Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

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30. Kapitel.

August erwirbt vor seiner Einberufung das Eiserne Kreuz I. Klasse.

Über die militärische und kriegerische Laufbahn August Gutbiers liegen keine unmittelbaren Berichte vor. Die Quelle, die uns die genauesten und eingehendsten Aufschlüsse gewähren könnte, seine eigene Mitteilung nämlich, pflegte später nur äußerst spärlich zu fließen und sich nur in den allgemeinsten Andeutungen zu ergießen. Als echter Kriegsmann machte er kein Aufhebens von seinen Heldentaten. Wir sind also auf Nachrichten aus zweiter Hand, auf die Mitteilungen und Schilderungen von Augen- und Ohrenzeugen angewiesen, und auch diese Berichte klingen nur aus nebelhafter Ferne zu uns herüber wie die vom Wind zerrissenen Klänge einer düsteren Ballade.

Als August gezogen war, sagte er sich natürlich sofort, daß er dies am Stammtisch als ein frohes Ereignis und als beglückenden Erfolg redlicher Bemühungen auffassen müsse. Er wurde denn auch natürlich angehalten, sein Glück mit allerlei guten Getränken zu feiern. Allgemein bewunderte und belobte man den sicheren ärztlichen Blick des Generalarztes Dr. Seidensticker.

»'s war iberhaupt ä reizender Mensch!« rief Anton Bemmefett. »Schade, daß er nich wiedergegommen is? Ha'm Se ihm schon seine fünfhundert Mark zurickerschtattet?«

»Natürlich,« sagte August kurz.

»Der Professor is ooch nich wiederjekommen,« bemerkte Strippecke.

Man versicherte Augusten, daß er das Eiserne Kreuz sozusagen schon in der Tasche habe, und August war davon so erfreut, daß er Wein spendierte.

Bald darauf machte man ihm klar, daß das Hanseatenkreuz dann die selbstverständliche logische Folge sei, und August rief:

»Das würde mir ja nu 'n ganz besondern Spaß machen; ich bin ja doch 'n Hamborger Jung, verdammichnochmalzu!« und spendete einen noch besseren Wein.

Acht Tage später bewies man ihm, daß er nach Recht und Billigkeit Ritter des Eisernen Kreuzes erster Klasse werden müsse, und da ein Ritter repräsentieren muß, so ließ er Sekt kommen.

Als man ihm aber noch am selben Abend spät den Pour le mérite verleihen wollte, lehnte er ab, ob aus Bescheidenheit oder Sparsamkeit, war nicht mehr zu unterscheiden. Wenn man ihn genügend feierte, war August freigebig; aber als Mann, der sich beherrschen kann, behielt er auch in der höchsten Begeisterung einen klaren Blick für den Saldo.

Als man sich in Vermutungen über den Ort seiner Bestimmung erging, rief August:

»Och, ich geh' natürlich zu meinem Freund Graf Hoynefeld, der kommandiert 'n Batteljon im Osten, ja. Ich hab' schon an ihn geschrieben, ja. Das hab' ich. Hab' auch schon mit 'm Feldwebel gesprochen un ihm kräftig die Hand gedrückt. Der macht das. Da steh' ich nix aus!«

Aber der Graf und Bataillonskommandeur hatte vermutlich etwas anderes zu tun; er antwortete nicht, und der Feldwebel war wohl »augenblicklich nicht momentan« gewesen; denn August ist ganz anderswo hingekommen.

Zunächst ist er – zu seiner Ausbildung – in das paradiesisch gelegene Bumsterlager gekommen, das nach allen vier Himmelsrichtungen die weitesten Ausblicke, jedem Sonnenstrahl, allen Winden und sämtlichen Regentropfen Zutritt gewährt und ungemein viel Erdgeruch aufweist. Die Bewässerung erfolgt ausschließlich durch den Schweiß der übenden Soldaten.

