Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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1. Dez.

Grillparzer als Prophet:

Sie regen sich, doch immerdar im Kreis.
Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind.
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Der Reichsfürst will sich lösen von dem Reich,
Dann kommt der Adel und bekämpft die Fürsten;
Den gibt die Not, die Tochter der Verschwendung,
Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers,
Der allen Wert abwägt nach Goldgewicht.
Der dehnt sich breit und hört mit Spottes-Lächeln
Von Thoren reden, die man Helden nennt,
Von Weisen, die nicht klug für eignen Säckel,
Von allem, was nicht nützt und Zinsen trägt.
Bis endlich aus der untersten der Tiefen
Ein Scheusal aufsteigt, gräßlich anzusehn,
Mit breiten Schultern, weitgespaltnem Mund,
Nach allem lüstern, und durch nichts zu füllen.
Das ist die Hefe, die den Tag gewinnt,
Nur um den Tag am Abend zu verlieren,
Angrenzend an das Geist- und Willenlose.
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Ich sage dir: nicht Scythen und Chazaren,
Die einst den Glanz getilgt der alten Welt,
Bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker;
Aus eig'nem Schoß ringt los sich der Barbar,
Der, wenn erst ohne Zügel, alles Große,
Die Kunst, die Wissenschaft, den Staat, die Kirche
Herabstürzt von der Höhe, die sie schützt,
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit,
Bis alles gleich, ei ja, weil alles niedrig,
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Erst gebt dem Einzelnen, dem Unverständ'gen
Ein Urteil ihr in dem, wo selbst die Weisen
Verstummend steh'n als an der Weisheit Grenze,
Dann ruft ihr ihn vom Acker auf den Markt,
Zählt seine Stimme mit und heißt ihn mehren
Die Mehrzahl wider Ehrfurcht und Gesetz.
Ihr stellt ihn gleich mit euch, und hofft doch, künftig
Als Mindern ihn zu stellen unter euch?
Und wärt ihr auch so christlich mild gesinnt,
Im Menschen nur zu sehen euren Bruder:
Seht an die Welt, die sichtbar offenkund'ge,
Wie Berg und Tal und Fluß und Wiese steh'n.
Die Höhen, selber kahl, zieh'n an die Wolken
Und senden sie als Regen in das Tal,
Der Wald hält ab den zehrend wilden Sturm,
Die Quelle trägt nicht Frucht, doch nährt sie Früchte,
Und aus dem Wechselspiel von hoch und niedrig,
Von Furcht und Schutz erzeugt sich dieses Ganze,
Des Grund und Recht in dem liegt, daß es ist.
Zieht nicht vor das Gericht die heil'gen Bande,
Die unbewußt, zugleich mit der Geburt,
Erweislos, weil sie selber der Erweis,
Verknüpfen, was das Klügeln feindlich trennt.
Du ehrst den Vater – aber er ist hart;
Du liebst die Mutter – die beschränkt und schwach,
Der Bruder ist der nächste dir der Menschen,
Wie sehr entfernt in Worten und in Tat;
Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht,
So fragst du nicht, ob sie der Frauen Erste,
Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz,
Ein Fehler ihrer Zunge scheint Musik.
Und das: Ich weiß nicht was, das dich entzückt,
Ist ein: Ich weiß nicht was für alle andern;
Du liebst, du hoffst, du glaubst. Ist doch der Glaube
Nur das Gefühl der Eintracht mit dir selbst,
Das Zeugnis, daß du Mensch auf beiden Seiten:
Als einzeln schwach, und stark als Teil des All.
Daß deine Väter glaubten, was du selbst,
Und deine Kinder künftig treten gleiche Pfade,
Das ist die Brücke, die aus Menschenherzen
Den unerforschten Abgrund überbaut,
Von dem kein Senkblei noch erforscht die Tiefe.
O, prüfe nicht die Stützen, bessre nicht!
Dein Menschenwerk zerstört den geist'gen Halt,
Und deine Enkel lachen einst der Trümmer,
In denen deine Weisheit modernd liegt.
Ist eure Satzung wahr, wird sie bestehn
Und wie das Bäumchen, das vom Stein gedrückt,
Die Zweige breiten, siegend ob der Last;
Allein, wenn falsch, so wißt, daß seine Wurzeln
Auflockern All, was fest und alt und sicher.
Der Zweifel zeugt den Zweifel an sich selbst,
Und einmal Ehrfurcht in sich selbst gespalten,
Lebt sie als Ehrsucht nur noch und als Furcht.
Maßt euch nicht an, zu deuteln Gottes Wahrheit.


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