Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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14. Oktober

Wenn der Inselverlag gerade jetzt des Thukydides Geschichte des Peloponnesischen Krieges herausgibt (übertragen von Theodor Braun, in ein Deutsch, das sich zuweilen doch allzusehr der Mundart des Tages nähert, ja fast schnoddrig wird), so geschieht das vielleicht mit einer geheimen Absicht, derselben, die laut aus der letzten Berliner Rektoratsrede spricht, aus Eduard Meyers »Preußen und Athen« (Verlag von Karl Curtius, Berlin). Preußen und Athen, für südlichere Deutsche reimt sich das nicht so leicht. Was Eduard Meyer meint, wäre verständlicher, wenn er etwa sagte: Thukydides und Treitschke. Denn dieser Vergleich stimmt wirklich: beide haben Geschichte mit sublimer Kraft umgedichtet und Ereignissen einen heroischen Sinn eingeprägt, der den Ereignissen erst von diesen beiden Dichtern zugeteilt, bald aber in der nachwachsenden Jugend auflebend dadurch dann allmählich Wahrheit wurde; geschichtliche Wahrheiten bestehen ja weniger in Taten, als sie aus Deutungen entstehen. Das lehrt das Beispiel des Thukydides, und eben das will an ihm offenbar Eduard Meyer nun seine Hörer lehren: was wir erlebt haben, erst die Jugend, die da kommt, wird ihm seinen Sinn geben, ihren Sinn nämlich, einen rühmlichen oder erbärmlichen, je nach der inneren Art dieser jetzt erst erwachenden Jugend. Darum beschwört er vor ihr für sie das Athen herauf, wie Thukydides es zu sehen sich einbildete und es zwang. Da können sie den Beethovenklang solcher Sätze hören (ich zitiere nach Theodor Braun): »Die Macht, die man hat, nicht behaupten zu können, ist schimpflicher als ein mißglückter Versuch, sie zu erwerben . . . Für die Ehre, welche unsere Stadt ihrer Machtstellung verdankt, auf die ihr euch so viel zugute tut, müßt ihr natürlich alle Kraft einsetzen und keine Beschwerden scheuen, solange ihr überhaupt noch Wert auf Ehre legt. Glaubt nicht, daß es sich in diesem Kampfe einzig und allein um Knechtschaft oder Freiheit handelt; es handelt sich auch um den Verlust eurer Herrschaft und um die gefährlichen Folgen des Hasses, den ihr euch durch eure Herrschaft zugezogen habt. Und diese aufzugeben seid ihr gar nicht mehr in der Lage, sollte auch dieser oder jener dunkle Ehrenmann unter den jetzigen Umständen um des lieben Friedens willen dazu raten. Denn sie ist längst Gewaltherrschaft geworden, die an sich zu reihen unrecht sein mag, aber wieder aufzugeben gefährlich ist. Solche Schwachköpfe mit ihrem guten Rat würden ein Gemeinwesen bald genug zugrunde richten, wenn sie in die Lage kämen, es auf ihre Weise zu regieren. Denn mit Friedensliebe um jeden Preis, der keine Tatkraft zur Seite steht, kommt man nicht durch, jedenfalls schickt sie sich nicht für eine Großmacht, sondern höchstens für einen Vasallenstaat, wo man nichts weiter verlangt als ein knechtisches Stilleben . . . Unsere Stadt hat ja eben deshalb in der Welt den großen Namen, weil sie sich dem Unglück nie gebeugt und im Kriege weder Opfer an Menschenleben noch Beschwerden gescheut hat und dadurch eine Macht geworden ist, wie sie bis dahin denn doch nie dagewesen. Und so wird sie für immer im Gedächtnis der Nachwelt fortleben, sollte es auch wirklich jetzt mit uns zurückgehen; denn die Bäume wachsen nun einmal nicht in den Himmel. Haben wir doch als Griechen über die meisten Griechen geherrscht, sowohl der Gesamtheit