Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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24. August

Seit Jahren las ich nichts so Sterbenstrauriges als die Briefe Gauguins an Georges Daniel de Monfreid, einen das Ruhmeslicht meidenden Maler. Sie sind in Tahiti geschrieben (jetzt, von Viktor Segalen eingeleitet, von Hans Jacob übersetzt, bei Gustav Kiepenheuer in Potsdam erschienen), erstrecken sich über elf Jahre und enthalten im Grunde nichts als Klagen, Klagen über sein Elend, Klagen um Geld. Er ist anspruchslos, lebt oft wochenlang von Reis und Wasser, braucht sonst nichts als Farben und allenfalls noch gelegentlich Saiten für seine Gitarre, hundert Frank im Monat würden also genügen, und fänden sich gar in Paris fünfzehn Leute, die jeder ihm alle drei Monate je vierzig Frank zu schicken sich verpflichteten, wofür er ihnen alles, was er malt, überlassen will, so wäre sein Glück gemacht. Wir wissen heute, sie hätten's nicht bereut. Damals aber fanden sich die fünfzehn nicht. Es fand sich selten einer, der ihm auch nur antwortete. Nur einmal im Monat kam die Post aus Frankreich und meistens brachte sie nur den gewohnten Brief des treuen Monfreid; und wenn es zuweilen geschah, daß auch der einmal nicht schrieb, da wurde dem Vergessenen gar der Monat lang. Und er malte, malte Bild um Bild und schickte Bild um Bild hinüber, die Freunde sollten's verkaufen. Die Freunde hatten aber andere Sorgen. Er konnte das gar nicht verstehen. Und das ist das Unheimliche, das einen in diesen Briefen so sterbenstraurig macht, daß da die furchtbare Selbstsucht des Künstlers entblößt wird, auch des reinsten, des edelsten. Es kommt heraus, daß unter Künstlern, so sehr sie sich einreden mögen, einander zu schätzen oder immerhin gelten zu lassen, im Grunde doch jeder nur sich selber für unentbehrlich hält, keinen anderen aber wichtig nimmt oder gar nötig hat. Wenn ein Künstler es so weit bringt, sich einen anderen Künstler überhaupt auch nur gefallen zu lassen, das ist schon das höchste, was er an Selbstüberwindung leisten kann. Man darf es ihnen nicht verdenken, denn ihr Beruf, der ja durchaus das Außerordentliche von ihnen verlangt und jeden nötigt, selber die Summe der ganzen Welt zu sein, zwingt ihnen das entsetzliche Gefühl ihrer Einzigkeit auf, das ja die anderen Menschen ganz ebenso haben, aber sich wenigstens nicht eingestehen müssen. Es war auch schon das Motiv, das ihn nach Tahiti trieb. Er antwortete damals auf alle Fragen immer nur: »Ich will zu den Wilden!« Jeder Künstler will eigentlich immerfort zu den Wilden; im Grunde ist's das Thema jedes Künstlerlebens, sich seine Wildnis zu schaffen, es ist das ewige Thema der Kunst. Nur daß es hier einmal einer mit dreister Unschuld ausspricht, das macht dieses Buch so furchtbar. Man lernt da verstehen, daß er einmal unter ein Selbstbildnis schrieb: »Nahe an Golgatha!« Und unwillkürlich denkt man an seinen Freund van Gogh, der ja Golgatha noch näher kam . . . Aus Segalens Einleitung notiert: Gauguins Urgroßvater war spanischer Oberst in peruanischen Diensten, irgendein Großoheim Präsident von Peru, und nach Peru wandert sein Vater Clovis, liberaler Journalist, nach dem Staatsstreich aus, mit sechs Jahren kehrt Paul nach Frankreich zurück, mit siebzehn wird er Matrose, nach dem Krieg tritt er in eine Bank ein und wird achtundzwanzig, bevor er zu malen beginnt, ist fünfunddreißig, als er sich entschließt, »von jetzt ab alle Tage zu malen«, geht dann nach Pont-Aven in der Bretagne und fünf