Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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2. Nov.

»Indessen begießt man einen Garten, da man dem Lande keinen Regen verschaffen kann.« Dieser pragmatische Rat Goethes enthält alles, was uns armen Rumpfösterreichern zu tun noch allenfalls übrig bleibt. Trachte jeder sein Gärtchen zu begießen, vielleicht, daß ihm noch ein paar Blümchen erblühen. Wer weiß, wann der liebe Gott dem Land wieder einmal Regen gibt? Sei bis dahin still daheim jeder für sich ein Candide. »Travaillons sans raisonner, dit Martin, c'est le seul moyen de rendre la vie supportable.« »Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin« . . . Jenes Zitat Goethes, mir bisher unbekannt, verdanke ich Emil Ludwigs Goethe-Buch, das nach dem ersten Band (»Goethe, Geschichte eines Menschen«, J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin, 1920) so wunderschön zu werden verheißt, daß man fast geneigt wäre, dem Verfasser seine Torheiten über Wagner, wenn auch nicht zu vergeben, so doch zu vergessen. In diesem ersten Band hat auf mich am reinsten das sechste Kapitel gewirkt, »Pflicht« überschrieben. Wie Goethe sein Amt übernimmt, sich dem Amt hingibt, ja fast an das Amt sich verliert, den hohen Ernst, den er einsetzt, ja die Leidenschaft, die er aufbringt, unbelohnt, kaum bemerkt, noch weniger verstanden, keineswegs gewürdigt und, was ärger ist, dadurch gehemmt, gestört, ja zuletzt alle Wirkungen vereitelt, vernichtet und sich aber nicht bloß um den Erfolg betrogen, sondern fast auch um die Freundschaft des Fürsten gebracht sieht, zu seinem Glück übrigens, wie doch dem von allen guten Genien bewachten, treu geleiteten Manne jede Gefahr, indem sie ihn sich nur immer noch tiefer auf sich zu besinnen, von den trügerischen Flächen seiner es sich allzu leicht werden zu lassen sehr bereiten Natur hinab auf den Grund unterzutauchen zwingt, zu seinem Glück, weil, hätte sich nicht der Minister in seinen Plänen beschränkt, in seinen Hoffnungen enttäuscht gefühlt, vielleicht der Künstler das Opfer geworden wäre, dieses merkwürdigste von allen inneren Abenteuern Goethes fand ich nie so behutsam, mit so viel Takt, mit so zärtlich schonender Hand nicht eigentlich aufgedeckt, weil ja hier Bloßlegen schon ein Bloßstellen wäre, sondern gerade nur so still berührt, als sich mit der Ehrfurcht vor dem Gewaltigen, auch im Irrewerden an sich selber Gewaltigen, eben noch verträgt. Unheimlich ist ja, wie Goethe, je größer ihn das ministerielle Abenteuer im Sittlichen zeigt, hier gegen seine Kunst fast gewissenlos scheint; kaum irgendein Dichterlein, noch so klein, hat je das Dichten so wenig wichtig genommen, wie Goethe seines. Das deutet Ludwig nur an, aber dafür ist des »Weltkinds«, für das sich Goethe so gern ausgab, ungeheurer Ernst, entsagendes Pflichtgefühl und fast mönchische Strenge mit sich selbst noch nie rührender, ergreifender gezeigt worden. Halten sich die beiden anderen Bände des Werkes auf dieser Höhe, so kann es für das deutsche Haus werden, was in meiner Jugend Lewes' indessen längst überholtes Goethe-Buch war.


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