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VII. Romanzen.

Die schönste Blume.

1833.

Es war eine arme Mutter,
Die hatte drei Töchterlein,
Die waren so schön vor allen
Und wollten noch schöner sein.

Sie wünschten sich, sahn sie die Blumen
Auf grüner Wiese stehn:
»Ach! könnten wir doch in Kleidern
So schön wie die Blumen gehn.«

Da kam Frau Holle gegangen:
»Was euer Herz begehrt,
Das wird euch allen dreien
Durch meine Kunst gewährt.

Ihr sollt wie Blumen prangen
Und an dem Kirchweg stehn,
Und wer des Weges ziehet,
Soll euch mit Freuden sehn.

Kommt aber die Mutter gegangen
Und pflückt euch alle drei,
Dann seid ihr was ihr waret,
Hin ist die Zauberei.«

Da sprach die jüngste Tochter:
»Ich lass' es gern geschehn –
Darf ich als schöne Blume
Zu meiner Mutter auch gehn?« –

»Willst du als schöne Blume
Zu deiner Mutter gehn,
So kann's nur auf ein Stündchen
Zur Sonntagsnacht geschehn.« –

Da standen die Töchter als Blumen
In Herrlichkeit und Pracht,
Daß froh drob war die Sonne
Bei Tag und der Mond bei Nacht.

Die Sommervögel flogen
Und flatterten um sie her,
Und flüsterten einer zum andern:
Ach! wer so schön doch wär'!

Der Ostwind kam gesäuselt,
Er sang es leis' und laut:
Hier unter den schönen Blumen
Muß wohnen meine Braut!

Die jüngste von den Schwestern
Vernahm kaum Red' und Sang,
Ihr ward nach ihrer Mutter,
Nach der lieben Mutter so bang.

Und um die zwölfte Stunde,
Sonntags um Mitternacht.
Da hat Frau Holle die Tochter
Zu ihrer Mutter gebracht.

Die Mutter und ihre Tochter,
Sie sprachen viel und lang,
Bis schon die Morgendämmrung
Herein durch die Fenster drang.

»Ach! deine beiden Schwestern
Vergaßen mich geschwind –
O Elsbeth, meine Tochter,
Du bliebst mein gutes Kind.

O Elsbeth, meine Tochter,
Sag an was soll ich tun,
Du Blume meines Herzens,
Sag wie entzaubr' ich dich nun?

Wie soll ich dich doch finden?
Wo tausend Blumen stehn,
Da kann mein traurend Herze
Umsonst nur suchen gehn.« –

»Gleich mit der Morgensonne
Komm auf die Blumenau,
Komm, meine liebe Mutter,
Mich hat benetzt kein Tau.«

Die Mutter ging ins Freie,
Sie ging in die grüne Au,
Da fand sie eine Blume,
Die hatte benetzt kein Tau.

Sie drückt sie an ihren Busen
Und hin ist all ihr Schmerz:
Da wandelte sich die Blume,
Froh war das Mutterherz.

*


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