Jahre darauf, ein Vierziger, nach den Antillen. »Er hätte sich viel früher in sein Leben einschiffen sollen«, sagt Segalen. Damit beginnt sein Glück, sein Elend und sein Tod. Denn seit er sein Ideal, »abseits vom Offiziellen zu leben«, lebt, lebt er eigentlich immer schon im Vorgefühl des Todes, ja sozusagen angesichts des Todes. Segalen erinnert hier an Rimbaud, der auch in seinen Briefen dreihundert Seiten lang nur nach Geld jammert, bis er in die Somaliwüste geht. Wenn sich die Menschheit dereinst befreit haben wird, werden ihr vielleicht diese beiden Existenzen Mythen scheinen, unglaublich schaurige Mythen der Zivilisation . . . Von seiner Kunst spricht Gauguin in diesen Briefen sehr selten, aber die paar Stellen sind überwältigend. »Übrigens hat mein großes Bild für einige Zeit meine ganze Lebenskraft absorbiert; ich betrachte es unaufhörlich, und weiß Gott (gestehe ich), ich bewundere es. Je länger ich es sehe, desto klarer werden mir die gewaltigen mathematischen Fehler, die ich keinesfalls retuschieren will – das Bild bleibt, wie es ist, im Skizzenzustand, wenn man so sagen will. Aber da taucht die Frage auf, und ich bin ganz fassungslos: Wo beginnt die Ausführung eines Bildes, und wo endet sie? Im Augenblick, da höchste Empfindungen in der Tiefe des Wesens in Fluß sind, im Augenblick, da sie zum Ausbruch kommen und der Gedanke wie Lava aus einem Vulkan bricht, ist das nicht eine Blüte des plötzlich geschaffenen, vielleicht brutalen Werkes, das aber sicherlich groß und übermenschlich ist? Das kalte Rechnen der Vernunft hat nicht über dieser Blüte gewaltet, wer aber weiß, wann in der Tiefe des Wesens das Werk begonnen wurde? Unbewußt vielleicht. Haben Sie schon gemerkt, daß, wenn Sie eine Skizze nochmals abzeichnen wollen, mit der Sie zufrieden sind und die in einer Minute, einer Sekunde der Inspiration geschaffen ist, Sie immer nur eine minderwertige Kopie zuwege bringen, hauptsächlich, wenn Sie die Proportionen verbessern, die Fehler, die der Verstand zu sehen glaubt? Ich höre manchmal: der Arm ist zu lang usw. Ja und nein. Vor allem aber nein, denn, machen Sie ihn zu lang, so verlassen Sie die Wahrscheinlichkeit, um zur Fabel zu gelangen, was kein Uebel ist; selbstverständlich muß das ganze Werk denselben Stil, denselben Willen atmen. Wollte Bouguerreau einen zu langen Arm machen, ja, was bliebe ihm, dessen Vision – künstlerischer Wille – nur in der stumpfsinnigen Genauigkeit liegt, die uns an die Fessel der materiellen Wirklichkeit kettet!« Mit dieser Erkenntnis, daß gerade durch solche dem Künstler von einem ihm selber unbegreiflichen Gefühl wider sein besseres Wissen aufgedrungene vermeintliche Fälschungen der Wirklichkeit allein der Weg zur vollen Wahrheit geht, ist der Sieg über den Naturalismus entschieden und so spricht er dann gleichsam das Urwort aller bildenden Kunst aus, wenn er sagt: »Letzten Endes muß in der Malerei die Suggestion, nicht die Beschreibung gesucht werden, ganz wie in der Musik.« Er gesteht dann freilich selber, daß auch seiner Kunst noch die Reife fehlt: »Ich fühle, daß ich künstlerisch recht habe, werde ich aber auch die Kraft haben, das in entscheidender Weise auszudrücken? Auf alle Fälle werde ich meine Pflicht getan haben, und wenn meine Werke nicht bleiben, so wird die Erinnerung an einen Künstler bleiben, der die Malerei von alten akademischen Verschrobenheiten und von symbolistischen Schiefheiten (auch eine Art Sentimentalismus) befreit hat.«


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