Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Der Character des Philosophen Square und des Geistlichen Thwackum nebst einem Wortwechsel über . . . .

Dieser Herr, der sich damals bereits eine Zeit lang in dem Hause Allworthy's aufgehalten hatte, hieß Square. Seine geistigen Fähigkeiten waren nicht die ausgezeichnetsten, er hatte dieselben aber durch Studium ziemlich verbessert. Er besaß eine umfassende Belesenheit in den alten Classikern und war besonders innig vertraut mit den Werken Plato's und Aristoteles'. Nach diesen großen Mustern hatte er sich auch vorzugsweise gebildet und er trat bald der Meinung 108 dieses, bald der Ansicht jenes bei. In der Moral war er eingestandenermaßen ein Anhänger Plato's, in der Religion neigte er sich mehr dem Aristoteles zu.

Obgleich er nun, wie er sagte, seine Moralphilosophie nach dem platonischen Muster gebildet hatte, so stimmte er doch vollkommen der Meinung des Aristoteles bei, indem er jenen großen Mann mehr für einen Philosophen oder Denker als für einen Gesetzgeber hielt. Diese Ansicht dehnte er sehr weit aus, so weit, daß er die Tugend überhaupt nur für eine Sache der Theorie hielt. Dies sprach er allerdings niemals geradezu aus, wie ich vernommen habe, wenn ich aber seinem Benehmen auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenke, muß ich glauben, daß dies wirklich seine Meinung war, da nur dadurch einige Widersprüche sich vollkommen lösen lassen, die sich sonst in seinem Character ergeben würden.

Dieser Mann und Thwackum kamen kaum jemals zusammen, ohne daß sie in Streit geriethen, denn ihre Ansichten standen einander schnurgerade entgegen. Square hielt die menschliche Natur für die Vollkommenheit aller Tugend und das Laster nur für eine Abweichung von unserer Natur, gleichsam für geistige Mißgestaltung. Thwackum dagegen behauptete, das menschliche Herz sei seit dem Sündenfalle ein Sündenpfuhl, bis er durch die Gnade gereiniget werde. Nur in einem Punkte stimmten sie überein, darin nämlich, daß sie bei allen ihren Gesprächen über Moralität nie das Wort »gut« erwähnten. Der Lieblingsausdruck des ersteren war »die natürliche Tugendschöne,« und jener des letztern »die göttliche Macht der Gnade.« Der erstere maß alle Handlungen mit dem unveränderlichen Maßstabe des Rechtes und der ewigen Zweckmäßigkeit aller Dinge; der letztere entschied alles nach Autorität und führte dabei immer die Bibel und deren Ausleger an.

109 Nach dieser kurzen Einleitung möge sich der Leser gefälligst erinnern, daß der Geistliche seine Rede mit einer triumphirenden Frage geschlossen hatte, auf die er keine Antwort erwartete, nämlich: kann Ehre unabhängig von Religion bestehen?

Square entgegnete darauf: man könne unmöglich philosophisch über Worte sprechen, bevor nicht die Bedeutung derselben festgestellt sei und es gäbe kaum zwei Worte von unbestimmterer und ungewisserer Bedeutung als die beiden erwähnten, denn man habe fast eben so viele verschiedene Meinungen über Ehre als über Religion. »Aber,« fuhr er fort, »wenn Sie unter Ehre die wahre natürliche Tugendschöne verstehen, so behaupte ich, daß sie unabhängig von jeder Religion bestehen kann. Ja,« setzte er hinzu, »Sie selbst werden zugeben, daß sie unabhängig von allen, eine ausgenommen, bestehen könne; dasselbe wird ein Mahomedaner, ein Jude, werden alle Anhänger aller verschiedenen Secten in der Welt behaupten.«

Thwackum entgegnete, dies heiße mit der gewöhnlichen Bosheit aller Gegner der wahren Kirche räsonnirt. Er bezweifle es nicht, daß alle Ungläubigen und Ketzer in der Welt die Ehre, wenn sie es könnten, auf ihre eigenen absurden Irrthümer und verdammungswürdigen Täuschungen beschränken würden, »aber die Ehre,« sagte er, »ist darum noch nicht eine mannichfaltige, weil es viele absurde Meinungen über dieselbe giebt; auch die Religion ist nicht mannichfaltig, weil es verschiedene Secten und Ketzereien in der Welt giebt. Wenn ich Religion sage, so meine ich die christliche Religion und nicht blos die christliche Religion, sondern die protestantische Religion und nicht blos die protestantische Religion, sondern die Kirche von England. Sage ich Ehre, so meine ich die Art der göttlichen Gnade, welche nicht blos mit dieser Religion übereinstimmt, sondern von 110 derselben abhängt, die mit keiner andern übereinstimmt und von keiner andern abhängt. Wer also sagt, daß die Ehre, die ich hier meine und die ich, denke ich, nur meinen konnte, eine Unwahrheit dulden oder gar gebieten könne, behauptet eine unbegreifliche Absurdität.«

»Ich enthalte mich absichtlich,« entgegnete Square, »einen Schluß zu ziehen, der nach dem, was ich gesagt habe, auf der Hand liegt; wenn Sie ihn bemerkten, so haben Sie sicherlich nicht versucht, darauf zu antworten. Wenn ich auch die Religion fallen lasse, so haben wir doch nach dem, was Sie sagten, verschiedene Ideen von der Ehre, warum träfen wir sonst nicht in denselben Ausdrücken zu ihrer Erklärung zusammen? Ich habe behauptet, wahre Ehre und wahre Tugend wären fast gleichbedeutende Ausdrücke und beide nach dem unveränderlichen Maßstabe des Rechtes und der ewigen Zweckmäßigkeit der Dinge gebildet; denn da diesem eine Unwahrheit geradezu widerstreitet, so kann wahre Ehre gewiß keine Unwahrheit dulden. Darin also, denke ich, stimmen wir überein; daß man aber sagen könne, diese Ehre beruhe auf Religion, der sie vorausgeht, wenn man unter Religion irgend ein positives Gesetz versteht . . .«

»Ich,« fiel Thwackum hitzig ein, »mit einem Manne übereinstimmen, der behauptet, die Ehre gehe der Religion voraus! Herr Allworthy, stimmte ich überein . . . .?«

Er wollte weiter sprechen, Herr Allworthy unterbrach ihn aber, indem er ganz gelassen erklärte, sie hätten beide seine Meinung nicht verstanden, da er nichts von wahrer Ehre gesagt. Er möchte indeß die Streitenden, die beide warm wurden, nicht leicht haben beruhigen können, wäre nicht etwas anderes eingetreten, das der Unterhaltung für diesmal ein Ende machte.


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