Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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2. August

Zu schad! sagte mir in verklungenen schöneren Tagen Olbrich oft, zu schad, daß der Großherzog grad Großherzog sein muß: das brave Hessen könnt sich sicher auch selber regieren und welch einen Baukünstler hätten wir dafür an Ernst Ludwig gewonnen! Übrigens auch einen Regisseur. Vielleicht auch einen Tonkünstler. In allen diesen Künsten hat Ernst Ludwig, der Großherzog zu Hessen und bei Rhein, sich ja gelegentlich, wenn auch nur dilettierend, von einer das Dilettanten, auch Dilettanten im höchsten Sinn, gewährte Maß weit überholenden Kraft gezeigt, und vor allem von einer Frische, einem beherzten Eigensinn, einer Urwüchsigkeit des raschen Urteils wie der sicheren Empfindung, die doch nur der geborne Künstler hat. Geschmack, Kunstverstand, auch das Technische der sämtlichen Künste, ja Lust und Laune dazu, selbst die Handschrift einer eigenartigen Begabung lassen sich nicht bloß vortäuschen, sondern sogar bis auf einen gewissen Grad erwerben, er aber hatte, was den Dilettanten, auch den höchsten, versagt bleibt, er hatte den Klang einer Natur. Nun aber, welche Überraschung! Indessen ist ja Olbrichs Wunsch erfüllt worden: das Land regiert sich selbst und Ernst Ludwig hat Muße, mit seinem Freunde Keyserling die »Weisheitsschule« zu beraten, die sie für Darmstadt planen. Und siehe, da kommt aber jetzt auf einmal an den Tag, daß er ein Dichter ist: »Ostern«, ein Mysterium in drei Aufzügen von E. K. Ludhard (Manuskriptdruck der Gesellschaft hessischer Bücherfreunde, Darmstadt). Ich muß gestehen: alles hätt ich ihm eher zugetraut! Das Bild von ihm in meiner Erinnerung ist voll Anmut und Würde, voll Geist, voll Fürstlichkeit des Wesens: ein van Dyck, aber auch in der Kühle, in der Ferne von – ja, wovon eigentlich? »Gemüt« ist ein zu mißbrauchtes Wort, »Herz« wieder sagt mehr, als ich will. Kainz hätte ihn spielen können, der hatte das selber auch: irgendwas nämlich, das einen nicht in die Nähe läßt. Damit kann man der größte Künstler sein, nur kein Dichter, weil des Dichters Amt gerade doch ist, daß er einen in seine Nähe zieht. Und mit welcher Macht tut das aber Ernst Ludwigs »Ostern!« Die Überraschung für mich war der Mensch, den dieses stille, zarte, liedhafte Gedicht verrät. Ein Mensch, der das Leid kennt. Ein Mensch, der jetzt weiß, daß Leben in seinem tiefsten Sinne nur erlitten werden kann und daß jeder von uns, er sei auch wer er sei, nur genau so viel wert ist, als er gelitten hat, weil Leid allein froh macht. Ich hätte von ihm jedes Talent erwartet, nur nicht, daß er leiden kann, und nun empfangen wir gerade von ihm dieses durch und durch leidbegabte Werk! Es ist ganz er, aber in irgendeiner geheimnisvollen Verklärung. Und zur Kraft, mit der die Gestalten umrissen sind, die der ihre Not und Angst um den eingerückten Sohn mit Fingerübungen auf dem Klavier betäubenden Mutter, der unvergeßlich rein sich von einander abhebenden und dann doch auch wieder sanft ineinander gleichsam zurückfließenden Töchter, gar aber dieses irgendwie russischen und dennoch urdeutschen, grünewalddeutschen seltsamen Herrn Mittler in seinem Glauben, seinem wissenden Glauben an die Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten in Licht und Liebe, gesellt sich eine Stille der Ergebung von einem Seelenglanz, der zuweilen fast an die Gelassenheit, Zerlassenheit Meister Eckarts erinnert. Kein schöneres Vorspiel konnte sich die »Weisheitsschule« wünschen!


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