Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Erstes Kapitel.

Enthält wenig oder nichts.

Der Leser wird sich gefälligst erinnern, daß wir im Anfange des zweiten Buches unsere Absicht andeuteten, über manche große Zeitabschnitte hinwegzugehen, in denen sich nichts ereignete, das in einer derartigen Chronik erwähnt zu werden verdient.

Wir berücksichtigen dabei nicht blos unsere eigene Würde und Bequemlichkeit, sondern auch den Vortheil des Lesers, denn nicht genug, daß wir ihn dadurch verhindern, seine Zeit durch Lesen ohne Vergnügen und Nutzen zu tödten, geben wir ihm auch bei allen solchen Fällen Gelegenheit, den wunderbaren Scharfsinn, den er besitzt, anzuwenden und jene leeren Zeiträume mit seinen eigenen Vermuthungen auszufüllen, wozu wir ihn in den vorhergehenden Seiten in den Stand zu setzen gesucht haben.

99 Jeder Leser weiß z. B., daß Allworthy anfangs über den Verlust seines Freundes jenen Gram empfand, den bei solchen Gelegenheiten alle Menschen fühlen, deren Herz nicht von Stein und deren Kopf nicht eben so hart ist. Welcher Leser weiß ferner nicht, daß Philosophie und Religion mit der Zeit diesen Gram mäßigen und endlich ganz verlöschen? – indem die erstere die Thorheit und Eitelkeit desselben darthut und die letztere ihn als unrecht tadelt, zu gleicher Zeit ihn aber dadurch lindert, daß sie auf Hoffnung in der Zukunft hindeutet, welche ein starkes und religöses Herz befähigen, von einem Freunde auf dessen Sterbebette mit fast derselben Ruhe Abschied zu nehmen, als schicke er sich zu einer langen Reise an, und fast mit derselben Hoffnung, ihn wieder zu sehen.

Der scharfsinnige Leser wird eben so wenig in Bezug auf Mad. Brigitte Blifil in Zweifel sein. Sie benahm sich die ganze Zeit hindurch, in welcher sich die Trauer außen am Körper zu zeigen hat, streng nach allen herkömmlichen Regeln in Bezug auf Kleidung und Anstand und paßte ihr Gesicht den verschiedenen Aenderungen ihrer Tracht an; denn wie sich diese von Schwarz in Grau, von Grau in Weiß verwandelte, so wechselte ihr Gesicht von Kummervoll in Traurig, von Traurig in Ernst, bis der Tag kam, an welchem sie ihre frühere Heiterkeit wieder annehmen durfte.

Wir haben diese beiden nur als Beispiele der Aufgabe angeführt, welche unsern Lesern der untersten Classe auferlegt werden kann. Höhere und schwierigere Uebungen der Urtheilskraft und des Scharfsinnes darf man wohl mit Recht von den in der Kritik höher gestellten erwarten. Ich bezweifle es nicht, daß diese manche beachtenswerthe Entdeckungen in den Verhandlungen machen werden, welche in der Familie unseres würdigen Mannes in allen den Jahren statt fanden, welche wir zu übergehen für zweckdienlich 100 hielten; denn obgleich in dieser Periode nichts sich ereignete, das in dieser Geschichte angeführt zu werden verdiente, so fehlte es doch nicht an verschiedenen Vorfällen, die eben so wichtig waren als die es sind, welche von unsern Tage- und Wochenblättern erzählt werden, mit deren Lesen viele Personen einen bedeutenden Theil ihrer Zeit, wie ich fürchte, mit sehr geringem Nutzen für sie, hinbringen. Bei den hier in Anregung gebrachten Muthmaßungen können einige der vortrefflichsten Fähigkeiten des Geistes mit großem Vortheile geübt werden, da es eine weit nützlichere Fähigkeit ist, die Handlungen der Menschen unter allen Umständen nach ihrem Character vorauszusagen, als aus den Handlungen auf den Character zu schließen. Das erstere erfordert allerdings größern Scharfsinn, kann aber mit demselben mit nicht geringerer Sicherheit geschehen als das letztere.

Da wir nun überzeugt sind, daß bei weitem der größte Theil unserer Leser die erwähnte Eigenschaft in hohem Grade besitze, so haben wir ihnen zur Uebung derselben einen Zeitraum von zwölf Jahren überlassen und führen nun unsern Helden in einem Alter von ungefähr vierzehn Jahren vor.


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