Otto Ernst
Satiren, Fabeln, Epigramme, Aphorismen
Otto Ernst

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26. Kapitel.

August kennt seine Christenpflicht.

Das erste nächtige Dunkel, das auf seinen Lebensweg fiel, war der drohend vorausfallende Schatten einer zukünftigen Kriegsgewinnsteuer. All die wackeren Leute, die der deutschen Regierung, dem deutschen Volke, seiner Armee und Marine fort und fort mit unermüdlicher Treue die schönsten Sachen verkauft und geliefert hatten, sollten – so hieß es – von ihrem Gewinn einen gewissen – vorläufig obendrein noch dazu ungewissen – Prozentsatz an die Gesamtheit zurücksteuern.

»Das soll'n sie man mal versuchen, die Herren da vom grünen Tisch un die Quasselmeyer da im Reichstag!« rief August. »Denn soll'n sie aber mal was erleben! Denn werden sie mal gewahr werden, wie's mit der Versorgung von Volk und Armee aussehen wird!«

Er hatte gehört, daß die Landwirte einen »Anreiz« brauchten, wenn sie ihr Vaterland ernähren sollten, und dies Wort hatte ihm ausnehmend gefallen.

»Die soll'n sich aber wundern, wo die Produktion un wo der Handel bleibt, wenn der Anreiz wegfällt!« rief er aus tief erbebendem Busen. »Ich müßte ja doch 'n dreimal destillierter Esel sein, wenn ich mich abrackerte, um der Regierung Spargel un kondensierte Milch zu liefern, um mir dann nachher meine paar sauer verdienten Groschen wieder abknöpfen zu lassen! Ich werd' 'n Deubel tun! ...... werd' ich den Herren was!«

Ich werde mich schwer hüten, alles zu wiederholen, was August sagte. So groß mein Bestreben nach realistischer Treue ist, so weit geht es denn doch nicht, daß ich mir 8000 Jahre Zuchthaus auflüde.

»Wenn das Gesetz kommt, meine Herren, denn gibt es Revolution, das soll'n Sie mal sehen!« prophezeite August.

Die Schatten im Leben und auf der Stirn unseres Freundes verdüsterten sich weiter, als die unabhängigen und ordentlichen Gerichte gewisse Fälle von Kriegswucher bestraften. Es waren zwar nur schüchterne Versuche zu einer Bestrafung, aber als solche waren sie schon betrübend genug.

»Was is das überhaup für 'n Blödsinn: ›Kriegswucher‹!« schrie August schmerzzerrissen zu den Göttern empor. »Was heißt ›Kriegswucher‹?! Man muß doch weiß Gott glauben, daß diese Herr'n Richter in ihrem Leben nie was gehört haben von Markt un von Preisbildung! Aber das ischa die alte Geschichte; die Herren wissen von Tuten un Blasen nix! Wenn ich für 'n Pfund Butter zehn Mark bezahlen will, denn is das doch meine Sache! Das geht doch kein'n Menschen was an! Un wenn der Mann für seine Butter zwanzig Mark kriegen kann, denn is die Butter das eben wert, un denn is er 'n Heuochse, wenn er sie nich nimmt! Das is eben Ausnutzung der Konjunktur is das eben! Das regelt sich doch allens nach Angebot und Nachfrage!«

»So ist es!« sprach jetzt Leonhard Schellenbarth mit unbewegter Milde im Angesicht. »Wenn ich einen Dienstboten kriegen kann, der mir für einen trockenen Schwarzbrotknust zwölf Stunden am Tage arbeitet, dann wäre ich ja ein Zentralidiot, wenn ich nicht zugriffe. Wenn ihn die Not in meinen Dienst treibt, weil er nirgend sonst eine Stellung findet – ja, du lieber Himmel, das ist sein Pech! Angebot und Nachfrage sind zwei unerbittliche Lokomotiven, die gegeneinander fahren; wenn das, was zwischen ihnen zerquetscht wird, zufällig ein Mensch ist – tscha, du lieber Himmel:

Wer kann dafür?
C'est la culture!

Wenn ich mich hinterher in meinem Herzen gedrungen fühle, dem bedauernswerten Opfer der wirtschaftlichen Verhältnisse einen Groschen zu schenken, ja, das ist dann eine Sache für sich; das tu' ich dann eben als Christ und aus Nächstenpflicht; aber das ändert nichts an den Gesetzen des Wirtschaftslebens!«

»Sehr gut,« rief August, dessen Hochachtung vor dem Professor vorläufig noch immer im Wachsen war (das andere kam erst später), »sehr gut,« rief er. »Na, das ischa selbsverständlich, was ich aus Wohltätigkeit tun will, das is ja 'ne andre Sache; wo wirklich Not am Mann is, da tu' ich natürlich auch, was ich kann – wir haben da ja auch 'ne Volksküche draußen in Fuhlenbek, jaa, das tut man ja selbsverständlich; aber das hat doch nix mit 'm Geschäff zu tun! Geschäff is eben Geschäff!«

Wieder einmal seh' ich dir's an, teurer Leser, daß du meines Helden Beteiligung an der Fuhlenbeker Volksküche in Zweifel ziehst. Du scheinst überhaupt zum Argwohn zu neigen. Gewöhne dir das ab; das ist eine häßliche Eigenschaft. Ich selbst bin mit dem Sammelbogen herumgegangen und bin natürlich an dem reichsten Manne von Fuhlenbek- Süderteil nicht vorübergegangen. Er hat eine Mark gezeichnet. Du meinst natürlich: als einmalige Gabe. Nein, mein lieber Leser, monatlich, monatlich!! Und nicht etwa großprotzig mit seinem Namen daneben: »August Gutbier..... 1 M.«, sondern bescheiden, ohne jede Prahlerei: »N. N...... 1 M.«

Deutsch bis eine Mark!

Und drei Monate hintereinander hat Line Gutbier diese Mark ohne Murren entrichtet. Als dann aber die Not noch immer nicht beseitigt war, wurde sie begreiflicherweise ungeduldig.

Ob denn das schon wieder ein Monat sei, fragte sie das einsammelnde junge Mädchen. Es komme ihr so vor, als ob sie erst vorgestern gezahlt habe; so rasch vergehe die Zeit. Line war genau wie Jehova; tausend Jahre waren ihr wie ein Tag, wenn sie zahlen sollte. Das nächste Mal fragte sie, ob denn auch wirklich nur Notleidende aus der Kriegsküche gespeist würden. Da kämen doch wohl auch manche, die es gar nicht nötig hätten, die sich nur gern auf andrer Leute Kosten sattessen möchten. Und als sie dann eines Tages tatsächlich erzählen hörte, daß eine im Fuhlenbeker Prytaneion gespeiste Kriegerfrau in einem Gartenkonzert gesehen worden sein solle, da strich Line beim nächsten Erscheinen des sammelnden Mädchens mit tiefer Inbrunst die gezeichnete Mark und erklärte, dazu habe sie nicht ihr Geld, um faule Schlumpen im Nichtstun zu bestärken. Das arme kleine Mädchen, das seine freie Zeit mit dem Einsammeln der Gelder und mit der Pflege schmutziger kleiner Kinderrangen verbrachte, wurde so rot und heiß, als wäre es selbst die Schlumpe, und ging betreten von dannen. So kunstreich ist die Welt organisiert.

 


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