Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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7. Juli

Eine Wette verloren. Denn ich hielt das für einen dummen Spaß, aber jetzt hab ich's schwarz auf weiß vor Augen: »Verordnung der Gemeinde, betreffend Vermietung der Wohnungen in der heurigen Saison«, datiert vom 25. Mai 1920, in sieben Paragraphen; und gleich der erste sagt: »Die Vermietung darf nur für Antisemiten (Nichtjuden) erfolgen, da für Juden der Aufenthalt nicht gestattet wird«. Diese Begründung macht einen Sprung: weil man Juden nicht zuläßt, läßt man gleich überhaupt nur Antisemiten zu, doch auch die nicht alle, sondern nur, wenn sie »Nichtjuden« sind; also wieder gerade die besten Antisemiten nicht, die jüdischen, die wissen warum. Daß die Bekenner eines Glaubens, daß die Kinder eines Bluts unter sich sein wollen und jeden anderen Glauben, jedes andere Blut aussperren, kann man verstehen (wenn es auch wenig Vertrauen zur eigenen Kraft zeigt). Unserem Begriff von Freizügigkeit widersprichts, aber wir empfinden es schließlich als das gute Recht einer Gemeinde. Daß aber auch ich heuer nicht an jenen lieben See darf, ich, ein Landsmann, ein Landeskind, in demselben Erzherzogtum geboren und erzogen, desselben Glaubens und desselben Bluts, bloß weil ich nicht dieser einen besonderen jetzt dort herrschenden politischen Partei, weil ich kein Antisemit, weil ich überhaupt nirgends Anti, weil ich kein Widermensch, sondern in allen Dingen ein geborener Fürmensch bin, das scheint mir doch nicht recht gescheit. Da wird man nächstens am Eingang jedes Dorfes vom Gemeindesekretär verhört werden und sich erst ausweisen müssen, genau der Gesinnung zu sein, die bei den letzten Wahlen gesiegt hat. Und wie furchtbar langweilig, nun den ganzen Sommer nur mit Antisemiten oder nur mit Bolschewiken oder nur mit Schutzzöllnern oder nur mit Impfgegnern oder nur mit Vegetarianern zu verbringen! Mit wem soll man dann reden, wenn man nicht streiten kann? Ich muß sagen, daß ich mich halt in gemischter Gesellschaft immer noch am wohlsten fühle.


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