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Einleitung.

Von allen Dichtern der sogenannten vormärzlichen Lyrik – auch der nichtpolitischen – kann August Heinrich Hoffmann, der sich nach seinem Geburtsorte, dem Flecken Fallersleben im Lüneburgischen, gewöhnlich Hoffmann von Fallersleben nannte, sowohl in Beziehung auf seine Person als auf seine Dichtung als der volkstümlichste gelten und zwar nicht nur zu jener Zeit selbst, da er dichtete und sang, sondern bis auf unsre Tage herab. Keiner seiner Zeit- und Sangesgenossen hat solche Teilnahme und solche Verbreitung mit seinen Liedern gefunden, wie gerade er, und dabei war er weder der bedeutendste noch der feinste oder stärkste unter ihnen. Was ihm zu dieser besonderen Popularität verhalf, war – abgesehen von der Art, seine Person selbst interessant zu machen und ins Licht zu stellen – die Sangbarkeit seiner Poesien, ihre leichte, melodische Weise, die selbst den trivialsten, nichtigsten Inhalt annehmbar macht und sich leicht ins Herz und das Gedächtnis des Volkes einschmeichelt. So kam es, daß eine große Zahl seiner einfachen, oft nur tändelnden, oft aber auch wirklich schwungvollen, von echtem Gefühl getragenen Volks- und Kinderlieder die weiteste Verbreitung fanden, sich mit ihren gefälligen Weisen durch alle Liederbücher und von Mund zu Mund fortpflanzten und sich lebendig erhalten haben bis auf den heutigen Tag. Ja eins seiner politischen Lieder, das am 26. August 1841 auf Helgoland gedichtete »Deutschland, Deutschland über alles« kann heute sogar als die eigentliche Nationalhymne unsres geeinten Vaterlandes gelten. Wie vielerlei er aber auch besungen hat, ein wirklich vielseitiger Dichter ist er darum doch nicht; denn seine ganze Bedeutung als Poet beruht eben einzig und allein auf seinen Liedern. Weder Balladen noch Epen, weder glutvolle Hymnen noch tiefe Gedankendichtungen finden sich in seiner Lyrik, und das Gebiet der Prosadichtung, des Romans und der Novelle, sowie das des Dramas hat er überhaupt nicht betreten: beide lagen seiner Begabung wie seiner Neigung völlig fern. Aber dennoch bietet seine Dichtkunst wie sein Leben, das er in einer breit angelegten, sechs Bände umfassenden Biographie (1868 erschienen) ausführlich dargestellt hat, für ihn selbst und für seine Zeit so viel des Interessanten, daß es sich wohl verlohnt, einen tieferen Blick hinein zu tun. Dazu kommt noch, daß er sich durch Erforschung und Herausgabe altdeutscher Literaturdenkmale, im besonderen der Volkslieder, auch in der gelehrten Welt einen geachteten Namen als Germanist gemacht hat.

