Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Dreizehntes Kapitel,

welches das erste Buch beschließt und zwar mit einem Beispiele von Undankbarkeit, die, wie wir hoffen, unnatürlich erscheinen wird.

Der Leser kann aus dem, was erzählt worden ist, abnehmen, daß die Versöhnung (wenn sie wirklich so genannt werden kann) nur eine Sache der Form war; wir übergehen sie deshalb und wenden uns zu einem Umstande, den man für wichtig halten wird.

49 Der Doctor hatte seinem Bruder mitgetheilt, was zwischen Allworthy und ihm geschehen war und mit einem Lächeln hinzugesetzt: »ich gab Dich ganz auf, ja ich forderte den guten Mann förmlich auf, Dir nicht zu verzeihen, denn Du weißt, nachdem er sich günstig über Dich ausgesprochen hatte, konnte ich ganz sicher eine solche Forderung an einen Mann von seinem Charakter richten, und ich wünschte sowohl um deinet- als um meinetwillen, jeder Möglichkeit eines Verdachtes zuvorzukommen.«

Capitain Blifil achtete in diesem Augenblicke nicht im mindesten darauf, machte es sich aber später bedeutend zu Nutzen.

Ein Grundsatz, den der Böse bei seinem letzten Besuche auf der Erde seinen Schülern hinterließ, ist der, wenn man emporgestiegen ist, den Stuhl umzustoßen, auf welchem man emporstieg, oder in klarem Deutsch, wenn man sein Glück durch die Gefälligkeiten und Dienste eines Freundes gemacht hat, ihn sobald als möglich bei Seite zu schaffen und zu verstoßen.

Ob der Capitain nach diesem Grundsatze handelte, will ich nicht bestimmen; so viel aber können wir im Vertrauen sagen, daß seine Handlungen recht wohl aus diesem teuflischen Grundsatze hergeleitet werden konnten, ja daß es schwer war, ihnen einen andern Beweggrund unterzulegen, denn sobald er sich im Besitz Brigittens sah und mit Allworthy ausgesöhnt war, fing er an, gegen seinen Bruder eine Kälte zu zeigen, die täglich zunahm, bis sie endlich Härte und einem jeden sichtbar wurde.

Der Doctor hielt ihm unter vier Augen dieses sein Benehmen vor, konnte aber keine andere Genugthuung erhalten als die nachstehende Antwort: »wenn Dir in meines Schwagers Hause etwas nicht gefällt, so steht es Dir ja frei, dasselbe zu verlassen.« Diese seltsame, grausame und fast unerklärliche Undankbarkeit des Capitains brach dem 50 armen Doctor das Herz, denn Undankbarkeit verwundet die menschliche Brust am tiefsten, wenn sie von denen ausgeht, um deretwillen wir uns etwas haben zu Schulden kommen lassen. Gedanken an große und gute Thaten, wie sie auch von denen, für welche sie verrichtet wurden, aufgenommen oder erwiedert worden sein mögen, gewähren uns immer ein gewisses Vergnügen; aber welchen Trost sollen wir bei einer so schrecklichen Noth empfinden, wie es das undankbare Benehmen unseres Freundes ist, wenn zu gleicher Zeit unser Gewissen sich verletzt fühlt und uns vorwirft, wir hätten es zu Gunsten eines so unwürdigen Menschen belastet!

Allworthy sprach selbst mit dem Capitain für dessen Bruder und wünschte zu wissen, welches Vergehen der Doctor sich habe zu Schulden kommen lassen. Der hartherzige Capitain war schlecht genug, darauf die Antwort zu geben, er könnte ihm die Beleidigung nicht verzeihen, die er ihm zu seinem Vortheile anzuthun versucht habe und die so grausam sei, daß sie durchaus nicht verziehen werden könne.

Allworthy sprach von dieser Erklärung in sehr starken Ausdrücken und meinte, sie schicke sich nicht für einen Mann. Ja er äußerte einen so starken Unwillen darüber, daß der Capitain sich endlich stellte, als sei er von den Gründen überzeugt und äußerlich Versöhnung heuchelte.

Die junge Frau hatte Flitterwochen und war so leidenschaftlich für ihren Mann eingenommen, daß er in ihren Augen niemals Unrecht haben konnte und sein Mißfallen mit irgend Jemand war für sie ein vollkommen hinreichender Grund, sich über diese Person ebenfalls mißfällig zu äußern.

Der Capitain war, wie erwähnt, auf Allworthy's Andringen, scheinbar mit seinem Bruder ausgesöhnt, in seinem Herzen aber hegte er noch immer Groll. Auch fand er so viele Gelegenheiten, ihm Andeutungen davon zu geben, daß der Aufenthalt in dem Hause dem armen Doctor endlich 51 unerträglich wurde und er sich vornahm, lieber alle Unannehmlichkeiten in der Welt zu ertragen, als sich länger den grausamen und undankbaren Beleidigungen eines Bruders auszusetzen, für den er so viel gethan hatte.

Einmal hatte er sich vorgenommen, dem Herrn Allworthy alles mitzutheilen, aber es war ihm doch unmöglich, das Geständniß abzulegen, durch welches er einen so großen Theil von Schuld hätte auf sich nehmen müssen. Je schlimmer er übrigens seinen Bruder schilderte, um so größer mußte sein eigenes Vergehen gegen Allworthy erscheinen, und um so größer würde, wie er meinte, dessen Unwille sein.

Er schützte demnach irgend ein Geschäft vor, um seine Abreise zu entschuldigen und versprach, bald zurückzukehren; auch nahm er mit so gut erheuchelter Zufriedenheit und Freundschaft Abschied von seinem Bruder, daß, zumal der Capitain seine Rolle ebenfalls vortrefflich spielte, Allworthy vollkommen an die Aussöhnung der beiden Brüder glaubte.

Der Doctor ging direct nach London, wo er bald darauf vor Gram starb, an einem Leiden, das weit mehrere in das Grab bringt, als man gemeiniglich glaubt und das eigentlich in den Sterblichkeitslisten mit aufgeführt werden sollte, wäre es nicht in einem Puncte von allen andern Krankheiten verschieden, darin nämlich, daß es von keinem Arzte geheilt werden kann.

Nach einer höchst sorgfältigen Erörterung des frühern Lebens dieser beiden Brüder finde ich außer dem verfluchten oder höllischen oben erwähnten Grundsatze noch einen andern Beweggrund für das Benehmen des Capitains. Der Capitain war außerdem, wie wir bereits von ihm sagten, ein sehr stolzer und heftiger Mann und hatte seinen Bruder, der einen ganz andern Charakter und die beiden erwähnten Eigenschaften gar nicht besaß, stets etwas wegwerfend und hochmüthig behandelt. Der Doctor dagegen war weit 52 kenntnißreicher und hatte, wie man allgemein glaubte, einen weit bessern Verstand. Dies wußte der Capitain und konnte es nicht ertragen, denn wenn der Neid an sich eine sehr schlechte Leidenschaft ist, so wird seine Schärfe noch gesteigert, wenn er zugleich mir Verachtung gegen denselben Gegenstand zusammentrifft. Leider zeigt nun die Erfahrung, daß, wenn eine Verpflichtung zu diesen beiden hinzukommt, das Resultat keineswegs Dankbarkeit, sondern Haß und Uebelwollen ist.


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