Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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76 Sechstes Kapitel.

Partridge, der Schulmeister, wird wegen Ehebruchs verhört; die Aussage seiner Frau; eine kurze Reflexion über die Weisheit des englischen Gesetzes, nebst andern wichtigen Dingen, die denen am Meisten zusagen werden, die sie am Besten verstehen.

Man darf sich wohl verwundern, daß eine so allgemein bekannte Geschichte, die so vielfach besprochen worden war, nie gegen Allworthy sollte erwähnt worden sein, der wohl die einzige Person in der Gegend war, die davon nichts gehört hatte.

Um dies dem Leser einigermaßen zu erklären, will ich ihm mittheilen, daß es im ganzen Lande Niemanden gab, der sich der Lehre in Bezug auf die Bedeutung des Wortes »Liebe« mehr zu widersetzen geneigt gewesen, als unser guter Allworthy, wie wir in dem vorigen Kapitel gesehen haben. Er hatte Anspruch auf diese Tugend in beiden Bedeutungen, denn wie Niemand empfänglicher für die Noth Anderer war und bereitwilliger derselben abzuhelfen sich bemühete, so konnte auch Niemand weniger geneigt sein, von seinem Nebenmenschen etwas Schlechtes zu glauben als er.

Uebele Nachreden durften deshalb an seinem Tische durchaus nicht geführt werden, denn, wie es eine längst gemachte Beobachtung ist, daß man einen Menschen kennen lernen kann, wenn man weiß, mit wem er umgeht, so behaupte ich auch, daß man nach den Gesprächen an der Tafel eines vornehmen Mannes auf dessen Religion, Ansichten in der Politik, Geschmack und ganzen Charakter schließen könne, weil, wenn auch einige ungewöhnliche Menschen ihre Ansichten und Meinungen an allen Orten rücksichtslos aussprechen, doch bei weitem die meisten so viel von einem Hofmanne haben, um ihre Gespräche nach dem 77 Geschmacke und der Vorliebe ihrer Vorgesetzten und Gönner einzurichten.

Die Haushälterin, die ihren Auftrag sehr eilig ausgerichtet hatte, obgleich der Ort funfzehn (engl.) Meilen entfernt war, brachte die Bestätigung der Schuld des Schulmeisters zurück und Allworthy entschloß sich, den Verbrecher zu sich zu bescheiden, um ihn selbst zu verhören. Partridge wurde demzufolge citirt, um sich gegen die Anklage zu vertheidigen, im Falle er es vermöge.

Zur bestimmten Stunde, noch vor dem Herrn Allworthy, erschien in Paradise-Hall sowohl der genannte Partridge mit seiner Frau Anna, als auch seine Anklägerin, die Haushälterin Wilkins.

Sobald Allworthy auf dem Richterstuhle Platz genommen hatte, wurde Partridge vor ihn gebracht, der, als er seine Anklage aus dem Munde der Wilkins gehört hatte, seine Unschuld laut und heftig betheuerte.

Darauf wurde die Frau Partridge verhört, die dann nach einem bescheidenen Vorworte, daß sie genöthiget sei, die Wahrheit gegen ihren Ehemann zu bekennen, alle Umstände erzählte, die dem Leser bereits bekannt sind. Sie schloß mit der Versicherung, daß ihr Mann seine Schuld ihr gestanden habe. Ich will es nicht zu ermitteln wagen, ob sie ihm vergeben hatte oder nicht, gewiß ist es, daß sie ungern als Zeuge auftrat und, wie sich aus andern Umständen ergiebt, höchst wahrscheinlich ihre Aussage nicht so gethan haben würde, hätte ihr die Wilkins in ihrem eigenen Hause nicht mit großer Kunst vorher schon alles abgefragt und in Allworthy's Namen ihr versprochen, die Strafe ihres Mannes würde nicht von der Art sein, daß die Familie darunter litte.