Am 2. April 1798 in Fallersleben als Sohn des dortigen Kaufmanns und Bürgermeisters Heinrich Wilhelm Hoffmann und seiner Gattin Dorothea geb. Balthasar geboren, hatte der Knabe, der in frühester Kindheit oft kränklich war und infolgedessen eigensinnig und verzogen wurde, schon in seiner Jugend vielfach Gelegenheit, die Drangsale kennen zu lernen, welche die Kriegszeiten und die wechselnde Herrschaft im Lande mit sich brachten. Im übrigen aber hielt er sich viel für sich, und Garten, Haus und Hof, Wiesen und Felder mit all ihrem Leben und Weben wurden das Feld seiner kindlichen Freude und Tätigkeit. Auch für Musik und Zeichenkunst zeigte er schon früh viel Sinn und Neigung. Den ersten Unterricht empfing er in einer Privatschule, dann in der Bürgerschule seines Heimatortes. Nach seiner Konfirmation kam er nach Helmstedt auf das Gymnasium, wo er sich durch emsigen Fleiß bald zu einem der ersten Schüler emporarbeitete, im Jahre 1812 zum erstenmal sein von Wehmut erfülltes Herz durch Verse, freilich zunächst noch recht unbeholfene, erleichterte und sich auch mit den Werken andrer Dichter zu beschäftigen begann. Von hier kam er 1814 auf das Katharineum zu Braunschweig, dichtete, von der Bewegung der Zeit getragen, Freiheitslieder und sah zum erstenmal mehrere derselben gedruckt. Ostern 1816 bezog er die Universität Göttingen, um Theologie zu studieren, beschäftigte sich aber bald eifriger mit Philologie und deutscher Literaturgeschichte. Durch Jakob Grimm angeregt, den er bei einem Besuche in Kassel kennen lernte, wandte er sich nun ganz der Germanistik zu, die dann Zeit seines Lebens sein Lieblingsstudium blieb. Von 1819 ab setzte er diese Studien in Bonn fort, auf kleineren und größeren Reisen seinen Forschungstrieb befriedigend und namentlich Volkslieder an der Quelle, aus dem Munde des Volkes selbst, sammelnd und verarbeitend. In dieser Beziehung, seiner Liebe zum Volkslied, zum deutschen Altertum und dann in seiner politischen Gesinnung hat er viel mit Ludwig Uhland gemein, zu dem er sonst als Dichter wie als Mensch beinahe das Gegenstück bildete. Neue wertvolle Bekanntschaften mit Dichtern und Gelehrten knüpfte er 1821 und 1822 bei einem Aufenthalte in Berlin an; 1823 ging er nach Breslau, um eine Stelle als Kustos an der dortigen Bibliothek anzutreten. Aber das Leben daselbst wurde ihm in den ersten Jahren durch mehrfache unerquickliche Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzten, die ihn seine untergeordnete Stellung häufig empfinden ließen, stark verleidet. Nachdem sich Hoffmann nun auch durch Herausgabe einer Reihe mehr wissenschaftlicher Werke bekannt gemacht hatte, gelang es ihm endlich im Jahre 1830 durch Vermittlung des ihm persönlich gewogenen Ministers von Altenstein, die Ernennung zum außerordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Breslau durchzusetzen, wenngleich das freimütige öffentliche Auftreten des oft satirisch sich gebärdenden Dichters vielfach Anstoß bei seinen Kollegen erregte. Von seinen Arbeiten auf wissenschaftlichem Gebiete, die er in diesem und den nächsten Jahren herausgab, sind namentlich zu nennen die Sammelwerke » Horae Belgicae«, die »Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Literatur«, die »Findlinge«, die mit Moritz Haupt begründeten »Altdeutschen Blätter«, die »Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luther«, »Die deutsche Philologie im Grundriß« sowie seine Sammlungen von Volks- und Gesellschaftsliedern, die er auf teilweise ausgedehnten Reisen zusammenbrachte. Nachdem er 1835 zum ordentlichen Professor ernannt worden war, veranlaßte ihn ein neuer Konflikt in Bibliotheksangelegenheiten, 1838 um seine Entlassung aus diesem Amte einzukommen, die ihm auch bewilligt wurde. Neben all dieser Tätigkeit hatte er aber auch das eigne poetische Schaffen und die innere Teilnahme an den politischen Verhältnissen des Vaterlandes nicht vernachlässigt. Die Sehnsucht nach freiheitlicherer Entwicklung, die alle Kreise beseelte, der Ärger und Zorn über unleidliche Quälereien, Bedrückungen und Verfolgungen seitens der Regierung und einer verzopften Bureaukratie, haben auch ihn wie so manchen seiner dichtenden Zeitgenossen dazu getrieben, seinem Unmut in Versen Luft zu machen. Im Jahre 1840 ließ er die Mehrzahl dieser Gedichte unter dem Titel »Unpolitische Lieder« erscheinen, die bald dank ihres derben Spottes, ihrer daraus hervorleuchtenden wahren Vaterlandsliebe und vor allem auch wegen ihrer geschickt, oft mit gutem Witz an bekannte Melodien angepaßten Texte rasch weite Verbreitung und großen Anklang fanden, und überall gesungen wurden, wohin der Dichter aus seinen Reisen kam. So wurde er, der die Ovationen, die man ihm überall darbrachte, nur allzu freudig und empfänglich über sich ergehen ließ, schnell zum populärsten Dichter Deutschlands. Aber diese Popularität wurde dem sangesfreudigen Professor alsbald verhängnisvoll. Die Regierung fand den Ton seiner Gedichte aufreizend und verwerflich und verfügte deshalb in einem am 20. Dezember 1842 vom Könige bestätigten Beschluß seine Absetzung ohne Pension. Natürlich trug dieses Vorgehen nur noch zur größeren Volkstümlichkeit Hoffmanns bei, der Ende Februar 1843 Breslau verließ und nun ein jahrelanges Wanderleben durch ganz Deutschland begann. Von Bürgern, Turnern, Studenten umjubelt und gefeiert trat der Dichter nun in Kneipen, Vereinen, bei Festlichkeiten aller Art auf und sang, ein Vorläufer der Kabarettsänger, »mit dem hellen Ton seiner Stimme, mit schalkhaftem Lächeln, mit einem oft ironischen, oft schwunghaften Taktschlagen sie begleitend,« seine Lieder, die dann in weiteren Ausgaben als »Deutsche Lieder aus der Schweiz«, »Hoffmannsche Tropfen«, »Deutsche Gassenlieder«, »Soldatenlieder« usw. erschienen.

