Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Kapitel.

Lange nachzitternde Erregung.

Als Herr Aloisius Gselchwampner am Tische erschienen war, hatte Herr August Gutbier ihm ohne Verzug von dem unerhörten Einbruch jenes Fremden erzählt, der am Stammtisch gesessen habe, als gehöre er dorthin. Als dann Herr Direktor Strippecke gekommen war, hatten Gutbier und Gselchwampner ihm dieselbe Mitteilung gemacht. Als der Herr Geheimrat Merswinsky sich niedergelassen hatte, da hatten Gutbier, Gselchwampner und Strippecke ihm den Vorfall berichtet. Als Herr Bopserle seinen Überzieher abgelegt hatte, da hatten Gutbier, Gselchwampner, Strippecke und Merswinsky ihm den Fall unterbreitet. Als Bemmefett auf seinem Sitze Platz genommen hatte, hatten Gutbier, Gselchwampner, Strippecke, Merswinsky und Bopserle ihm von diesem seltsamen Ereignis Kunde gegeben. Die Erregung war allgemein und tiefgehend. Nur Bopserle faßte als Schwabe die Sache liberaler auf.

»Ja wisset Se,« meinte er, »bei ons ischt mer in alle dene Sache net so eiiseiitig und net so engherzig. Bei ons ischt alles freiier, ond jeder hat's gleiiche Recht. Wann i am Biertisch sitz und es setzt sich enner zu mir – no, da sitzt er halt. Mir Siddeitsche empfindet darin andersch, gell, Herr Nachbar?«

Diese Anrede war an Gselchwampner gerichtet, der die Augen weit aufriß.

»Herr Nachbar,« versetzte er, »Sö erlauben scho, doß i Eahna da widersprich'. Wos S' do g'sagt ham von ins Siddeitsche, des is scho recht. Aber besinnen's Eahna und bedenken 's, daß des hier a Stammtisch is. Wenn i im Hofbraihaus in Minka sitz an einem gewehnlichen Tische und es setzt si aner zu mir, no, so sog' i holt: Griaß Got, Herr Nachbar, wie steht's und wos mochen S' und wir reden a Wörtl z'sammen, und nacha is guat. Aber an Stammtisch, Herr Nachbar, an Stammtisch! Daß si a boarischer Mann, wo a Büldung hat, an an röservürten Stammtisch setzet – ah na, dös wern S' net derleb'n! Dös gibt's fei net! Dazu san ma vüll z' ricksichtsvoll, dazu ham ma vüll z' vüll G'miat!«

»Na, davon nu abjeschnitten,« rief Herr Strippecke, »mit Jemüt könn'n wir ooch ufwarten! Keener hat so viel Jemüt wie der Berliner! Ick will Ihnen mal wat sagen: Unser oller Kaiser Willem z. B., det war 'n sehr jemütvoller Mann. Det war 'n großer Blumenfreund:

»Unser Kaiser liebt die Blumen;
Denn er hat ein zart Jemiet« –

un wissen Se, welche Blume ihm die liebste war? Ausgerechnet die Kornblume!

»Eine kleine blaue Blume,
Die er fier die scheenste hält.«

Jawoll! Also wat det anbelangt, in Jemüt lassen wir uns noch lange nich lumpen. Nee, mir tut bloß leid, dat Se den Mann viel zu früh abjeschoben haben! Det hätte ja 'n Mordsfäz jejeben, wenn ick den hier noch angetroffen hätte! Se hätten mal sehn sollen, wie ick den wegjejrault hätte; det is 'ne Spezialität von mir!«

»Nee, nee, nu nee, des is nu nich meine Art,« warf Herr Bemmefett hier ein. »Man muß immer gemietlich blei'm, meine Herren, immer heeflich und freindlich. Wenn's nach mir gegangen wäre, dann hätten wir den Herrn mit der greeßten Zuvorgommenheit und Auszeichnung behandelt, hätten ihn im Laufe der Sitzung zum Ehrenmitglied gemocht und ihm zu verstehn gegäben, daß das verschiedene Flaschen Sekt gostet.«

»Unauslöschlich Gelächter erscholl bei den seligen' Göttern,
Als sie Bemmefetts Künste ersahn, des klugen Erfinders,«

und in dieses Gelächter mischte sich eine leise Wehmut darüber, daß der gute Gedanke zu spät kam. Erst August Gutbiers sittlicher Ernst brachte die Verhandlung wieder auf eine würdige Höhe. Er konnte nicht lachen.

»Djä, meine Herren,« sagte er, »ich bin gewiß 'n guter Kerl; aber wenn man mir frech kommt – un das is es doch ganz einfach, das is ganz einfach 'ne kullosale Frechheit is das – denn kann ich auch 'n bischenIn »bischen« (= bißchen) ist das sch als ein Laut, also genau wie in »zwischen«, zu sprechen. bannig eklig werden. Wir Hambogger sind sehr exklusiv – wenn wir mal Freundschaft geschlossen hab'n, denn sind wir die gemütlichsten Kerls von der Welt, das muß jeder sagen; aber bis es soweit kommt, da gehört viel zu. Und sich mit Krethi un Plethi an einen Tisch setzen, das is nich unser Fall. Als gebildeter Mensch muß man sich ja leider beherrschen, nöch? Sons hätt' ich noch ganz was anderes getan. Man ischa leider immer zu vornehm.«

August wollte damit andeuten, daß er Tätlichkeiten nicht abgeneigt gewesen wäre; aber es war nur gut, daß seine Bildung die Oberhand behalten hatte; denn der Fremde, der noch rauchend und trinkend dasaß, ohne jede Ahnung, welchen Bürgerkrieg er entfesselt hatte, war ein großer Mann von äußerst kräftigem Körperbau.

Zu derselben Sache sprach schließlich noch als oberste Autorität der Herr Geheimrat.

»Mnjaaa, meine Herren,« sprach er aus der Tiefe seines Kehlkopfes, »das Ganze ist eben eine Frage des Taktes, eine Frage, wenn ich so sagen soll, der guten Sitte, des savoir vivre. Eine gute Kinderstube kann man sich nicht geben; entweder man hat sie, oder man hat sie nicht, und wer sie nicht hat – nun, mein Gott, der hat eigentlich mehr Anspruch auf unser Mitleid als auf unsern Zorn.«

»Na ja,« rief August, »die größte Schuld hat ja eigentlich unser Merseburg. Er durfte es ja gar nich ers dazu kommen lassen! So was darf einfach nich passieren!«

Der gute Herr Merseburg saß da wie ein armes Mädchen, das sich wegen Kindesmords verantworten soll. Er schwitzte kaltes Wasser und Rotwein. Er war ein Dichter. Er stand mit Apoll und den Musen auf halbem Duzfuß; denn sie duzten ihn nicht wieder, obwohl über dem Stammtisch ein schwergerahmtes Schreiben aus dem Zivilkabinett des Fürsten von Schlempe-Maischhausen hing, in dem ausgesprochen war, daß Seine Durchlaucht das zu Höchstdero Geburtstag verfaßte Gedicht mit Dank entgegenzunehmen geruht hätten. Herr Merseburg erbot sich endlich, die Ecke des Lokals, in der der Stammtisch stand, durch eine dicke Seidenschnur von der Menschheit dauernd abzusperren. Dieser Vorschlag fand allgemeinen Anklang und wurde zum Beschluß erhoben; Merseburg aber wurde so andauernd und nachdrücklich belobt, daß ihm Burgundertränen ins Auge traten und er, von seinem Erfolg überwältigt, mehrere Flaschen Burgeff zum besten gab.

 


 << zurück weiter >>