Partridge blieb bei der Betheuerung seiner Unschuld, ob er gleich zugab, das erwähnte Geständniß gethan zu haben. 78 Zu demselben sei er aber, wie er versicherte, durch die fortwährende Peinigung durch seine Frau gezwungen worden, die gelobt habe, sie werde, da sie von seiner Schuld überzeugt sei, nicht eher aufhören, ihn zu quälen und zu peinigen, bis er gestehe, in diesem Falle aber das Geschehene nicht wieder erwähnen. Dadurch sei er denn veranlaßt worden, sich gegen die Wahrheit für schuldig zu bekennen, und er würde eben so sich eines Mordes schuldig bekannt haben.

Die Frau Partridge konnte diese Beschuldigung nicht in Geduld anhören; da sie aber kein anderes Mittel an diesem Orte hatte als Thränen, so rief sie dieselben in Menge zum Beistande herbei, wendete sich an Allworthy und sagte: »halten Sie zu Gnaden, es ist niemals ein armes Weib so arg gekränkt worden, wie ich von diesem schlechten Manne, denn es ist nicht das erste Mal, daß er sich so falsch gegen mich zeigt. Nein, halten Sie zu Gnaden, er hat mein Ehebett viel und oftmals befleckt. Seine Trunksucht und seine Vernachlässigung des Geschäftes hätte ich ertragen können, wäre von ihm nur nicht eines der heiligsten Gebote übertreten worden. Auch würde ich kein großes Aufheben davon gemacht haben, wäre es außer dem Hause geschehen; aber mit meiner eigenen Magd, in meinem eigenen Hause, unter meinem eigenen Dache mein eigenes keusches Bett zu beflecken! – Ja, Du schlechter Mann, mein eigenes Bett hast Du befleckt und mich dann beschuldiget, ich hätte Dich gezwungen, die Wahrheit zu gestehen. Wie sollte ich ihn, halten zu Gnaden! zwingen! Ich trage an meinem Körper Spuren genug von seiner Grausamkeit gegen mich. Wärst Du ein Mann, Du Bösewicht, so würdest Du Dich geschämt haben, eine Frau auf solche Weise zu mißhandeln. Aber Du bist nur ein halber Mann, Du weißt es wohl. Gegen mich bist Du auch nur ein halber 79 Ehemann gewesen. Den Huren läufst Du nach . . . Und da er mich herausfordert, halten zu Gnaden, so will ich einen körperlichen Eid darauf leisten, daß ich sie im Bette zusammengetroffen habe . . . Du hast es wohl vergessen, daß Du mich schlugst, bis ich ohnmächtig wurde und das Blut mir am Gesichte herunterlief, blos weil ich Dir ganz ruhig Deinen Ehebruch vorhielt; – aber ich kann es durch alle meine Nachbarinnen beweisen. Das Herz hast Du mir fast gebrochen, ja das hast Du.«

Herr Allworthy unterbrach sie hier, bat sie, ruhig zu sein und versprach ihr, daß ihr Gerechtigkeit werden solle; dann wendete er sich an Partridge, der wie vom Donner gerührt da stand, und sagte, es thue ihm sehr leid, daß er sehen müsse, es gebe einen so schlechten Menschen in der Welt. Auch setzte er hinzu, sein Läugnen verschlimmere sein Vergehen noch weit mehr, das nur durch aufrichtiges Geständniß und durch Reue abgebüßt werden könne. Er ermahnte ihn deshalb, sogleich die Sache zu gestehen und nicht beim Läugnen zu verharren, da selbst seine eigene Frau gegen ihn zeuge.

Hier, Leser, bitte ich Dich um einen Augenblick Geduld, während ich die große Weisheit und den Scharfsinn des englischen Gesetzes preise, das das Zeugniß einer Frau für oder gegen ihren Mann für ungiltig erklärt. »Dies,« sagt ein gewisser gelehrter Schriftsteller, der wahrscheinlich bisher nur in juristischen Büchern citirt worden ist, »würde Veranlassung sein, ewigen Unfrieden unter ihnen zu stiften und zu gar vielen falschen Eiden, zu vielfachen Geldstrafen, Gefängniß, Deportation und Henken führen.«

Partridge stand eine Zeit lang schweigend da, bis er nochmals aufgefordert wurde zu sprechen, und dann erklärte, er habe bereits die Wahrheit gesagt, auch sich wegen seiner Unschuld auf den Himmel berief und zuletzt auf das 80 Mädchen selbst, die, wie er verlangte, sofort geholt werden müsse, denn er wußte es nicht, daß sie die Gegend verlassen hatte, oder stellte sich doch, als wisse er es nicht.

