Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

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34. Kapitel.

Man entdeckt bei August orientalische Neigungen.

Auch August Gutbier hatte, wenn wir an seiner Stelle ehrlich sein wollen, bis dahin den Krieg nicht eigentlich unangenehm empfunden. Abgesehen davon, daß »business« hundertmal mehr als »usual« war, regte der tägliche Kampfbericht des Hauptquartiers seine Magennerven an, so gut wie die tägliche Fortsetzung des Akkordromans, den er aus den »Anzeigen« zu sich nahm, bevor er zum Abendessen schritt. Und wenn die deutschen Heere einmal, uneingedenk ihrer Pflicht, nicht hinreichend siegten, nun, so erhöhte das eigentlich nur den Spannungsreiz, ohne den Appetit zu vermindern. Es war eine eigentümliche physiologische Erscheinung, über die die Ärzte nachdenken mögen: Ungünstige Nachrichten von der Front wirkten stets auf seine Därme und nie auf seinen Magen. Zum Glück konnte er ja fast immer die Zeitung mit Befriedigung aus der Hand legen. Der Bürger im »Faust« freut sich ja auch, »wenn hinten, weit in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen«. Nun, für August waren Verdun und Warschau, ja, waren Elsaß und Ostpreußen türkisches Gebiet.

Indessen die Anschauungen des Menschen sind, wie seine Schicksale, dem Wechsel unterworfen. Schon auf der Reise zur Front vollzog sich in unserem Helden eine vollkommene Umwälzung, erlebte er sein Damaskus, ward aus dem mordenden Saulus ein nachdenklicher Paulus. Die Wärme eines Viehwagens, in dem er nach dem Westen fuhr, reifte seine geschichtsphilosophischen Gedanken zusehends.

»Von dieser Seite sah ich's nie!«

dachte er unbekannterweise mit Wallenstein. O diese Märsche! In den Monaten der Ausbildung hatte man immerhin, trotz Hustefeldts Wachsamkeit, manche Unbequemlichkeit abkaufen, manche Annehmlichkeit erkaufen können. Wie sollte man das hier anfangen? Nicht für 'ne Million waren ein paar Beine aufzutreiben, die an Stelle der eigenen liefen, und ein Pferd wurde den Infanteristen nicht bewilligt.

»Da tritt kein andrer für ihn ein;
Auf sich selber geht er da ganz allein.«

Schon nach wenigen Tagen fand August diese Hin- und Hermärsche strategisch vollkommen zwecklos, und im selben Grade, wie seine Schwielen wuchsen, schrumpfte seine Hochachtung vor Hindenburg zusammen.

Wenn man nach solchen Märschen wenigstens ins Hotel »Zu den vier Jahreszeiten« gehen und sich ausruhen kann, geht's ja noch; aber dann auch noch biwakieren, im Freien schlafen, in herbstlicher Kälte, im Regen, am Biwakfeuer halb gar gekochtes Fleisch, halbrohe Erbsen essen –

Solch eine Nacht war's, als August in Schümanns Austernkeller saß und Kaviar auf Austern aß und sich danach einen saftstrotzenden Hummer, spröde wie ein sechszehnjähriges Landmädchen, servieren ließ. Neben ihm im Kühler stand eine eben entkorkte Pommery und eine Flasche Porter, mit dem er den Pommery verdünnen wollte. Danach wollte er dann ein Filetsteak mit gestobten Austern, etwas Stiltonkäse und eine goldbraune Omelette soufflée bestellen. Er dachte eben nach, was er vielleicht sonst noch nehmen könne, als der Kellner den Sektkühler umstieß und Augusten über den rechten Fuß warf.

»Dusseltier!« rief August und erwachte, und der Sektkühler war ein Wassergraben in Flandern, in den sein rechter Fuß hinabgerutscht war.

Da die feindlichen Geschosse hier im allgemeinen von Westen nach Osten flogen, so drängte sich August aus einer festgewurzelten Sympathie besonders zu solchen Verrichtungen, die sich in derselben Richtung bewegten. Wenn aus dem Osten zum Beispiel Lebensmittel oder sonst irgendein Bedarf herbeigeschafft werden sollten – August meldete sich sofort. August strebte immer gen Osten wie der Muselmann nach dem Grabe des Propheten. Und nichts lag ihm bei solchen Verrichtungen ferner als Überstürzung auf dem Rückwege. Ich weiß nicht, ob du, lieber Leser, jemals Soldaten bei solch einer Arbeit beobachtet hast, zum Beispiel wenn sie einen Wagen mit Kommißbrot fortbewegten. Unsere Soldaten sind auch deshalb so gesund, weil das Brot nie zu frisch in der Kaserne ankommt. Drei Mann ziehen den Wagen, und viere halten zurück. Der Mont Blanc bewegt sich schneller. August Gutbier war der erste, dem es gelang, diese mit Erlaubnis zu sagen Geschwindigkeit zu unterbieten. Wie Hölderlins Hyperion war er still und bewegt; mit dem Kardinal Este gemeinsam hatte er den Wahlspruch »In motu immotus«. Bei jedem Auftrag solcher Art schiffte er wie Schillers Jüngling mit tausend Masten gen Osten und kehrte wie der Greis zurück, immer in der stillen Hoffnung, die Sache bis zum Friedensschluß ausdehnen zu können.

Bei dieser Darstellung schwebe ich aber nun in einer Angst, daß man meinen August für einen an sich sehr trägen und langsamen Menschen halten könnte. Nichts wäre verkehrter als das! Wenn in absehbarer Entfernung ein Geschoß einschlug und andere Deckung suchten, hatte er sie längst gefunden, war er längst bis auf die äußerste Haarspitze verschwunden, und Gott nur weiß, wie und wo er immer so schnell ein Loch fand. Er war also im Gegenteil ein behender Mensch. Oder die Tarnkappe Siegfrieds war durch Erbschaft auf ihn gekommen.

Zu Ausflügen nach Westen meldete August sich grundsätzlich nicht. Die ganze Richtung paßte ihm nicht. Wenn es sich um eine schwierige und nicht ungefährliche Erkundung handelte und zu freiwilliger Meldung aufgefordert wurde, so zeigte sich, wie recht wir hatten, wenn wir schon zu Anfang dieser Erzählung mit dem uns eigenen Menschenkennerblick deren Helden als einen reservierten Charakter bezeichneten. Er meldete sich nicht und erklärte seinen Kameraden auch, warum er sich nicht melde. Das ganze Unternehmen sei wieder mal völlig zwecklos; der Kompagnieführer habe ja keine Ahnung. Zwecklos seine Haut zu Markte tragen – nein, das falle ihm nicht ein. Wenn die Sache einen Sinn habe, ja, dann natürlich mit Freuden; aber so –? Nee.

 


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