Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

36. Kapitel.

Die Trauerfeier.

Die Trauerkunde vom Heldentode des Im- und Exporteurs August Gutbier verbreitete sich blitzschnell über den ganzen Teil des Erdballs, der sich um das Symbol der Nächstenliebe (die Zigarren-Guillotine im »Franziskaner«) zu versammeln pflegte.

Und es erwächst uns die schwere Pflicht, von der Trauersitzung, die sich an den Empfang dieser Nachricht schloß, Bericht zu geben.

»Jessas, wer hätt' des denkt!« stöhnte Aloisius.

»Jaja, den hat's bald derwischt!« sprach der Rentner Bopserle mit wehmütigem Ernst.

»Wenn man's bedenkt – achtundvierzig Jahr – is doch keen Alter!« hauchte Strippecke gedankenvoll.

»Er muß sich doch zu weit vorgewagt haben! Er war ja immer ein Draufgänger!« meinte Merseburg, der sich wie alle Dichter auf Menschenherzen verstand.

»Nun, er ist einen schönen und ehrenvollen Tod gestorben,« sprach Merswinsky, der kürzlich seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Er sprach es wie aus einem tiefen Grabgewölbe, das eine gute Akustik hat.

»Nu, wenn er wärklich ä Herzfehler hatte, da war's ja eichentlich 'ne Erleesung?!« bemerkte Bemmefett voll Mitgefühl.

»No, er hätt' doch no lang lebe kenne,« rief Bopserle.

»Und dös arme Weiberl,« stöhnte Gselchwampner, »und die Kinder, die armen Hascherln!«

»Na, 'n ›Weiberl‹ is det nu jrade nich,« meinte Strippecke, »det is schon 'ne Jemahlin.«

»Und fier die is gesorgt, da gennen Se gonz beruhigt sein,« lächelte Bemmefett.

»Nun, meine Freunde, Geld ist doch nicht alles!« rief der Geheimrat mit vielem Schmalz.

»Ich verliere viel in dem Verewigten!« seufzte Merseburg. Er sprach es mit einem Blick nach oben, und in seinen Augen leuchtete das Graacher Himmelreich. –

»Wat jibt's denn heut von der Pfanne, Herr Wirt?« fragte Strippecke schwermütig.

»Etwas Extrafeines, meine Herren: Schwarzsauer,« antwortete Merseburg.

»Also Schwarzsauer natürlich!« rief Strippecke.

»Schwarzsauer muß man Zuhause essen,« meinte Merswinsky.

»Na, Herr Geheimrat, wenn Sie mein Schwarzsauer gekostet haben –« begann Merseburg mit Empfindlichkeit.

»Ich kenn es doch, lieber Freund, ich hab's doch bei Ihnen gegessen!« rief Merswinsky. »Sehr gut, ohne Zweifel, sehr schmackhaft; aber Schwarzsauer ist das nicht!«

Theaterleute haben gemeiniglich im Essen einen sehr durchgebildeten Geschmack, auch solche, die ihn auf der Bühne nicht haben. Da sie meistens weit herumkommen, ist ihr Geschmack auch universell; er spannt den versöhnenden Regenbogen zwischen Risotto und Königsberger Fleck, zwischen Aalsuppe und Borschtsch.

»Also Schwarzsauer darf schon vor allen Dingen nicht aus Ochsenblut gemacht werden –«

»Tu' ich doch auch nicht!« protestierte Merseburg.

»Hören Sie zu: halb Ochsen- und halb Schweineblut –«

»Mach' ich doch!« rief Merseburg.

»Lassen Sie mich ausreden. Ochsenblut macht die Sose körnig, und Schwarzsauer muß glatt und eben sein wie die Haut der Venus. Und dann nimmt man Bauchfleisch, dazu, und zwar fettes Bauchfleisch vom Schwein; auch ein Schweineohr und eine Schnauze kann nicht schaden –«

»Gähn Se mir mit Ihr'm gonzen Schweinegram!« rief Bemmefett; »Gänseschwarzsauer, dos loß ich mir gefollen!«

