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Aus den »Deutschen Gassenliedern«.

1843.

Michelsode.

12. Mai 1843.

Mel.: Das Jahr ist gut, braun Bier ist geraten.

Ihr habt Anno 13 den Michel gewecket
Und ihn aus dem bleiernen Schlafe geschrecket:
Wache nur bis den Feind du gejagt übern Rhein –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt Anno 14 auf euren Kongressen
Des tapferen Michels so ziemlich vergessen
Und habt ihm gegeben ein Schlaftrünkelein –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt Anno 15 in Frankfurt gegründet
Den deutschen Bund, und den Deutschen verkündet:
Jetzt könnten sie frei und glücklich erst sein –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt Anno 19 in Karlsbad gesprochen,
Der Michel der habe gar vieles verbrochen,
Er müsse wieder schlafen zu seinem Gedeihn –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt auch den Michel noch unterdessen
Gefasset bei seinen materiellen Interessen
Und habet gestiftet den Zollverein –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt für Walhalla und den Dombau am Rheine
Begeistert die gläubige Michelsgemeine
Und bettetet gerne den Michel hinein
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt euch bemühet, mit allerlei Dingen
Den ehrlichen Michel in Schlummer zu bringen,
Ihm gesungen von Einheit, vom frei'n deutschen Rhein –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Ihr habt die Zensur gelobt und gepriesen
Und ihre Notwendigkeit Micheln bewiesen:
Um seinetwillen geschäh's nur allein –
Doch den Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

Nein, Michel ist munter und wird hinfort wachen
Und läßt sich kein X für ein U hinfort machen,
Ihr möget zensiern und euch abkastein –
Vetter Michel den schläfert ihr nie wieder ein!

*

Ein Lied für künftige Fälle.

16. Mai 1843.

Mel.: Raritete sein ßu sehn.

Russisch werden wir gar bald – -
Das ist keine Frage:
Wird's bei uns nicht russischer
Jetzt von Tag zu Tage?
Wird bei uns nicht oktroyiert
Ebenso als ob regiert
Schon die russische Knute?

Unsre Fürsten wollen gern
Russisch uns dressieren,
Denn sie glauben, daß sie so
Leichter uns regieren;
Doch sie denken gar nicht dran,
Daß der weiße Zar alsdann
Leichter uns erobert.

Uns gefällt die Knute nicht:
Wird sie wohl gefallen
Unsern Fürsten, wenn sie sind
Russische Vasallen?
Manchem könnt' es schaden zwar
Nicht, wenn er einmal im Jahr
Auch die Knute schmeckte.

Meinetwegen laßt uns dann
Immer russisch werden,
Jedes Unglück hat ja doch
Auch sein Guts auf Erden,
Und wir können offenbar
Dann recht billig Kaviar
Und Kapuster essen.

*

Das Lied vom deutschen Ausländer.

29. Oktober 1842.

Ein Knabe lernte ein Gebet,
Das sprach er täglich früh und spät,
Er sprach es, wo er ging und stand,
Zu Gott empor fürs Vaterland:
Kein Österreich, kein Preußen mehr!
Ein einig Deutschland, groß und hehr,
Ein freies Deutschland Gott bescher!
Wie seine Berge fest zu Trutz und Wehr.

Und als der Knabe ward ein Mann,
Da tat man ihn sofort in Bann,
Man schickt' ihn flugs aus Preußen fort,
Weil er zu laut einst sprach das Wort:
Kein Österreich, kein Preußen mehr!
Ein einig Deutschland, groß und hehr,
Ein freies Deutschland Gott bescher!
Wie seine Berge fest zu Trutz und Wehr.

Wie er aus Preußen war verbannt,
Da nahm ihn auf kein deutsches Land;
Er durfte nicht einmal hinein
In Reuß, Greiz-Schleiz und Lobenstein.
Kein Österreich, kein Preußen mehr!
Ein einig Deutschland, groß und hehr,
Ein freies Deutschland Gott bescher!
Wie seine Berge fest zu Trutz und Wehr.

Lebwohl! rief er der Heimat zu,
Wo man mir gönnt nicht Rast noch Ruh',
Wo ich zuletzt kein Fleckchen fand,
Zu beten für mein Vaterland:
Kein Österreich, kein Preußen mehr!
Ein einig Deutschland, groß und hehr,
Ein freies Deutschland Gott bescher!
Wie seine Berge fest zu Trutz und Wehr.

Und als er auf dem Rigi stand,
Jetzt neununddreißigmal verbannt,
Sang er in Lieb' und Zorn entbrannt:
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ein Österreich, ein Preußen nur!
Von deutscher Freiheit keine Spur!
Und reget sich ein Mäuslein nur,
Gleich packt's die Polizei und die Zensur.

*

Michels Abendlied.

21. März 1843.

Mel.: Wir hatten gebauet.

Sie hatten versprochen
So viel, ja so viel!
Und alles ist geworden
Ein bloßes Possenspiel.

Wir bleiben wie immer
Getäuscht und gehöhnt.
Die Wahrheit ist verboten,
Das Mahnen ist verpönt.

Was sollen wir hoffen?
Die Zeit ist zu schlecht:
O weh, die Macht ist rechtlos,
Und machtlos ist das Recht.

*


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