Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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131 Neuntes Kapitel.

Enthält einen Vorfall von gehässigerer Art nebst den Commentaren Thwackum's und Square's darüber.

Irgend Jemand, der in größerm Rufe der Weisheit stand als ich, hat die Bemerkung gemacht, ein Unglück komme selten allein. Ein Beispiel davon kann man, glaube ich, an den Herren sehen, welche das Unglück haben, einige ihrer schlechten Streiche entdeckt zu sehen; denn hier hält die Entdeckung selten eher an, bis alles heraus ist. So erging es auch dem armen Tom, dem kaum der Verkauf des Pferdes verziehen worden war, als man fand, daß er eine schöne Bibel verkauft, die ihm Allworthy gegeben, und das dafür gelösete Geld auf dieselbe Weise verwendet hatte. Diese Bibel hatte der junge Blifil gekauft, ob er gleich bereits eine andere besaß, theils aus Freundschaft für Tom, theils weil er nicht wollte, daß die Bibel um den halben Preis aus der Familie komme. Er gab also diesen halben Preis selbst, denn er war ein sehr kluger Jüngling und so sparsam mit dem Gelde, daß er fast jeden Groschen sammelte, den er von dem Herrn Allworthy erhielt.

Man hat gesagt, manche Leute könnten in keinen andern Büchern als in ihren eigenen lesen. Der junge Blifil dagegen bediente sich von der Zeit an, da er die Bibel Tom's erkauft hatte, keiner andern; ja man bemerkte, daß er weit öfter darin las, als er in der seinigen gelesen hatte. Da er nun Thwackum oftmals ersuchte, ihm schwierige Stellen zu erklären, so fiel diesem unglücklicher Weise Tom's Name in die Augen, der hier und da in dem Buche eingeschrieben war. Dies führte zu einer Untersuchung, welche den jungen Herrn Blifil nöthigte, den Zusammenhang der Sache zu entdecken.

Thwackum war entschlossen, ein Verbrechen dieser Art, 132 das er Entweihung des Heiligen nannte, nicht ungestraft hingehen zu lassen. Er schritt deshalb auch sofort zur Züchtigung, machte auch, damit noch nicht zufrieden, den Herrn Allworthy, sobald er denselben sah, mit diesem grausigen Verbrechen bekannt, für das er es hielt, schmähete Tom in den bittersten Ausdrücken und verglich ihn mit den Käufern und Verkäufern, die aus dem Tempel vertrieben wurden.

Square sah die Sache in einem ganz andern Lichte. Er sagte, es sei seiner Meinung nach kein größeres Verbrechen, ob man dieses oder jenes Buch verkaufe. Bibeln zu verkaufen sei nach allen Gesetzen erlaubt, nach den göttlichen und menschlichen und folglich liege darin nichts Ungeeignetes. Er äußerte auch gegen Thwackum, das große Aufheben, das er von der Sache mache, erinnere ihn an eine sehr fromme Frau, die aus reiner Andacht und Religiösität einer Dame ein Gebetbuch stahl.

Diese Erzählung trieb dem Geistlichen das Blut mit Macht in das Gesicht, das schon an sich nicht zu den blässesten gehörte, und er wollte eben mit größter Wärme und in großem Unwillen antworten, als Mad. Blifil, die zugegen war, sich dazwischen schlug. Sie trat gänzlich auf Square's Seite, argumentirte sehr gelehrt zur Unterstützung seiner Meinung und schloß mit den Worten, wenn Tom sich eines Vergehens schuldig gemacht habe, so müsse sie gestehen, daß ihr Sohn eben so schuldig sei, denn sie könne keinen Unterschied sehen zwischen einem Verkäufer und einem Käufer, die ja beide aus dem Tempel getrieben worden wären.

Mad. Blifil machte der Debatte ein Ende, nachdem sie ihre Meinung ausgesprochen hatte. Square's Triumph würde ihm fast die Worte unterdrückt haben, hätte er dieselben gebraucht, und Thwackum, der aus früher erwähnten 133 Gründen nicht wagen durfte, die Dame zu kränken, erstickte fast vor Aerger. Allworthy seiner Seits sagte, da der Knabe bereits bestraft worden sei, so wolle er seine Ansichten bei der Gelegenheit nicht aussprechen, und ich muß es der Vermuthung des Lesers überlassen, ob er dem Knaben zürnte oder nicht.

Bald darauf wurde von dem Squire Western (dem Herrn, auf welches Gute das Rebhuhn geschossen worden war) eine Klage gegen den Jäger wegen gleicher Diebereien vorgebracht. Das war ein höchst unseliger Umstand für den Mann, da er ihm an sich schon mit Verderben drohete und überdies auch Herrn Allworthy verhinderte, ihm seine Gunst wieder zuzuwenden, denn als der gute Mann eines Abends mit dem jungen Blifil und Tom Jones spazieren ging, führte ihn der letztere klug nach der Wohnung des Schwarzen Georgs, wo man die Familie desselben, nämlich seine Frau und Kinder, in allem Elende fand, das Kälte,. Hunger und Blöße über den Menschen bringen können; denn das Geld, das sie von Jones erhalten hatten, war bereits fast ganz von frühern Schulden aufgezehrt worden.

Eine solche Scene mußte einen tiefen Eindruck auf das Herz Allworthy's machen. Er gab der Mutter sofort ein Paar Guineen und forderte sie auf, damit ihre Kinder zu kleiden. Die arme Frau brach über diese Güte in Thränen aus, konnte aber, während sie ihm dankte, auch nicht umhin, ihre Erkenntlichkeit für Jones auszudrücken, der, sagte sie, sie und die Ihrigen lange vor dem Verhungern bewahrt habe. »Wir haben keinen Bissen zu essen,« sagte sie, »und die armen Kinder haben keine Lumpen zur Bedeckung außer dem, was seine Güte uns gegeben.« Tom hatte wirklich, außer dem Pferde und der Bibel, einen Nachtanzug und andere Dinge zum Nutzen für die arme Familie verwendet.

134 Auf dem Rückwege bot Tom seine ganze Beredtsamkeit auf, um die Noth dieser Leute in recht helles Licht zu stellen, so wie auch die Buße des schwarzen Georgs, und dies gelang ihm so wohl, daß Allworthy sagte, er glaube, der Mann habe für sein Vergehen genug gebüßt, er würde ihm also vergeben und über die Mittel nachdenken, für ihn und die Familie zu sorgen.

Jones war über diese Nachricht so erfreut, daß, ob es schon finster war, als sie nach Hause kamen, er doch im Regen eine Meile weit zurücklief, um der armen Frau die frohe Kunde zu bringen. Er hatte indeß auch, wie die voreiligen Neuigkeitsausbreiter, die Unannehmlichkeit zu erfüllen, diese Freude wieder zu stören, denn das Unglück des Schwarzen Georgs benutzte gerade die Gelegenheit der Abwesenheit seines Freundes, um wieder alles umzustürzen.


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