wie den einzelnen in gewaltigen Kriegen widerstanden und unsere Stadt groß und blühend gemacht wie keine andere. Schlafmützen freilich werden davon nichts hören wollen,wer sich aber fühlt und es selbst zu was bringen will, wird uns nacheifern, und wenn ihm das nicht gelingt, uns wenigstens beneiden. Und wenn man uns jetzt haßt und gern los sein möchte, so ist das noch allen so gegangen, die das Zeug in sich fühlten, über andere zu herrschen. Wer aber um den Preis von Ruhm und Größe auch Haß und Neid in den Kauf nimmt, macht kein schlechtes Geschäft; denn Haß währt nicht lange, der große Name aber, wenn man ihn mal hat, ist unsterblich. Nehmt also im voraus darauf Bedacht, was euch künftig Ehre und gegenwärtig keine Schande machen wird, und strebt danach, daß euch beides zuteil werde. Laßt euch mit den Lakedämoniern auf keine Verhandlungen ein, damit es nicht aussieht, als ob auch die jetzigen Beschwerden zu viel würden. Je weniger man im Unglück den Mut verliert, je steifer man den Nacken hält, umso besser wie für die einzelnen, so für die Staaten.« Knarrts in diesen Sätzen nicht wahrhaftig ganz preußisch? Wird hier nicht schon ganz fritzisch der eigene Vorteil immer in aller Unschuld sogleich zum Weltgesetz sublimiert, Ehre höchst naiv nur in Macht, Gewinn und Erfolg gesetzt, durch jeden eigenen Verlust das Recht der Menschheit gekränkt? Und wenn also Briefe des alten Fritz oft Seiten lang antik klingen, indem auch er, durchaus atheniensisch, stets mit den erhabensten Grundsätzen auf Raub auszieht, ist das angelesen, ist das »Literatur«, hat er sich bewußt thukydideisch oder plutarchisch stilisiert oder kommt es unwillkürlich aus einer tiefen inneren Verwandtschaft Preußens mit Athen? Beide Völker sind kriegerische Händler, deren bewaffnetem Handelssinn nun aber (was z. B. den ähnlich situierten Venetianern oder Genuesen durchaus fehlt) ein metaphysischer Zug beigemischt ist: es genügt ihnen nicht, das Geschäft zu machen, sondern sie müssen sich dabei noch auf einen kategorischen Imperativ berufen, sie müssen sich dabei noch als Agenten der sittlichen Weltordnung fühlen können. Dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott zu geben was Gottes ist, Irdisches und Himmlisches rein zu scheiden sind sie unfähig, sie bestehen darauf, daß ihr Handelsgeschäft zugleich auch ein Gottesdienst sei. Wir anderen alle geben gelegentlich zu: Ja, das war wirklich eine Gemeinheit von mir, aber wer kommt denn im Leben ohne jede Gemeinheit durch? So wird ein Athener, ein Preuße niemals sprechen, denn er begeht eine Gemeinheit erst, wenn es ihm gelungen ist, sie sich in eine sittliche Pflicht umzurechnen. Daß ihm dies gelingt und daß es ihm ganz ehrlich gelingt, das ist des Atheners und des Preußen besonderes Talent. Athen und Preußen vermögen immer ein gutes Gewissen zu haben. Daß ihnen das so leicht wird, daß es in aller Aufrichtigkeit, ja daß es mit einer gewissen Einfalt geschieht, die fast etwas Rührendes hat, das ist's, was ihnen die anderen Völker nicht verzeihen, können. Gar dem Wiener wird dadurch die Verständigung mit Preußen erschwert: was er braucht, dazu glaubt sich der Preuße schon eben dadurch, daß er es braucht, berechtigt; dem Wiener wird auch ein unzweifelhaftes Recht, das er hat, sogleich verdächtig, wenn es ihm einen Vorteil bringt. Le trop et le peu gâtent le jeu, sagt das Sprichwort.


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