Allworthy, der aus natürlicher Gerechtigkeitsliebe und in Folge seines ruhigen Temperamentes, immer mit großer Geduld die Zeugen anhörte, die ein Angeklagter zu seiner Vertheidigung aufrufen konnte, willigte ein, sein Urtheil über die Sache bis zur Ankunft Jenny's zu verschieben, an die er sofort einen Boten abschickte. Nachdem er darauf Partridge und dessen Weibe anempfohlen hatte, Ruhe und Friede zu halten, gebot er ihnen, am dritten Tage wiederum zu erscheinen, da Jenny eine ganze Tagereise weit entfernt lebte.

Zur bestimmten Zeit fanden sich alle wiederum ein, der Bote aber brachte die Nachricht, Jenny sei nicht aufzufinden, weil sie einige Tage vorher ihre Wohnung mit einem Recrutirungsofficiere verlassen habe.

Allworthy erklärte darauf, das Zeugniß eines so schlechten Mädchens, wie dasselbe zu sein schiene, würde zwar keinen Glauben verdient haben, doch glaube er, sie würde, wäre sie zugegen und geneigt gewesen, die Wahrheit zu sagen, das bestätiget haben, was schon durch so viele Umstände, durch das eigene Geständniß des Schuldigen und durch die Behauptung der Frau genügend erwiesen sei, daß sie ihren Mann bei der That betroffen. Er ermahnte deshalb Partridge noch einmal zu gestehen und erklärte, als derselbe noch immer seine Unschuld betheuerte, er sei vollkommen von der Schuld des Angeklagten überzeugt, der demnach keine Unterstützung mehr von ihm empfangen werde. Er entzog ihm also den Jahrgehalt, empfahl ihm wegen des zukünftigen Lebens Reue, in dem jetzigen aber Fleiß, damit er sich selbst und seine Frau erhalte.

Es gab vielleicht nicht viele unglücklichere Personen als 81 den armen Partridge. Er hatte den besten Theil seines jährlichen Einkommens durch die Aussagen seiner Frau verloren und wurde doch von derselben täglich dafür gescholten, daß er unter andern auch die Ursache gewesen, um deretwillen sie diesen Vortheil entbehren müsse. So wollte es sein Geschick und er mußte sich in dasselbe fügen.

Ob ich ihn gleich eben den armen Partridge genannt habe, so wünsche ich doch, der Leser möge dieses Beiwort lieber als Aeußerung meines Mitleides ansehen als für eine Erklärung seiner Unschuld. Ob er unschuldig war oder nicht, wird vielleicht später an den Tag kommen; hat mir die Muse der Geschichte Geheimnisse anvertraut, so werde ich dieselben nicht eher offenbaren, als bis ich Erlaubniß dazu erhalte.

Hier muß der Leser also seine Neugierde zu mäßigen suchen. Wie die Sache sich eigentlich auch verhalten mochte, offenbar reichte der Schein hin, ihn vor Allworthy zu verdammen; möglich aber bleibt es doch immer, daß der Schulmeister völlig unschuldig war, trotz der bestimmten Behauptung der Frau Partridge, die sogar schwören wollte; denn obwohl der Zeit nach, wann Jenny Klein-Paddington verlassen, sie das Kind offenbar dort empfangen haben mußte, so folgte daraus doch noch nicht, daß Partridge der Vater desselben war, weil sich ja, andere Umstände zu geschweigen, in demselben Hause ein junger Bursch von etwa achtzehn Jahren befand, mit welchem Jenny so vertraut gelebt hatte, daß man wohl mit Grund Verdacht hegen konnte. Aber, so blind ist die Eifersucht, dieser Umstand kam der aufgebrachten Frau gar nicht in den Sinn.

