Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

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25. Kapitel.

Zeppelin wird Ehrenmitglied.

Es kann nicht unsere Absicht sein, alle bedeutenderen Ereignisse des großen Krieges sozusagen im Lichte des Stammtisches zu betrachten; wir wollen ja keine Weltgeschichte schreiben. Die verehrten Leser würden ja auch gar nicht so viel Alkohol vertragen, von den Leserinnen ganz zu schweigen. Aber einem Irrtum, der leicht Platz greifen könnte, müssen wir denn doch rechtzeitig vorbeugen. Der ahnungslose Leser könnte aus der schönen Begeisterungsfähigkeit des Gutbierherzens die Folgerung herleiten, daß dieses Herz nun alle Leistungen unserer Armee und Marine in kritikloser Enthusiasmuserei vollkommen und unübertrefflich gefunden hätte. Nichts wäre falscher als diese Annahme! Unser August konnte sehr scharf sein – oh! – verdammt scharf! Gewiß: als Otto Weddigen an einem Tage drei englische Kreuzer versenkte, da hielt er mit seiner Anerkennung nicht zurück; in drei Tagen rief er 87mal »Unsere blauen Jungens! Unsere blauen Jungens!«, das macht auf den Tag 29mal. Aber als dann nach Ablauf eines Kriegsjahres die englische Flotte noch immer nicht in ihrer Gesamtheit vernichtet war, da zeigte sich August doch ernstlich unzufrieden.

»Och was, das ischa lachhaft!« rief er aus. »Unsere Flotte hätte ja längst Schluß machen sollen mit den Schweinehunden, den Engländern! Warum machen wir nich Schluß mit der Bande?! Verstehn Sie das, meine Herren? Ich versteh' das nich!«

O ja, einer war schon am Tische, der es verstand: Merswinsky. Man sah es ihm an den Augen an, daß er es verstand; aber er sagte es nicht.

»Tirpitz möchte schon,« meinte jemand; »aber – – –«

Ja, da stand ein geheimnisvolles »Aber« im Wege, eine geheimnisvolle Person, eine geheimnisvolle Rücksicht ... hm hm. Ja ja. Merswinsky bestätigte das, indem er langsam seine Augenlider senkte. Aber er stellte niemanden bloß.

Und als sich nun im Westen der flotte Bewegungskrieg in einen langwierigen Stellungskrieg verwandelte und eines Tages ein Graben oder eine Höhe an die Franzosen verloren ging, da brach aus wundem Augustusherzen der Schrei: Falkenhayn, Falkenhayn, redde mihi legiones! da nahm unser August als freier Mann wahrhaftig kein Blatt mehr vor den Mund.

»Das is unerhört!« rief er, »ein–fach un–erhört is das!«

»Ja,« sagte Professor Leonhard Schellenbarth schwer und langsam, jedes Wort mit einem Gewicht behängend, »ja: wären wir beide dabei gewesen, dann wäre das nicht passiert

»Nee!« rief August. »Das heißt,« lenkte er ein, »ich bin ja kein militärischer Fachmann« (er war seinerzeit auf Plattfüße freigekommen); »ich bin ja man 'n ganz bescheidener einfacher Laie; aber so viel kann ich Ihnen sagen: ich laß so 'n gottverfluchten Karnickelfresser nich in 'n Graben 'rein, da können Sie Deubel drauf sagen!«

»Deubel!« sagte Schellenbarth ruhig. »Um so lebhafter ist es zu bedauern, daß Männer wie Sie nicht an der Front sind. Haben Sie denn noch immer keine Hoffnung, hinauszukommen?«

»Och, nich an zu denken!« rief August. »Ich kann ja von mein'm Geschäff nich weg! Un denn mein Herz!«

»Haben Sie einen Herzfehler?« fragte Schellenbarth mit inniger Teilnahme.

»Na und wie! Furchbar! Ich schlaf' ja keine Nach!«

Von dieser Schlaflosigkeit abgesehen, ging es ihm aber gut. Besonders mit der wirtschaftlichen Lage des deutschen Volkes war er sehr zufrieden.

»Och, das is doch der reine Quatsch, wenn uns die Zeitungen da was von ›Not‹ vorquasseln! Wo is denn ›Not‹? Haben Sie schon was von ›Not‹ bemerkt, meine Herren? Na ja, ischa allens 'n bischen teurer als sons, dascha richtig; aber man kann doch allens kriegen! Ich hab' mir da heut morgen 'n Schinken gekauft zu zwanzig Pfund – na ja, 'n bischen teuer is er ja – aber 'n tadelloser Schinken, kann ich Ihnen sagen! Is doch noch allens da!«

Diese Offenherzigkeit sollte er sofort bereuen; Strippecke verlangte, daß er ihm ein Pfund Schinken ablasse.

»Nee, das tut mir nu leid,« sagte August; »da kann ich nix von abgeben. Ich hab' 'ne große Familie; so 'n Schinken is im Handumdrehen alle, da is 'n großer Knochen drin.«

Bismarck ist der Nationalheros, das ist gewiß, das konnte man schon an Gutbiers Stammseidel sehen; aber beim Schinken hört die deutsche Einigkeit auf.

Eine fast noch größere Freude als über den Schinken erlebte August dann durch den ersten großen Zeppelinangriff auf London. Wir haben schon gemerkt, daß die blauen Jungens sich nicht mehr der vollen Gnadensonne des Augustus erfreuten; auch Hindenburg, der im Osten nur mit Unterbrechungen vorging, mußte jetzt den Platz der persona gratissima an den Grafen Zeppelin abtreten. Sic transit gloria mundi! Dem kleinen Grafen aber hatte August eine besondere Auszeichnung aufgehoben. Er stellte sich zu ihm auf eine Art von Duzfuß; er schlug ihm sozusagen mit der Hand auf den Rücken, daß es knallte, und sagte »Zeppl« zu ihm.

»Unser Zeppl, meine Herren! Junge, Junge, Junge, Sie solln mal sehn: der macht das Rennen! Der schmeißt den Onkels so viel Bontjes nach London 'rein, daß sie genug kriegen! Hoch unser Zeppl! Wissen Sie was, meine Herren? Wir ernennen ihn zum Ehrenmitglied unseres Stammtisches!«

Dieser Antrag wurde unter Sturmfluten der Begeisterung zum Beschluß erhoben.

»Das schreiben wir ihm sofort, auf 'ner Poßkarte!« fuhr August fort. Und eine feine Postkarte wurde gekauft, eine Reliefkarte mit aufgeklebten seidenen Rosen und Veilchen, und alle unterschrieben.

Und dieser erhabene Augenblick, in dem August Gutbier den Grafen Zeppelin zu seinem Vereinsbruder erhob, war leider zugleich der Höhepunkt im Leben unseres civis glorius und in seiner patriotischen Entwicklung. Von jetzt ab müssen wir – so leid es uns tut – von einem Abstieg und Niedergang seines Befindens berichten, glauben aber versprechen zu können, daß sich dieser Niedergang – was sonst nur in besonders wertvollen Tragödien zu geschehen pflegt – dramatischer gestalten werde als der Aufstieg.

 


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