Hermann Bahr
Kritik der Gegenwart
Hermann Bahr

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31. Januar

Wieder viel mit Whitman zusammen, stieß ich auf einen mir bisher unbekannten englischen Dichter des XVII. Jahrhundert, der, zwei Jahrhunderte nach seinem Tode lang vergessen, erst 1896 wieder entdeckt worden ist: Thomas Traherne. Es ist ausgeschlossen, daß Whitman eine Zeile von ihm oder auch nur seinen Namen gekannt hat, und doch gleichen sich die beiden an Gehalt wie Form oft so verblüffend, daß man Bertram Dobell, dem Finder Trahernes, zustimmen muß, wenn er meint, man fühle sich versucht, an Seelenwanderung zu glauben und in Whitman einfach Traherne wiedergeboren zu sehen. Bis aufs Wort treffen sie sich zuweilen, wie denn in den Versen Trahernes

»A juicy Herb or Spire of Grass
in useful Virtue, native Green
An emerald doth surpass«

sogar schon auch der Titel der Leaves of Grass enthalten ist! Nicht bloß den dankerfüllt segnenden Blick auf das Leben, nicht bloß dieses ewig frohe »All's well with the world« haben sie gemein, sondern auch die Sicherheit, mit der sie selbst in den höchsten Verzückungen des Allgefühls noch ihr eigenes Selbst bewahren, niemals, wie Mephisto der Monisten spottet, »liebewonniglich in alles überfließen«, sondern ganz fest in sich ruhen bleiben, in der eigenen Individuation sturmsicher vor Anker liegen (was sie beide vor dem Pantheismus deutscher Oberlehrer schützt, dem in sein wesenloses All zuletzt alles zerrinnt und Gott mit dem Ich so zusammenfällt, daß am Ende von beiden nichts übrig bleibt). Aber ist es eigentlich so seltsam, daß sie übereinstimmen? Die Wahrheit bleibt doch in allen Zeiten dieselbe. Wie stark der gewaltige Strom des Irrtums durch die Jahrhunderte rauscht, die leise Stimme der Wahrheit tönt darunter unverändert fort. Alles, was Whitman verkündet, steht eigentlich schon in der Farbenlehre Goethes und William Blake hat es auch schon gewußt und Taherne mag es bei Leibniz gelesen haben und Leibniz beim Cusaner und der im ersten Brief Petri, und die Pythagoräer wieder hatten es von den Chinesen: als Adam das Paradies verlor, glitt mit ihm ein Abglanz der ewigen Wahrheit mit in die Welt des Scheins hinaus, der kann in der Menschheit, wie dunkel es auch oft um sie wird, nie ganz verlöschen. – Uebrigens: die Gestalt Trahernes wird uns erst ganz erscheinen können, wenn wir mehr vom englischen Barock wissen werden. Durch Wilhelm Hausensteins unvergleichlich reiche, tiefe und wegbahnende Schrift: »Der Geist des Barock« (R. Piper, Verlag, München), die dartut, warum und worin das Barock recht eigentlich unser Problem ist, das Problem von morgen, ganz ebenso wie die Renaissance das Problem der Zeit Burckhardts und Nietzsches war, ist ja jetzt die Diskussion über das Barock eröffnet und damit den jungen Leuten gleich Arbeit für zwanzig Jahre zugewiesen. Dieses Grundbuch steckt das Feld ab: was hier intuitiv erkannt, zuweilen vielleicht auch vorderhand bloß aus Ahnungskraft imaginiert ist, muß uns nun erst auch noch im einzelnen wissenschaftlich erbracht werden; die Kärrner werden zu tun haben. Man darf ja nämlich nicht vergessen: auch Calvin und Cromwell sind Barockfiguren, freilich à rebours, und gar der Quäker George Fox ist erst recht durchaus eine Barockfigur! Die Formel für Traherne wäre vielleicht: Jakob Böhme mit Stuart-Atmosphäre.


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