Ob Partridge Reue empfand oder nicht, wie es ihm Allworthy empfohlen hatte, ist nicht so klar. Gewiß ist nur so viel, daß es seine Frau von Grund des Herzens bereuete, gegen ihn gezeugt zu haben, besonders als sie sich 82 überzeugen mußte, daß Deborah sie hintergangen hatte und sich weigerte, ihretwegen mit dem Herrn Allworthy zu sprechen. Etwas besser erging es ihr bei Mad. Blifil, die, wie der Leser schon bemerkt haben muß, eine Frau von weit besserm Character war und freundlich genug versprach, sich bei ihrem Bruder zu verwenden, daß er den Jahrgehalt wieder auszahle. An diesem Versprechen konnte die Gutmüthigkeit allerdings einigen Antheil haben; ein stärkerer und natürlicherer Grund aber wird sich in dem nächsten Kapitel zeigen.

Ihre Verwendung blieb indeß ohne Erfolg; denn obgleich Allworthy nicht die Ansicht einiger Schriftsteller hatte, nach welcher Gnade blos in der Bestrafung der Uebelthäter bestehen soll, so hielt er es doch eben so wenig für geeignet, großen Verbrechern leichtsinnig und ohne allen Grund zu verzeihen. Irgend etwas Zweifelhaftes bei der Sache, oder ein mildernder Umstand blieb nicht unberücksichtiget, durch Bitten des Verbrechers aber oder durch Verwendung Anderer ließ er sich nicht bestimmen. Mit einem Worte, er verzieh nie, wenn der Verbrecher selbst oder dessen Freunde wünschten, daß er nicht bestraft werde.

Partridge und seine Frau mußten sich also in ihr Schicksal fügen, das allerdings hart genug war, denn weit entfernt, seinen Fleiß und Eifer zu verdoppeln, weil sein Einkommen sich vermindert hatte, überließ er sich vielmehr gewissermaßen der Verzweiflung, und da er von Natur träge war, so nahm dieses Laster immermehr überhand, daß die kleine Schule endlich ganz einging und er mit seiner Frau nicht einmal Brod gehabt haben würde, hätten nicht einige mildthätige Menschen sie mit dem Nothwendigsten versehen.

Da sie diese Unterstützung durch eine unbekannte Hand erhielten, so meinten sie und mit ihnen ohne Zweifel die 83 Leser, Herr Allworthy selbst sei im Geheimen ihr Wohlthäter, der, ob er gleich das Laster nicht öffentlich unterstützen wollte, doch im Geheimen die Noth der Lasterhaften lindern konnte, wenn dieselbe gar zu drückend wurde. In diesem Lichte erschien ihr Zustand jetzt dem Schicksale selbst, denn es erbarmte sich endlich des unglücklichen Paares und verringerte das Elend Partridge's dadurch bedeutend, daß es dem seiner Frau ganz und gar ein Ende machte, welche bald nachher die Blattern bekam und daran starb.

Die Gerechtigkeit, die Allworthy in diesem Falle geübt hatte, fand Anfangs allgemeinen Beifall; kaum aber fühlte Partridge die Folgen davon, so fingen seine Nachbarn an ihn zu bemitleiden und dann das als Härte und Strenge zu tadeln, das sie früher Gerechtigkeit genannt hatten. Sie eiferten gegen kaltblütiges Strafen und priesen und erhoben laut die Gnade und Verzeihung.

Dieses Geschrei wurde noch lauter bei dem Tode der Frau Partridge, der zwar eine Folge der oben erwähnten Krankheit war, die keine Folge der Armuth ist, von gar Vielen aber der Strenge, oder wie sie es nannten, der Grausamkeit Allworthy's zur Last gelegt wurde.

Partridge, der so seine Frau, seine Schule und seinen Jahresgehalt eingebüßt hatte, nahm sich vor, zumal da der unbekannte Wohlthäter seine Unterstützung aufhören ließ, den Schauplatz seines Lebens zu ändern und verließ deshalb unter allgemeinem Bedauern seiner Nachbarn die Gegend, in welcher er in Gefahr war, Hungers zu sterben.


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