Neben diesen zumeist politischen und vaterländischen Dichtungen schuf er damals, wie schon früher, auch eine überaus große Anzahl reiner Volkslieder, sowie seine berühmten Kinderlieder und Liebeslieder, zu denen ihm mehrfache Herzensneigungen den Anlaß gaben. Der Wunsch, irgendwo wieder eine bleibende Stätte zu finden, ging ihm zunächst nicht in Erfüllung, da er von der Polizei stetig überwacht und an den meisten Orten, selbst in seiner Heimat, nach kurzem Verweilen zum Weiterziehen veranlaßt wurde. Fast wie ein Hohn auf die deutschen Verhältnisse jener Zeit erscheint es, daß der überall gemaßregelte und ausgewiesene Poet, nachdem er im Jahre vorher auf seinen ausgedehnten Fahrten sogar bis nach Rom gekommen war, schließlich (1845) in Mecklenburg Aufnahme fand, wo sich der bürgerliche Rittergutsbesitzer Dr. Schnelle seiner annahm, ihn unter seine ritterschaftlichen Hintersassen einreihte und ihm damit, dank der bestehenden Bestimmungen, das Heimatsrecht auf seinem Gute Buchholz erteilte. Trotzdem ließen ihn auch die nächsten Jahre nicht zur Ruhe kommen; immer wieder zog er bald da-, bald dorthin, bis ihm endlich das Revolutionsjahr 1848 die Rehabilitierung in Preußen brachte und er nun das gesetzliche Wartegeld als Pension erhielt. Die Verlobung mit seiner Nichte Ida zum Berge in Braunschweig im Februar 1849 ließ ihn jetzt wieder ernstlich daran denken, eine feste Stellung zu erlangen. Er verbrachte den Sommer ergebnislos in den Rheinlanden und kehrte dann nach Braunschweig zurück, wo am 28. Oktober die Vermählung vollzogen wurde. Das Ehepaar ließ sich nun zunächst in Bingerbrück nieder, von wo es im Frühjahr 1851 nach Neuwied übersiedelte. Auch in diesem Jahre lebte Hoffmann in der Hauptsache seiner Dichtkunst und ließ wiederum mehrere Liedersammlungen erscheinen; doch vernachlässigte er auch seine germanistischen Studien dabei nicht ganz. Endlich kam er wieder in gesichertere Bahnen, als er im Frühjahr 1854 auf Veranlassung des Germanisten Oskar Schade nach Weimar zog und mit ihm hier bis 1857 das »Weimarische Jahrbuch für deutsche Sprache, Literatur und Kunst« herausgab. Vom Großherzog mit Wohlwollen aufgenommen, von den zahlreichen interessanten Persönlichkeiten Weimars, besonders Franz Liszt, in ihren geselligen Kreis gezogen, verlebte Hoffmann hier anregende und arbeitsreiche Jahre. Als ihm aber auch hier der Aufenthalt durch mancherlei Hemmnisse verleidet wurde, nahm er mit Freuden den Antrag des Herzogs von Ratibor an, den er im Februar 1860 in Berlin kennen lernte, die Verwaltung von dessen Bibliothek aus Schloß Corvey zu übernehmen, wohin er nun bereits am 25. April übersiedelte. Ein großer Schmerz wurde ihm bald darauf bereitet, als seine Frau in der Nacht zum 28. Oktober an den Folgen eines Wochenbettes verschied. Im übrigen verlebte Hoffmann hier eine Reihe ruhiger, gesegneter Jahre, in denen er weiter poetisch tätig war, neue Liedersammlungen veröffentlichte, 1860 bis 1863 auch seine Lebensgeschichte schrieb und von Wanderlust getrieben wiederholt neue Reisen in die verschiedensten Gegenden Deutschlands unternahm, dessen neue politische Entwicklung er mit Interesse verfolgte und mit poetischen Schöpfungen begleitete, bis er in der Nacht zum 20. Januar 1874 von einem Schlaganfalle dahingerafft wurde.

