Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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3. Januar

Die »Zellenbücherei« des Verlags Dürr und Weber (Leipzig-Gaschwitz) bringt eine »Weltgeschichte in einer Stunde« von Horst Schöttler, eine »Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde« von Klabund, und ein Bändchen von R. H. Francé »Der Weg zur Kultur«, das auch ganz gut »Kulturgeschichte in einer Stunde« heißen könnte. Der Einfalt des Buchhändlers wird allen willkommen sein, die, über Nacht reich geworden, nun ebenso geschwind auch noch gern »gebildet« wären. Da das, was wir in der Schule lernen, nach ein paar Jahren doch alles verdampft und nur einen geringen Niederschlag zurückläßt, hält es der praktische Mann für einfacher, ohne den Umweg des Lernens sich lieber gleich mit dem Niederschlag zu begnügen. Kurz, wir erleben jetzt, wie die gelobte deutsche »Bildung« ihren Schwindel deklariert und sich selber auflöst . . . Von jenen drei Schnellsiedern der Wissenschaft (auf weniger als hundert knappen Seiten!) ist Klabund der amüsanteste: durch sein Abrégé lernen wir vielleicht nicht die ganze Literatur, aber jedenfalls diesen ganz echten, urlebendigen, freudvollen Klabund sehr gut kennen, dessen vielfaches Konkretum mich doch viel mehr interessiert als jenes Abstraktum (aber freilich, selbst er, der Oesterreich so rein empfindet, daß er in der Libussa das »tiefste Werk« Grillparzers erkennt, nennt, ach! weder den Nachsommer noch den Witiko noch Stelzhamer überhaupt, wir hier leben doch für unsere lieben deutschen Brüder noch immer auf dem Mond! Eigentlich gelöst aber hat das Problem der Stundenbildung nur Francé durch den glücklichen, höchst fruchtbaren Einfall, das »Gesetz der Kultur« an der Geschichte von – Dinkelsbühl darzutun: die Chronik der kleinen alten Stadt wird unter seiner Hand unversehens zur Biographie des deutschen Bürgertums.


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