Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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4. Dez

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Nun hat mein lieber Franz Löser mit dem »Kriegerdenkmal«, seinem neuesten Stück, auch wieder einen fröhlich lärmenden Erfolg! Er weiß, daß ich ihm's von Herzen gönne; so wird er hoffentlich nicht mißverstehen, wenn ich bekenne, daß mir jetzt aber schon zuweilen ein bißchen für ihn bange wird. Nämlich gerade weil ich mit ihm weit höher hinaus will als er offenbar selbst, muß ich fürchten, daß man es ihm zu leicht macht. Es wird, scheint mir, jetzt Zeit für ihn, bald einmal gründlich durchzufallen. Man braucht das zuweilen, und ich weiß aus Erfahrung, wie gut es einem tut. Nur die schweren asthmatischen Begabungen haben's nicht nötig. Er aber in der Sorglosigkeit seines inneren Reichtums lernt sonst nie, sein Talent endlich an die Leine zu nehmen. Und es wäre zu schad um ihn, er bringt so viel mit! Vor allem ist er ein geborner Theatermensch, dem sein eigenes Leben selber unwillkürlich dramatisch wird. Und noch dazu mit der gewissen »Theaterpratzen«, in der, was sie berührt, alles gleich zu knallen anfängt. Armer Leute Kind, bald von den Eltern weg, Schlosserlehrling, Wanderbursch, Athlet, Tierbändiger, Ringkämpfer, Soldat, eingerückt, im Feld, im Spital, im Soldatenrat, ist er jetzt mit Erlebnissen, mit Ereignissen so vollgestopft, daß, wo man ihn nur antippt, immer gleich Erinnerung an ein Abenteuer urlebendig aus ihm aufspringt. Dann hat er auch das große Glück, von unserer sogenannten »Bildung« wenig verdunkelt zu sein: er blickt mit hellen Augen noch dem Leben unmittelbar ins Gesicht. Uns armen mit Mittelschulunterricht geschlagenen Leuten redet, wenn wir uns auszusagen anfangen, gleich so viel Angelerntes drein, wir wissen, bevor wir selber zu schreiben beginnen, längst zu gut, was und wie man zu schreiben hat, die ganze deutsche »Bildung« läßt uns gar nicht zu uns selber kommen, denn was wir erleben, haben wir doch immer vorher schon längst irgendwo gelesen. Er aber entdeckt Schritt für Schritt sein Leben noch selber, unvorbereitet, er kann sich noch wundern. Wir haben doch alle vielleicht unsere beste Kraft damit vertan, erst das Angelernte, den ganzen Wortschwall, all das Mechanische wieder vergessen zu lernen, um aus der vermaledeiten »Bildung« wieder zur Natur auszubrechen, zu einer zweiten Unschuld; refaire une virginité, das war unser Hauptproblem. Er aber, ein geborner Theatermensch, doch dabei noch ganz unverdorben, frisch vom Zapfen seines urkräftigen Instinkts – welch ein Glücksfall! Für ihn selbst nicht bloß, sondern auch für uns, für die deutsche Bühne! Und er lasse sich nur um Gotteswlllen nicht weismachen, daß es ihm an »Bildung« fehle! Vielmehr macht dies gerade, daß er sich nicht erst durch den Schleim und Brei gestockter »Bildung« hat durchfressen müssen, ihn so stark. Nein, was ihm fehlt, ist nicht »Bildung«, ihm fehlt das Handwerk seiner Kunst! Einfälle schüttelt er in so dichten Haufen aus den Aermeln, daß man in die Hände klatscht, es ist auch herrlich, nur soll er sich nicht täuschen lassen: es ist nicht Kunst, es ist vorderhand nur Material, es muß erst noch durch das Handwerk durch, um Kunst zu werden. Und eher kann noch einem Handwerker, dem nichts einfällt, ein Stück gelingen, als daß aus einer Fülle von Einfällen jemals ohne Handwerk ein Stück wird, ein richtiges Theaterstück. Sein Handwerk muß er lernen: Szenen zimmern, Akt um Akt bauen, Gestalten einander anmessen, Wirkungen abwägen, auswägen, Überraschungen vorbereiten, Vorbereitungen verheimlichen, kontrapunktieren, fugieren und dann immer auch noch ein bißchen schwindeln, denn nur durch einen gelinden Zusatz von List und Trug wird die strenge Wahrheit der Natur dem Menschen erst erträglich, und dazu hat er ja nämlich die Kunst erfunden, lieber Löser!


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