Den ersten erschütternden Eindruck erfuhr August, wie man berichtet, bei der Einkleidung. Der Kammer-Unteroffizier setzte ihm nämlich den Helm aus etwa fünfzig Zentimeter senkrechter Entfernung aufs Haupt und sagte, noch bevor der Helm an seinem Bestimmungsort angelangt war, mit einem Ton, der jeden Widerspruch im Keim erstickte: »Der paßt!« August soll das, obwohl sein Schädel besonders fest gebaut war, als Mißhandlung empfunden und ein sehr böses Gesicht gemacht haben, und wenn er das getan hat, so hat er es mit vollem Recht getan, insofern aber auch wiederum ganz mit Unrecht, als er früher immer festgestellt hatte, es gebe in der Armee keine Mißhandlungen. Man soll ihm dann ein Paar kolossale Versteinerungen vor die Füße geworfen und als Stiefel bezeichnet haben.

»Die sind ja steinhart!« soll er ausgerufen, und der Unteroffizier soll ihm erwidert haben:

»Exzellenz können ooch Zeugstiebel haben, wenn Sie die vorziehen,« und dann, in einen wohlwollenden Ton übergehend: »Siehste, mein Junge, die legste erst dreimal vierundzwanzig Stunden in Wasser wie die Salzheringe, un denn schmierste sie feste mit Tran, vastehste? Denn sollste mal sehen, denn haste 'n Paar hochelejante Ballschuhe!«

Was war das? Dieser Hungerleider von Unteroffizier duzte ihn? Und sagte »mein Junge« zu ihm? Zu Herrn August Gutbier, Im- und Export, Börsenpfeiler Nr. 13, mit einer jährlichen Millionen-Bilanz, Kassierer des Bürgervereins Fuhlenbek-Süderteil, Ehrenmitglied des Pfeifenklubs »Volldampf voraus« – »mein Junge«?

Wenn August hierüber empört war, so können wir ihm wiederum nur aus vollem Herzen beipflichten, insofern aber auch wiederum nicht, als er seine Dienstboten und unteren Angestellten auch immer geduzt hatte. Seine Buchhalter zwar hatte er »Sie« genannt, aber nicht »Herr«. »Was heißt ›Herr‹ ›Herr‹! Herr bin ich!« hatte er gesagt.

Dann hatte man ihm einen Drillichanzug hingeworfen, der seit der Schlacht bei Zorndorf nicht gereinigt war.

»Der starrt ja von Dreck!« hatte August gerufen und ihn gar nicht angefaßt. Da hatte der Kammerherr aber Augen gemacht!

»Wat?« hatte er gerufen. »Dreck nennste det? Mit solchen Ausdrücken sprichste von eenem Monturstück, an dem die janze jlorreiche Tradition des Regiments haftet? Na warte, mein Junge. Mit diesem Anzug jehste noch heute abend unter de Pumpe und wäscht 'n so lange, bis er leuchtet wie jungfräulicher Schnee! Aber det de mir det kostbare Jewebe schonst und keene Bürste und Seefe nimmst, vastehste?«

Augenzeugen wollen noch in sinkender Nacht Herrn Gutbier »geschäftig bei den Linnen« an der Pumpe gesehen haben. Sicher ist, daß August schon an diesem Abend mit allen Fibern seiner Seele meuterte.

August hatte zwar die Zorndorfer Reliquie einem Kameraden vertrauensvoll zur Reinigung übergeben und den dafür entfallenden Betrag von drei Mark und zwölf Zigarren bereits entrichtet; im letzten Augenblick war aber dann der Kammer-Unteroffizier erschienen, hatte ihm hilfsbereit den Weg zur Pumpe gewiesen und die Arbeit von Zeit zu Zeit überwacht.

Als August müde und matt in die Mannschaftsstube zurückgekehrt war, sagte nach einer Weile ein Mecklenburger zu ihm:

»Du, Hamburger, leih mir mal deine Knopfgabel.«

Erstens wollte August seine Gebrauchsgegenstände nicht von anderen Händen angefaßt wissen – zweitens aber wollte er sich von Gemeinen jedenfalls nicht duzen lassen.

»Ich habe meines Wissens,« sagte er mit der ganzen ihm anhaftenden Vornehmheit, »ich habe meines Wissens mit Ihnen nicht die Schweine gehütet!«

»Also Schweine hast du gehütet!« rief der Mecklenburger. »So siehst du aus.«

Hier hatte August einen verhängnisvollen Fehler gemacht. Nicht nur lachte ihn alles aus, nicht nur duzten ihn von jetzt ab alle, er trug von nun an auch, auf Anregung eines Kenners der Odyssee, den unverlierbaren Beinamen »Der göttliche Sauhirt«.

 


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