Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Eine kurze Schilderung des Squire Allworthy und eine ausführlichere der Miß Brigitte Allworthy, seiner Schwester.

In jenem Theile des Westens dieses Königreichs, welcher gewöhnlich Somersetshire genannt wird, lebte vor Kurzem, und lebt vielleicht noch, ein Mann mit Namen Allworthy, den man den Günstling der Natur und des Glückes hätte nennen können, denn beide schienen mit einander gewetteifert zu haben, ihn mit ihren besten Gaben zu überschütten. Einige werden wohl der Meinung sein, die Natur habe bei diesem Wettkampfe den Sieg errungen, weil sie ihm viele Gaben verlieh, während das Glück nur eine einzige Gabe zu reichen vermochte; sie ging aber dabei so verschwenderisch zu Werke, daß Andere vielleicht glauben, diese einzige Gabe komme allen den verschiedenen Segnungen, die ihm die Natur verliehen, mehr als gleich. Von der letztern erhielt er nämlich eine angenehme Persönlichkeit, eine dauerhafte Gesundheit, einen guten Verstand und ein 5 wohlwollendes Herz; durch das erstere dagegen gelangte er in den Besitz eines der größten Güter in der Grafschaft.

Dieser Mann hatte sich in seiner Jugend mit einem schönen und höchst achtbaren Mädchen verheirathet, dasselbe als seine Frau zärtlich geliebt und von ihr drei Kinder erhalten, die sämmtlich frühzeitig starben. Auch das Unglück hatte er gehabt, sein geliebtes Weib selbst etwa fünf Jahre vor der Zeit begraben zu müssen, in welcher unsere Geschichte beginnt. Diesen Verlust trug er, ob er wohl groß war, wie ein verständiger, fester Mann, ob er gleich bisweilen etwas seltsam darüber sprach, denn er äußerte nicht selten, er sehe sich noch immer für verheirathet an, als habe seine Frau nur eine kurze Zeit vor ihm eine Reise angetreten, die er gewißlich, früher oder später, ebenfalls werde machen müssen, und er zweifle nicht im mindesten, daß er sie an einem Orte wiederfinden werde, wo er nie wieder von ihr getrennt werden würde, – Ansichten, um deretwillen ein Theil seiner Nachbarn seinen Verstand, ein zweiter seine Religion und ein dritter seine Aufrichtigkeit bezweifelte.

Er lebte nun meist zurückgezogen auf dem Lande mit einer Schwester, die er zärtlich liebte. Diese Dame war etwas über die Dreißig hinaus, in welcher Zeit, nach der Meinung der Boshaften, ein unverheirathetes Frauenzimmer nicht mit Unrecht bereits »alte Jungfer« genannt werden kann. Sie gehörte zu den Frauen, die man mehr wegen ihrer guten Eigenschaften, als wegen ihrer Schönheit rühmt und die von ihrem eignen Geschlechte gewöhnlich gutmüthige Frauen genannt werden. Sie war wirklich so weit davon entfernt, den Mangel der Schönheit zu bejammern, daß sie diesen Vorzug (wenn es einer ist) stets mit einer gewissen verächtlichen Miene erwähnte, ja Gott oft dankte, daß sie nicht so hübsch sei, wie die oder die, welche vielleicht eben durch ihre Schönheit auf Abwege verlockt worden sei, 6 die sie außerdem vermieden haben würde. Miß Brigitte Allworthy (so hieß die Dame) hielt mit vollem Rechte die körperlichen Reize an einem Weibe für nichts weiter, als Schlingen für sie selbst oder für Andere; trotz dem aber war sie in ihrem Wandel so vorsichtig und hielt so klug Wache, als hätte sie alle Schlingen zu fürchten, die jemals für ihr ganzes Geschlecht gelegt worden sind. Ich habe indeß die Bemerkung gemacht (wenn sie auch dem Leser unerklärlich zu sein scheinen mag), daß diese Klugheitswache, wie die disciplinirten Soldaten, am bereitwilligsten da aufzieht, wo am wenigsten Gefahr zu befürchten ist. Sie verläßt oft feig jene Posten, nach denen die Männer alle seufzen und schmachten und jedes Netz auswerfen, und begleitet meist unablässig jene höhere Klasse von Frauen, gegen welche die Männer eine scheuere Ehrfurcht hegen und die sie (wie ich vermuthe, weil sie am Gelingen des Versuches zweifeln) niemals anzugreifen wagen.

Ehe wir weiter fortfahren, lieber Leser, halte ich es für gerathen, Dich darauf aufmerksam zu machen, daß ich im ganzen Verlaufe dieser Geschichte so oft abzuschweifen gedenke, als ich eine Gelegenheit dazu sehe, was ich besser zu beurtheilen weiß, als irgend ein Kritiker.


 << zurück weiter >>