Als Liederdichter gehört Hoffmann von Fallersleben zu den fruchtbarsten und populärsten des 19. Jahrhunderts. In vielen seiner auf alle nur denkbaren Gegenstände und für alle möglichen Gelegenheiten gedichteten Lieder hat er den Volkston so ausgezeichnet zu treffen verstanden, daß eine ganze Anzahl davon noch heute im Volke leben und allenthalben gesungen werden. Die reifsten und ästhetisch wertvollsten finden sich mit in der Abteilung »Dichterleben«; sie schlagen zumeist mit Wehmut gemischte, sehnsüchtige, aber auch klagende und hoffnungsfrohe Töne an. Aus vielen andern spricht eine heitere Freude am Leben, und selbst noch in höherem Alter zeigt sich bei ihm ein jungfühlendes Herz. Anderseits besingt er auch hoffnungsloser Liebe Leid mit warmer Empfindung, manchmal wohl gar zu überschwenglich, so besonders in den kleinen Dichtungen im »Buch der Liebe«, worin sich auch viele unnatürliche, gesuchte Bilder finden und zahlreiche Wiederholungen, wie namentlich in den »Johanna-Liedern«. Keck, frisch und humorvoll sind die meisten seiner Trink- und Studentenlieder. Überhaupt weiß er sich mit vielem Geschick und großer Gewandtheit in das Fühlen, die Eigenheiten und Liebhabereien der verschiedenen Stände, Volksklassen und Volksstämme zu versetzen und sie in seinen Liedern zum Ausdruck zu bringen, wobei es denn freilich auch an Gemachtem und Trivialem nicht mangelt. Zu Hoffmanns besten und bekanntesten Dichtungen gehören eine Anzahl seiner Vaterlandslieder, die wirklich aus vollem, patriotischem Herzen heraus gesungen sind und glühende, echte Vaterlandsliebe verraten. Demselben Gefühl sind auch die »Unpolitischen Lieder« entsprungen, die mit bitterem Ernst oder scharfer Satire trostlose, beklagenswerte Ereignisse und Zustände der damaligen Zeit in Staat und Gesellschaft geißeln und vielfach sogar heute noch volle Geltung haben; manche derselben erweisen sich freilich vom ästhetischen Standpunkte aus als völlig kunstlose Reimereien, die man einfach als in Verse gebrachte Zeitungsberichte und leitartikelartige Betrachtungen ansehen kann. Nicht anders sind auch die sogenannten »Streiflichter« zu bewerten, Zeitgedichte in Jamben, die zwar manche treffliche Wahrheit enthalten, aber darum noch lange keine Poesie sind und sich in Prosa mindestens ebensogut ausgenommen hätten. Den satirischen Angriffsdichtungen dieser Art stehen seine Gelegenheitsdichtungen und Trinksprüche gegenüber, die wiederum auf ihre Weise oft des Guten zu viel tun im Lobpreisen und Verhimmeln, aber doch auch sein für Freundschaft und Liebe empfängliches Herz erkennen lassen. So zeigt sich, daß Hoffmann von Fallersleben das Beste und Wertvollste, das ihm einen dauernden Platz im Herzen des Volkes sichert, in seinen einfachen, schlichten, sangbaren Liedern geleistet hat, unter denen die eigens für das Kinderherz gedichteten (vgl. Univ.-Bibl. Nr. 4796) noch eine besondere Stellung einnehmen, daß er aber auch als eine ehrliche, mutvolle, freigesinnte Natur mit seinen satirischen Zeitdichtungen eine beachtenswerte Erscheinung auf dem Gebiete der politischen Gelegenheitsdichtung ist und daher mit seiner Poesie teils rein ästhetisches, teils historisches Interesse erweckt und befriedigt.

Für die Texte wie für die Anordnung und Gruppierung der vorliegenden Auswahl aus seinen Dichtungen hat die von Heinrich Gerstenberg besorgte Ausgabe der »Gesammelten Werke« Hoffmanns als Grundlage gedient.

Leipzig, 1907.
Dr. Max Mendheim.


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