Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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12. April

In Stephan Großmanns regsamer Wochenschrift »Das Tagebuch« (Heft 11 und 12 vom 31. März; Ernst Rohwolt Verlag, Berlin) stimmt Keyserlings in Darmstadt geplanter »Schule für Weisheit«, meiner letzten deutschen Hoffnung, nun auch Thomas Mann herzhaft zu. Vor allem ist es die Prophezeiung des Balten, daß fortan in allen Ländern »politische Probleme allgemein als sekundär gelten werden«, zu der Mann aufatmend Amen sagt: »Amen, Amen! So sei es, so wird es sein!« Und ein Hauptverdienst Keyserlings scheint ihm gerade der Nachdruck, mit dem dieser bei der geforderten Synthese von Seele und Geist den Ton ganz besonders auf den Geist legt und nur vom Geiste die menschliche Wiedervereinigung der Seele mit dem Geiste erwartet, nicht von der Seele, nicht vom Gemüte. Ich muß gestehen, dagegen stille Zweifel zu hegen. Möglich, daß es der Geist ist, von dem der Impuls zu jener Wiedervereinigung ausgehen wird. Aber es schiene mir eine Gefahr, wenn der Geist dabei, was in seiner Natur liegt, die Herrschaft zu gewinnen strebte. Mag er beginnen, aber er darf nicht führend bleiben: denn es ist im Wesen des Geistes, wo man ihn führen läßt, sogleich zu verführen, vor allem immer auch sich selbst zu verführen. Sie dürfen mich deshalb, lieber Thomas Mann, noch nicht gleich der Romantik verdächtigen: ich bin so unromantisch, als man nur irgend sein kann, ich bin barock. Gerade weil ich barock bin, will auch ich ja jene Synthese von Geist und Seele so stark, die doch im Abendland noch niemals so rein erreicht worden ist als eben durch das Barock. Aber weil ich barock bin, weiß ich auch, daß jene Synthese nur dann möglich ist, wenn ihre beiden Pole ganz von derselben Kraft sind, daß sie nur so lange möglich ist, als das völlige polarische Gleichgewicht ungestört bleibt, das zu stören die scheue Seele niemals, aber der selbstsüchtige, der immer lieblose Geist stets versucht (der ja doch auch das Barock zerstört hat). Der Geist wird immer gleich wieder versuchen, ob er sich die Seele nicht amalgamieren kann. Das ist stets seine Art: er verspricht und meint sogar vielleicht im Ernst Synthesen, aber in seiner Hand wird ein Amalgam daraus, der Tod jeder Synthese, deren Leben eben darin besteht, die Gegensätze, die sie zusammmhält, alle ganz rein und ganz stark zu bewahren, jeden so rein und so stark, daß eben aus Druck und Gegendruck der unvermischten und unverwischten, einander bedrängenden und dadurch das Extrem, das Maximum einer jeden herausholenden Gegensätze zuletzt die fast unerträgliche Spannung entsteht, in deren Entladungen durch die Tat sich Synthesen allein erhalten können. Synthesen leben immer nur in Gewittern. Mißverstehen Sie mich nicht, Thomas Mann! Auch ich stimme Keyserling durchaus zu, wenn er sagt: »Was der Kritik nicht standhält, wird nie mehr dauernd herrschen können.« Dem kann ich ruhig zustimmen, weil ich mich sicher weiß, daß mein Glaube jeder Kritik standhält, wenn ich auch freilich den mir allzu norddeutschen Wahn nicht teile, daß es jemals einen »autonomen« Glauben geben könnte. »Denn ›autonom‹ und ›sittlich‹ schließt sich aus«, sagt Nietzsche mit Recht und Glaube schließt Sittlichkeit ein. Gerade darum sprechen Sie mir aus dem Herzen mit den Worten: »Was not tut, ist, daß der Geist aufhöre, nur sich selbst, das heißt die Zerstörung zu wollen, daß er sich entschließe, fortan dem Leben, der Ganzheit und Harmonie des Menschen, dem Wiederaufbau seelischer Form zu dienen, daß er zur Weisheit werde.« Und ebenso, wenn Sie weiter sagen: »Ich glaube nicht an einen deutschen Republikanismus in irgendeinem älteren westlichen Sinne« (wobei ich in Gedanken einschalte, daß ich mir dagegen sehr gut einen Republikanismus deutschen Sinns denken kann, etwa nach der Art der guelfischen Stadtstaaten, auf deren fruchtbare Form neulich Hermann Hefele hinwies – kennen Sie denn übrigens Hefeles sagenhaft schönes Buch über »Das Gesetz der Form«, bei Diederichs in Jena, das Ihrer Geistesart so tief verwandt ist und Ihren »Bürgersinn« auch dort, ja gerade dort erfreuen muß, wo es mich Zigeuner zuweilen leise befremdet?) »Auch erachte ich mit Ihnen«, fahren Sie, zu Keyserling gewendet, fort, »die Revolution ›in keinem Sinne für groß‹, und wer mir sagt, daß die Erhebung von 1918 eine reinere und wahrere gewesen sei als die von 1914, dem lache ich ins Gesicht . . . Deutschland als Kultur, als Meisterwerk, als Verwirklichung seiner Musik; Deutschland einer klugen und reichen Fuge gleich, deren Stimmen in kunstvoller Freiheit einander und dem erhabenen Ganzen dienen, ein vielfacher Volksorganismus, gegliedert und einheitlich, voll Ehrfurcht und Gemeinsamkeit, Echtheit und Gegenwart, Treue und Kühnheit, bewahrend und schöpferisch, arbeitsam, würdevoll, glücklich, das Vorbild der Völker – ein Traum, der wert ist, geträumt, der wert ist, geglaubt zu werden.« Solange dieser Wahrtraum noch in hundert deutschen Jünglingen wacht, und ihrer sind zehntausende!, mag man getrost die Banditen der offiziellen deutschen Politik ungestört schieben lassen, bis sie der Morgenwind verwehen wird.


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