Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.

Enthält Dinge, welche den Leser überraschen werden.

Jenny kehrte nach Hause zurück völlig zufrieden mit der Aufnahme, die sie bei Herrn Allworthy gefunden hatte, dessen Nachsicht sie wohlbedächtig überall erzählte und rühmte, theils vielleicht um ihrem eignen Stolze zu schmeicheln und theils aus Klugheit, um die Nachbarn wieder mit ihr zu versöhnen und dem Gerede ein Ende zu machen.

Obgleich nun die letztere Absicht, wenn sie dieselbe wirklich hatte, verständig genug ist, so entsprach der Erfolg ihrer Erwartung doch keineswegs; denn als sie zu dem Friedensrichter beschieden wurde und man allgemein der Meinung war, das Zuchthaus würde ihr Schicksal sein, so gab es doch einige, die sie bedauerten, wenn auch einige Mädchen äußerten, es sei dies gut genug für sie, und sich bereits an dem Gedanken ergötzten, sie werde in ihrem seidenen Kleide Hanf brechen müssen; als es aber bekannt wurde, wie Herr Allworthy sich gegen sie benommen hatte, wendete sich die Fluth ganz gegen sie. Die eine sagte: »wahrhaftig, sie hat Glück;« eine zweite meinte: »da sieht man, was es einbringt, bei vornehmen Herren in Gunst zu stehen;« eine dritte äußerte: »ja, das kommt von der Gelehrsamkeit,« und alle machten diese oder jene böswillige Bemerkung darüber und über die Parteilichkeit des Friedensrichters.

32 Der Leser hält, wenn er die Macht und das Wohlwollen Allworthy's bedenkt, das Benehmen dieser Leute vielleicht für unartig und undankbar; aber der Herr Allworthy gebrauchte seine Macht nicht und übte sein Wohlwollen in so reichlichem Maße, daß er alle seine Nachbarn von sich abgewendet hatte, denn es ist wohl bekannt, besonders den Großen, daß sie sich durch eine Wohlthat nicht immer einen Freund erwerben, sicherlich aber sich viele zu Feinden machen.

Jenny wurde indeß durch die Güte des Herrn Allworthy diesen tadelsüchtigen Zungen bald entzogen, und die Bosheit, die ihre Wuth nicht mehr an dem Mädchen auslassen konnte, fing an, sich einen andern Gegenstand zu suchen, der kein anderer war, als Herr Allworthy selbst, denn man murmelte und flüsterte bald, Niemand anders, als er selbst sei der Vater des Findlings.

Diese Annahme erklärte sein Benehmen so vollkommen, daß ihr alle beistimmten; das Gerede gegen seine Nachsicht nahm bald eine andere Richtung und änderte sich in Schmähungen über seine Grausamkeit gegen das arme Mädchen um. Sehr ernste und gute Frauen ereiferten sich über die Männer, welche Kinder erzeugten und sie dann nicht anerkenneten. Es fehlte auch nicht an solchen, die nach der Entfernung Jenny's andeuteten, sie wäre in einer Absicht weggebracht worden, die zu schrecklich sei, als daß man sie aussprechen könne, und häufig darauf hinwiesen, die ganze Sache sollte gerichtlich untersucht werden und gewisse Leute sollten gezwungen werden, nachzuweisen, wo das Mädchen sich befinde.

Diese Verläumdungen hätten recht wohl schlimme Folgen haben, wenigstens einige Verlegenheiten herbeiführen können, wäre der Charakter des Herrn Allworthy zweifelhafter und verdächtiger gewesen, als er wirklich war; so hatten sie keine solche Wirkung, wurden von ihm aus Herzensgrund 33 verachtet und dienten nur dazu, den guten Leuten in der Nachbarschaft ein unschuldiges Vergnügen zu machen.

Da wir unmöglich errathen können, welches Temperament unser Leser hat und da eine ziemliche Zeit vergehen wird, ehe wir von Jenny wieder etwas hören, so halten wir es für nöthig, schon jetzt anzuzeigen, daß Herr Allworthy durchaus keine verbrecherische Absicht hegte. Er hatte nichts verbrochen und nur einen Irrthum begangen, weil er die Gerechtigkeit mit Milde paarte und sich weigerte, dem liebreichen PöbelUnter diesem Worte verstehe ich in diesem Werke immer Personen ohne Tugend aus jedem Stande, oft aus dem höchsten. in der Person der armen Jenny einen Gegenstand zu geben, an dem derselbe sein Mitleiden üben könne; denn man wünschte, das Mädchen möge, damit man es bemitleiden könne, im Zuchthause dem Verderben und der Schande übergeben worden sein.

Weit entfernt, diesem Wunsche zu genügen, durch dessen Erfüllung jede Hoffnung auf Besserung würde aufgehoben, ja dem Mädchen die Möglichkeit verschlossen worden sein, wenn sie später die Neigung gefühlt hätte, den Weg der Tugend wieder zu betreten, munterte Herr Allworthy das Mädchen vielmehr in der allein möglichen Weise auf, dahin zurückzukehren, denn es ist, wie ich fürchte, nur zu wahr, daß viele Frauen nur deshalb bis zum äußersten Grade des Lasters gesunken sind, weil sie ihren ersten Fehltritt nicht wieder gut machen konnten. Dies wird leider immer der Fall sein, so lange sie unter ihren frühern Bekannten bleiben und es war deshalb von dem Herrn Allworthy sehr weise gehandelt, Jenny an einen Ort zu bringen, wo sie das Vergnügen des guten Rufes genießen konnte, nachdem sie die schlimmen Folgen des Verlustes desselben erfahren hatte.

34 Wir wollen ihr also eine glückliche Reise an diesen Ort wünschen, wo er auch liegen mag, und für jetzt Abschied von ihr, wie von ihrem Kinde nehmen, da wir dem Leser weit wichtigere Dinge mitzutheilen haben.


 << zurück weiter >>