Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Kapitel

Wenn kluge Männer reden

Die Unterhaltung wandte sich wieder der Bühne zu, und zwar diesmal dem redenden Schauspiel. An einem Theater hatte man Ibsens ›Stützen der Gesellschaft‹ gegeben. August Gutbier behauptete, das Stück nicht zu kennen; als man aber näher darauf einging, erinnerte er sich.

»Och ja, das kenn' ich, das kenn' ich sogar sehr gut! Da war die kleine Mausbach großartig drin, die machte den Jungen, den Sohn, der auf das Schiff nach Amerika geht. Junge, was hatte das Weib für 'n Paar Beine! Das is doch das Stück mit dem kaputten Schiff, nich? mit dem schwimmenden Sarg un mit dem Konsul, wie heißt er man noch?«

»Bernick,« sagte Merswinsky.

»Richtig, Bernick. Das is doch von Wildenbruch, nich?«

»Nee, det is jottseidank von Ibsen,« sagte Strippecke, »von dem jrößten Dichter, den wir überhaupt haben – abjesehen von Strindberg – un Oskar Wilde natürlich.«

»Djä, das mag ja nu sein,« rief August, »'n großer Dichter mag das ja sein; aber glauben kann man doch von der ganzen Geschichte nix. Das is doch allens 'n ganz unmöglicher Kram! Stellen S' sich bloß mal vor, meine Herrschaften: Dieser Mann hat 'n Kind mit 'ner Schauspielerin, un nu will er sich verheiraten, un da is ihm die Geschichte natürlich im Wege, un da nimmt 'n Bruder seiner Braut aus Gefälligkeit das Kind un die Vaterschaff auf sich, weil er doch nach Amerika abreist! Na nu kommen Sie, meine Herren! Wenn der Kerl nich dummer als dumm is, denn weiß ich nich.«

»Leugnen Sie das Vorkommen dummer Menschen?« fragte Schellenbarth weich und friedevoll.

»Was?« machte August verblüfft.

»Ich meine, ob Sie nicht glauben, daß es dumme Menschen gibt.«

»Natürlich gibt es dumme Menschen; aber so dumme? Nee, die gibt's nich,« versicherte August. »Un is denn vielleich das andere möglich? Das sind doch allens Räubergeschichten! 'n großer, angeseh'ner Kaufmann, der soll 'n Schiff abgehen lassen, was nich seefest is? Das tut kein deutscher Kaufmann!«

»Das Schtick schpielt doch aber auch in Norwechen?!« rief Bemmefett.

August stutzte. »Na ja,« meinte er, »das is ja was anderes, das is ja richtig. Aber das is doch überhaup 'n ganz gemeiner Kerl, dieser Bernick,« rief August. »Das is doch sozusagen 'n Schuft is das doch!«

»Nu ja doch, det soll er ja ooch sind!« rief Strippecke, der sich sofort und bewußt in den Dialekt der geistigen Zentrale verbiß.

»Ja, erlauben Sie aber mal! Was tu' ich denn damit! Auf der Bühne will ich doch keine Verbrecher sehen! Denn kann ich ja man die Gerichtszeitung lesen!«

»Verzeihen Sie,« sagte der Professor schüchtern, »wenn ich mich in das Gespräch menge; ich verstehe ja nichts davon; das ist ja nicht mein Fach, und außerhalb seines Faches sollte ein Deutscher eigentlich nicht reden; aber finden sich bei unseren klassischen Dichtern nicht auch Verbrecher?«

»Ja, das is aber doch ganz was andres!« schrie August fanatisch, »bei Schiller un Goethe, da is doch allens idealisiert, da is doch allens sozusagen mit einem poetischen Schimmer verklärt! Und da siegt doch immer die sittliche Weltordnung, nöch?« (August hatte gestern die Kritik in den »Anzeigen« gelesen.)

»Ach du lieber Jott! Ach du lieber Jott! Sie stehn noch uf dem moralinsauern Standpunkt!« rief nun Strippecke. »Ach du meine Jüte! Ja sehn Se, det is nu reinste Provinz! Darüber sind wir in Berlin nu jlücklich drüber raus!«

»Wos kimmert denn ins Berlin?« rief Alois.

