Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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2. Juni

»Franz Schuberts Briefe und Schriften. Mit den zeitgenössischen Bildnissen, drei Handschriftproben und anderen Beilagen. Herausgegeben von Otto Erich Deutsch« (Georg Müller Verlag, München). Es sind uns bloß dreiundsechzig Briefe Schuberts erhalten, aber der ganze Schubert ist darin in seiner ahnungslosen Größe, vor der er, wenn sie sich doch zuweilen ihrer bewußt wird, selber zurückschrickt. In sein Tagebuch schreibt er einmal: »Zu leichter Sinn birgt meistens ein zu schweres Herz.« Und ein anderes Mal: »Keiner, der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern versteht! Man glaubt immer zu einander zu gehen und man geht immer nur neben einander. O Qual für den, der dies erkennt!« Und dann wieder ganz hamletisch: »Was sollten wir auch mit dem Glück anfangen, da Unglück noch der einzige Reiz ist, der uns übrig bleibt?« Oder an Bauernfeld: »Ich kann unmöglich nach Gmunden oder irgend anders hin kommen, ich habe gar kein Geld und es geht mir überhaupt sehr schlecht. Ich mache mir aber nichts daraus und bin lustig.« Grundstimmung überhaupt durchaus »Wie es euch gefällt«, aber in den Ardennen zwischen Währung und Döbling. Von der Milder, die ihm nicht ersetzt werden kann, sagt er: »Sie singt am schönsten und trillert am schlechtesten«, womit wirklich dieser ganze Typus des erhabenen tragischen Gesangs verewigt ist, ebenso wie hinwieder das Geheimnis seiner eigenen Kunst in dem einen Satz: »Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen.« Er war eben als Mensch und als Künstler durchaus, was man draußen einen windigen Oesterreicher zu nennen liebt.


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