Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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56 Zweites Kapitel.

Eine Warnung, nicht zu wohlwollend gegen Bastarde zu sein und eine große Entdeckung, welche Jungfer Deborah Wilkins macht.

Acht Monate nach der Feier der Vermählung zwischen dem Capitain Blifil und Miß Brigitte Allworthy, einer jungen Dame von großer Schönheit, Verdienst und Vermögen, wurde die junge Frau, in Folge eines Schreckens von einem hübschen Knäbchen entbunden. Das Kind war wirklich allem Ansehen nach vollkommen; die Hebamme jedoch meinte, es sei einen Monat vor der Zeit zur Welt gekommen.

Obgleich die Geburt eines Erben durch seine geliebte Schwester für den Herrn Allworthy ein höchst erfreulicher Umstand war, so entfremdete sie doch seine Liebe dem kleinen Findlinge nicht, den er aus der Taufe gehoben und dem er seinen eigenen Namen Thomas gegeben, den er auch bisher des Tages wenigstens einmal besucht hatte.

Er sagte seiner Schwester, wenn es ihr recht sei, solle das neugeborene Kind mit dem kleinen Tom erzogen werden und sie willigte ein, obgleich mit einigem Widerstreben, denn sie erzeigte wirklich gern ihrem Bruder jede Gefälligkeit und deshalb hatte sie sich auch freundlicher gegen den Findling benommen, als Frauen von strenger Tugend sonst wohl gegen solche Kinder sind, die, wie unschuldig sie auch sein mögen, doch die lebenden Zeugen der Unkeuschheit genannt werden können.

Der Capitain konnte nicht so leicht dahin gebracht werden, das zu ertragen, was er für einen Fehler des Herrn Allworthy erklärte. Er deutete öfters darauf hin, daß man die Sünde begünstige, wenn man der Früchte derselben sich annehme. Er führte mehrere Bibelstellen an (denn er war in 57 der heiligen Schrift sehr belesen), wie z. B.: »er sucht die Sünde der Väter heim an den Kindern,« und »die Väter haben sauere Trauben gegessen und die Zähne der Kinder sind stumpf geworden.« Daraus leitete er die Rechtmäßigkeit der Bestrafung des Verbrechens der Eltern an dem Bastarde ab. Er sagte: »obgleich das Gesetz nicht geradezu erlaubt, solche in Sünde geborene Kinder umzubringen, so erklärt es dieselben doch für Niemandes Kinder; auch die Kirche hält sie für Niemandes Kinder und sie sollten höchstens für die niedrigsten und gemeinsten Arbeiten im Staate bestimmt werden.«

Herr Allworthy antwortete auf dieses und noch vieles andere, was der Capitain über diesen Gegenstand vorgebracht hatte, daß die Kinder sicherlich unschuldig wären, welche große Schuld die Eltern auch auf sich geladen haben möchten; was die angeführten Bibelstellen betreffe, so sei die erstere eine besondere Drohung gegen die Juden wegen der Sünde der Abgötterei und der Mißachtung gegen ihren himmlischen König; die letztere dagegen sei bildlich gesagt und solle mehr die gewisse und nothwendige Folge der Sünde als eine ausdrückliche Strafe gegen dieselbe anzeigen. Es sei unpassend, wenn nicht gar gotteslästerlich, wenn man von dem Allmächtigen sagen wolle, er räche und strafe die Sünden der Schuldigen an den Unschuldigen, indem man behaupte, er handele gegen die ersten Grundsätze des Naturrechtes und gegen die Urbegriffe von Recht und Unrecht, die er uns selbst in das Herz gelegt habe. Er fuhr dann fort, er wisse recht wohl, daß viele dieselben Ansichten über diesen Punkt hätten wie der Capitain, er für seine Person aber sei fest von dem Gegentheile überzeugt und würde auf dieselbe Weise für dieses arme Kind sorgen, als wenn ein eheliches Kind an der Stelle gefunden worden sei.

Während der Capitain jede Gelegenheit benutzte, diese 58 und ähnliche Gründe geltend zu machen, um den kleinen Findling aus dem Hause Allworthy's zu entfernen, denn er fing an auf die Liebe desselben gegen das Kind eifersüchtig zu sein, hatte Jungfer Deborah eine Entdeckung gemacht, die für den armen kleinen Tom verderblicher zu werden drohte als alle Gründe des Capitains.

Ob die gute Frau nur ihrer unersättlichen Neugierde gefolgt war, oder ob sie es that, um sich das Wohlwollen der Madame Blifil zu sichern, die trotz ihrem scheinbar freundlichen Benehmen gegen den Findling, denselben, wenn es unbemerkt geschehen konnte, doch häufig schmähete und ihren Bruder mit wegen seiner Liebe zu ihm, will ich nicht entscheiden; sie hatte aber, wie sie meinte, den Vater des Findlings jetzt bestimmt entdeckt.

Da diese Entdeckung von großer Wichtigkeit ist, so dürfte es nöthig sein, sie bis zu ihrer Quelle zu verfolgen. Wir werden deshalb jene vorgängigen Dinge einzeln und genau vorlegen, durch welche sie hervorgebracht wurde, sind aber deshalb genöthiget, alle Geheimnisse einer kleinen Familie zu enthüllen, welche dem Leser bis jetzt noch ganz unbekannt ist und deren Einrichtung eine so seltene und außerordentliche war, daß ich selbst bei der äußersten Leichtgläubigkeit mancher verheiratheten Personen anzustoßen fürchte.


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