»Na erlauben Se jefälligst!« machte Strippecke. »Jibt Berlin vielleicht nich in Kunstsachen für janz Deutschland 'n Ton an?«

»Zweifellos. Und gewöhnlich einen falschen,« meinte der musikalische Schellenbarth.

»Na, det wollen wir noch sehr dahinjestellt sein lassen,« fuhr Strippecke fort. »Die Moral überlassen wir jedenfalls den ollen Spittelfrauen. Und der jute Schiller – na ja, er hat ja mal seine Bedeutung jehabt, det will ick ja gar nich leugnen – aber für unsere Zeit jenügt er denn doch, weeß Jott, nich mehr!«

»Was habe Se denn gegen onsern Schiller?« rückte jetzt Bopserle vor. »Ischt Ihne der Schiller nemma gut gnug? I will Ihne was sage, mei lieber Herr Direktor, onser Schiller ond onser Uhland ond onser Mörike, des sind die Altmeischter der Dichtkunscht, des sind Fürschte im Reich der Geischter, die solle Se ons net heronterreiße von ihrem Pooschtament!«

»Sö, Herr Direkter,« kam jetzt Gselchwampner, »Sö, wann S' mit Eahnerer ›Provinz‹ 'leicht Minka manen, i moan' halt, daß mir in Minka a a Kunst ha'm. Sö wissen, scheint's, no net, daß mir in Minka allanig finftausend Maler ham, gell? No jo, mir war's gnua!«

»Ich weiß nicht,« sprach jetzt Merswinsky, der Rat der geheimen Kommissionen, aus innerstem Kehlkopf, »was der Herr Direktor gegen die Moral hat. Ich muß sagen, ich habe es immer für meine vornehmste Aufgabe gehalten, auf ein sittlich einwandfreies Repertoire zu halten. Und ich bin überzeugt, unser verehrter Herr Direktor steht im Grunde genommen auf demselben Standpunkt. Gerade das Versicherungswesen ruht doch in eminentem Sinne auf ethischen Grundlagen. Wenn einer seiner Versicherungsnehmer eine schwere Krankheit verheimlicht oder sein Haus ansteckt usw., dann wird es der Herr Direktor sicher nicht billigen –«

»Na ja, das ist ja selbstverständlich!« beeilte sich Strippecke, der inzwischen etwas hochdeutscher und kleinlauter im Gemüt geworden war. »Das versteht sich ja per se, meine Herren, im Jeschäft muß natürlich Moral herrschen! Und im Leben überhaupt – na ja, ist ja Unsinn, daß wir überhaupt davon reden – im täglichen Leben müssen selbstredend die Moraljesetze jelten – darüber braucht man doch kein Wort zu verlieren, wo kämen wir sonst hin! – Aber in der Kunst is das doch janz was anderes; die Kunst steht doch auf einem höheren Standpunkt; die soll doch – die Kunst soll doch – jewissermaßen –«

»Ich will Ihnen mal was sagen, was die Kunst soll,« rief jetzt Gutbier mit der vollen Breitseite seiner Überzeugung, »die Kunst soll das Schöne bilden! Die Kunst soll uns erfreuen un erheben un veredeln un un un – un so weiter; sie soll uns emporheben über des Tages Last un Arbeit, das soll die Kunst!«

»Bravo!« rief Merseburg, der Dichter.

»Brafo!« rief Bemmefett, der Musikalienverleger.

»Bravo!« riefen alle anderen außer Strippecke. Strippecke war besiegt und die Streitfrage gelöst.

»Was sagt denn unser illustrer Gast dazu?« fragte Merseburg mit Andacht.

»Ich?« versetzte Schellenbarth.

»Ich freue mich, wenn kluge Männer reden,
Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen«;

im übrigen beschränke ich mich auf die Bemerkung, daß unser Cliquot alle ist und daß wir neuen haben müssen.«

»Brafo!« schrie Bemmefett, aber lauter als vorhin.

 


 << zurück weiter >>