschen die geheimsten Angelegenheiten ihrer Freunde zu ermitteln suchen und in deren Schränken und Zimmern häufig nur deshalb umherstören, um die Armseligkeit und Leere in denselben der Welt zu verrathen.

Wie jedoch Personen, welche muthmaßen, andere gekränkt oder beleidiget zu haben, schnell die Folgerung ziehen, sie wären wirklich beleidiget, so schrieb Sophie eine Handlung des jungen Blifil seinem Aerger zu, während sie von dem größern Scharfsinne Thwackum's und Square's aus einem weit edleren Gefühle hergeleitet wurde.

Tom Jones hatte, als er noch sehr jung war, Sophien einen kleinen Vogel geschenkt, den er aus dem Neste genommen, aufgezogen und singen gelehrt hatte.

Diesen Vogel liebte die damals etwa dreizehnjährige Sophie so außerordentlich, daß ihre Hauptbeschäftigung die war, ihn zu füttern und abzuwarten, und ihr größtes Vergnügen darin bestand, mit ihm zu spielen. Dadurch war der kleine Tommy, wie der Vogel hieß, so zahm geworden, daß er aus der Hand seiner Herrin fraß, sich auf 145 deren Finger setzte und in ihrem Busen ruhete, ja dieses sein Glück wirklich zu fühlen schien, obwohl sie ihn immer an einem Fädchen am Fuße hielt und nie frei umherfliegen ließ.

Eines Tages, als Allworthy nebst seiner ganzen Familie bei dem Herrn Western zu Tische war, äußerte Blifil, der sich mit der kleinen Sophie in dem Garten befand und die außerordentliche Liebe derselben zu dem kleinen Vogel bemerkte, den Wunsch, sie möge ihn doch einen Augenblick seinen Händen anvertrauen. Sophie erfüllte dieses Verlangen sogleich und übergab ihm mit einiger Vorsicht ihren Vogel. Kaum hatte Blifil denselben in der Hand, als er das Fädchen von dem Beine zog und ihn in die Luft warf.

Das thörichte Thierchen sah sich nicht sobald in Freiheit, als es alle Gunstbezeigungen vergaß, die es von Sophien erhalten hatte, davon flog und sich auf einen Zweig in einiger Entfernung setzte.

Sophie weinte darüber so laut, daß Tom Jones, der sich in einiger Entfernung befand, sogleich zu ihrem Beistande herbeieilte.

Kaum hatte er erfahren, was geschehen war, so schimpfte er Blifil einen erbärmlichen boshaften Jungen, zog dann sogleich seinen Rock aus und fing an, auf den Baum hinaufzuklettern, auf welchem der Vogel saß.

Tom hatte seinen kleinen Namensvetter fast erreicht, als der Ast, auf welchem derselbe saß und der über einen Canal hing. brach und der arme Junge kopfüber in das Wasser stürzte.

Sophiens Kummer nahm jetzt eine andere Richtung und als sie bemerkte, daß das Leben des Knaben in Gefahr war, schrie sie noch zehnmal lauter als vorher. Auch unterstützte sie Blifil diesmal ebenfalls, indem er mit aller Kraft seiner Lungen zu rufen anfing.

146 Die Gesellschaft, welche in einem Zimmer saß, das an den Garten stieß, wurde sogleich aufmerksam und kam heraus; aber eben als man an den Canal gelangte, erreichte Tom glücklich das Ufer, da das Wasser zum Glück an dieser Stelle ziemlich seicht war.

Thwackum stürzte wüthend auf den armen Tom zu, der triefend und bebend dastand. Allworthy forderte ihn indeß auf, sich zu gedulden, wendete sich an Blifil und sagte. »Kind, was ist die Ursache zu dieser Störung gewesen?«

Blifil antwortete: »es thut mir wirklich leid, Onkel, was ich gethan habe; ich war unglücklicherweise die Veranlassung zu allem. Ich hatte den kleinen Vogel Sophiens in der Hand und da ich dachte, das arme Thier sehne sich nach seiner Freiheit, so konnte ich nicht umhin, ihm seinen Wunsch zu gewähren. Ich glaubte immer, es sei sehr grausam, etwas einzusperren. Es schien mir dies gegen das Gesetz der Natur zu sein, nach welchem jedes Wesen ein Recht auf Freiheit hat; ja es kam mir selbst unchristlich vor. Hätte ich jedoch glauben können, daß Sophie sich so sehr darüber grämen würde, so hätte ich es gewiß nicht gethan; ich hätte es auch nicht gethan, wenn ich gewußt, was dem armen Vogel bevorstehe, denn als Jones, der ihm nach auf den Baum kletterte, herunter in das Wasser fiel, kam ein Habicht, packte den kleinen Vogel und flog mit ihm fort.«

Die arme Sophie, die erst jetzt das Schicksal ihres kleinen Tommy erfuhr (denn aus Besorgniß um Jones hatte sie nicht bemerkt, was geschehen war), fing nun an heftig zu weinen. Allworthy versuchte sie zu beruhigen, indem er ihr einen weit schönern Vogel versprach, aber sie erklärte, sie möge keinen andern. Ihr Vater schalt sie darüber, daß sie eines dummen Vogels wegen weine, äußerte

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147 aber auch gegen Blifil, wenn er sein Sohn wäre, würde er einer derben Züchtigung nicht entgehen.

Sophie begab sich in ihr Zimmer; die beiden Knaben wurden nach Hause geschickt und die übrige Gesellschaft kehrte zu den Flaschen zurück, wo sich über den Vogel ein Gespräch erhob, das seiner Merkwürdigkeit wegen wohl ein besonderes Kapitel verdient.


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