»Gänseschwarzsauer ist eine schöne Sache,« sprach Merswinsky mit der Duldung Nathans des Weisen, »aber ich spreche jetzt von Schweineschwarzsauer. Das Fleisch wird nicht zerschnitten, das ist eine Dummheit; man läßt es ganz, dann bleibt es saftig. Es können einem ja überhaupt die Haare zu Berge steigen, wenn man sieht, wie die Menschen das Fleisch behandeln! Sie schneiden es in Scheiben, damit nur ja alles herauslaufe, was drin ist! Diese Ochsen, die sich Köche nennen! Fleisch läßt man so lange ganz wie irgend möglich, und dann ißt man es in Würfeln, nur in Würfeln! Na ja, das nebenbei. Also das Fleisch kocht man mit zwei bis drei Lorbeerblättern – nicht mehr!!Schauspieler verschwenden nicht gern Lorbeeren. – mit einigen Zwiebeln und einigen weißen Pfefferkörnern – weißen, bitte! – in Essig und Wasser gar. Dann nimmt man das Fleisch heraus und gießt die Brühe, nachdem man sie sorgfältig abgeschmeckt hat, durch ein Haarsieb, damit alle festen Bestandteile zurückbleiben. Und nun vermischt man die Brühe mit dem Ochsen- und Schweineblut, nachdem man dieses zuvor gemischt und mit Essig tüchtig verrührt hat, kocht alsdann diese Mischung unter beständigem Rühren – bitte nicht nachlassen mit Rühren! – auf, tut Salz und Zucker zu und gießt das Ganze über das Fleisch. Die meisten tun keinen Zucker hinzu, das ist ein heller Unfug! Schwarzsauer ohne Zucker ist eine Barbarei! Und nun, meine Herren, die Zugaben! Erstens natürlich Kartoffeln, dann aber: Weizen- und Buchweizenklöße und ganz besonders: in Wasser abgekochte Steckrüben!!«

»Um Jotteswillen, Steckrüben!« ächzte Strippecke.

»Was?« rief Merswinsky. »Die Steckrübe ist ein integrierender Bestandteil dieses königlichen Essens. Schwarzsauer ohne Rüben, das ist eine Blume ohne Duft, ein Witz ohne Pointe!«

»Nu, un wo bleibt das Bockobst?« sprach Bemmefett lauernd.

»Brrr!« schauderte Merswinsky. »Backobst! Backobst zum Schwarzsauer ist der schauerlichste Nonsens, den man sich denken kann! Das ist ein abgeschmackter Pleonasmus! Das ist, als wenn Sie alten Holländer mit Roquefort belegen! Die Elemente einer guten Speise sollen mild kontrastieren, nicht einander ähnlich sein; ein vollkommenes Gericht ist eine geschmackvolle Antithese, nicht eine Häufung von Synonymen! Meine Herren, wenn wir wieder Frieden haben, werde ich Ihnen mal ein Schwarzsauer kochen und werde Sie einladen; dann werden Sie etwas erleben!«

Wer richtig hinsah, der mußte bemerken, daß dieser Mann die Augen eines Künstlers hatte.

Die Einladung wurde mit Beifall begrüßt; nur Gselchwampner rief:

»Mi lassen S' aus, Herr G'hoamrat! Steckrüben! Wann i des heer', wird mir eh scho ganz entrisch! Die kriagt bei ins nur 's Vieh!«

»Na und? Mögen Sie sie denn nich?« fragte Strippecke.

»Wer – –?« fragte Aloisius mit offenem Munde.

»Na, die Viecher!«

»Des woaß i net,« sagte Alois.

Da Bemmefett eingeladen war, so entrollte er die Fahne des Gänseschwarzsauers nicht weiter, sondern steckte sie in die Tasche und fragte höflich:

»Wann wer'n mer denn Frieden ha'm, Herr Geheimrat?«

»Bald,« sagte Merswinsky mit dem Gewicht von tausend Zentnern.

»Hent Sie Ahnhaltsbunkte dafier?« fragte der skeptisch veranlagte Bopserle.

Merswinsky bejahte mit den Augenlidern.

»Also bald, moanen S', Herr G'hoamrat?« fragte Aloisius mit riesenhaften Augäpfeln.

»Sehr bald,« versetzte der Theatermann, jetzt mit fünftausend Zentnern Nachdruck. »Ich hab' mit einer Person aus der täglichen Umgebung des Kaisers gesprochen – natürlich darf ich nichts sagen –; aber die nächste Theatersaison eröffnen wir im Frieden

Es war ja eigentlich etwas merkwürdig, saures Schweinefleisch zum Grundgedanken einer Trauerfeier zu machen; aber es lag doch auch wieder eine sinnige und taktvolle Ehrung darin, daß man auf ein schwarzes Gericht verfiel.

Strippecke hatte aber seine Portion des Blutgerichts noch nicht vollständig bewältigt, als Merseburg an den Tisch gestürzt kam mit den Worten:

»Gott sei Dank, meine Herren, es ist alles nicht wahr: Herr Gutbier lebt und ist gesund!«

»Nanu?!!« rief Strippecke und ließ Gabel und Messer fallen.

»Wer sagt Ihnen das?« fragte Merswinsky ungläubig.

»Hinten sitzt sein Prokurist, der hat telegraphisch angefragt.«

»Na so was?!« rief Strippecke.

»Dös is aus der Weis'!« meinte selchwampner.

»No, wer weiß denn, ob sell wahr ischt?« murrte Bopserle.

»Ich hab's nie geglaubt!« versicherte Bemmefett mit Lachen.

Kurz: die Enttäuschung war allgemein.

Es war aber nichts daran zu ändern: unser Held, wie wir wissen, lebte und war gesund; damit mußte man sich abfinden. Es sollte jedoch nicht immer so bleiben.

 


 << zurück weiter >>