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Hundertfünfunddreissigstes Kapitel.
Die Passagiere der Handelsbrigg

Die Spur des Rebellenpräsidenten hatte man in Georgien bereits verloren. Wohl hatte man allen Grund, zu vermuthen, daß er die Richtung nach einem der südlichen Häfen eingeschlagen habe, und hatte deshalb alle möglichen Vorkehrungen getroffen, seine etwaige Flucht auf einem der Schiffe zu verhindern. Jeder Reisende ward einer sehr strengen Controle unterworfen, und vor den Häfen kreuzten Blokade-Schiffe, welche die Aufgabe hatten, jedes der absegelnden Schiffe anzuhalten und zu durchsuchen, namentlich die Passagierschiffe. Das Geschwader stand unter Befehl des Capitain Eugene Powel.

Durch die gewissenhafte Wachsamkeit dieses Officiers war es gelungen zu erfahren, daß Jefferson Davis sein Privatvermögen und die Kriegskasse, in Höhe von 14 Millionen Dollars, bereitet nach Sankt Thomas geschickt habe. Die Gelder waren wie Waarenballen verpackt, und passirten also unbeanstandet den Cordon der Wachtschiffe. Nur der letzte Rest der Sendung, eine Kiste mit Silberzeug und Juwelen, ward angehalten, da seine Absendung durch die eigenen Gehülfen des Rebellenpräsidenten verrathen war.

Aus dem Umstande, daß Gelder und Werthsachen nach St. Thomas geschickt waren, glaubte Powel schließen zu müssen, daß Jefferson Davis selbst ebenfalls dahin zu gehen beabsichtige. Er widmete daher seine größte Aufmerksamkeit den Schiffen, die nach St. Thomas gingen, oder deren Cours die Insel berührte.

Während Powel in dieser Weise vor den Hafen Wache hielt, hatte man in jeder Stadt, namentlich in den Hafenstädten, Polizeibeamte stationirt, welche auch ihrerseits das Möglichste zur Ergreifung des Flüchtlinge thaten. Da man trotz all' dieser Maßregeln aber auch nicht die geringste Spur von dem Verfolgten fand, so stand zu vermuthen, daß er sich irgend wo im Innern des Landes auf irgend einer Farm oder in einem Dorfe verborgen halte und dort eine günstige Gelegenheit, sich einzuschiffen, abwarte. Man hatte deshalb den Major Schleiden mit einigen Mann abgeschickt, um durch Patrouillen die ganze Gegend um Charleston und die andern Hafenstädte durchsuchen zu lassen.

Wir wissen, daß sich bei dieser Expedition auch Mary Powel in ihrer Uniform als Officier der Unionsarmee befand.

Das Dampfschiff Brocklyn's langte in der Nacht in Norfolk an. Schleiden mit seinen Begleitern ging ans Land und setzte am andern Morgen den Polizeidirector von seiner Ankunft und dem Zweck seiner Sendung in Kenntniß. Da er die nöthige Instruktion sich von dem Commandeur der Blokade-Schiffe holen mußte, so ging er, von George Borton begleitet, an Bord eines Schooners, um das Schiff Eugene Powels aufzusuchen, während gleichzeitig vom Lande das entsprechende Signal für das Commandeurschiff gegeben wurde. –

Mary Powels Herz klopfte lebhafter. In wenigen Stunden sollte sie den Bruder umarmen, von dem der Krieg sie vier Jahre hindurch getrennt hatte. Mit welchem Stolz hatte sie die Nachricht seiner Heldenthaten erfüllt, wie hatte sie sich gesehnt, an dem Herzen des gefeierten Mannes, des geliebten Bruders, ihrer Freude Ausdruck geben zu können. –

»Sind viel Passagierschiffe im Hafen?« fragte Schleiden den Capitain des Schooners, als sie der Ausfahrt zusteuernd durch die zu beiden Seiten ankernden Schiffe hindurchfuhren.

»Zwei,« war die Antwort. »Eins geht nächste Woche nach Balparaiso, das andere in vierzehn Tagen nach Lissabon.«

»So wird also in den nächsten Tagen keins der Schiffe unter Segel gehen?«

»Kein Passagierschiff, Sir; aber andere Fahrzeuge gehen noch heute in See, so zum Beispiel die Brigg »Lavinia« dort, welche eben die Anker aufwindet.«

»Welchen Cours nimmt das Schiff?«

»Es ist nach Canada befrachtet, und wird in einigen Stunden auslaufen. Der Wind ist günstig und an Bord Alles in Ordnung.«

Der Schooner war ein guter Segler, und die frische Brise, welche von Südwest wehte, brachte sie bald auf die hohe See. Das Signal vom Lande ward durch die einzelnen Wachtschiffe sofort weiter befördert, und es währte in der That kaum drei oder vier Stunden, da war das Commandeurschiff in Sicht und nahm seinen Weg gerade dem Schooner entgegen.

Beide Schiffe, als sie sich auf Sprachrohrweite genähert hatten, drehten bei.

Der Schooner setzte ein Boot aus und bald darauf befanden sich Schleiden und George Borton an Bord des Commandeurschiffes. Der Commandeur selbst erwartete seine Gäste in der Cajüte.

Wer beschreibt die Ueberraschung, das Erstaunen und die Freude des jungen Helden, als er in dem jüngeren der beiden Offiziere seine Schwester Mary erkannte.

Lange, lange hielt er sie umschlungen, und in seiner Freude vergaß er ganz die Anwesenheit des Majors und dessen Auftrag. Dieser seinerseits war in stummer Rührung Zeuge des Wiedersehens der beiden Geschwister. Wie hätte er es über sich vermocht, durch sein Dazwischentreten das Glück der Beiden auch nur eine Minute zu kürzen.

Doch sollte Eugene durch einen andern Zufall an seine Pflicht erinnert werden. Von der Cajütentreppe her erscholl der Ruf des wachthabenden Matrosen:

»Segel in Sicht!«

Die Stimme des Seemanns wirkte electrisch auf den Capitain.

»Verweile, Schwester,« sagte er plötzlich sich aus ihren Armen losmachend. »Ich muß hinauf – vielleicht ein Personenschiff von Charlestown.«

Schnell war er hinaus, den Major und Mary zurücklassend.

»Wo ist das Schiff?« fragte er den Bootsmann.

»Nordost, in der Richtung von Norfolk. Es scheint aus dem Hafen zu kommen und steuert südostwärts gegen die Bucht von Florida.«

Powel nahm ein Fernrohr und sprang aufs Quarterdeck. –

Mary hatte sich inzwischen in einen Stuhl geworfen, über ihre Wange floß eine Thräne.

»Das ist eine Stunde der Freude für Sie, Miß,« sagte Schleiden, da er sie eine Weile theilnahmvoll betrachtet hatte. »Eine Entschädigung für die erduldeten Leiden.«

Mary schüttelte schwermüthig ihr Haupt.

»Für mich giebt es kein Glück mehr,« sagte sie kaum hörbar und ohne den Major anzublicken, gleichsam als spräche sie zu sich selbst. »Das Wiedersehen ist nur ein Theil meiner Strafe.«

»Sie lieben Ihren Bruder nicht? Sagten Sie nicht, daß dies Wiedersehen Ihre heißeste Sehnsucht gewesen sei?«

»Es ist so, das Leben zaubert mir seine schönsten Bilder vor die Seele, und jemehr ich vom Glück des Lebens koste, desto schmerzlicher nagt die Reue, ein solches Glück verstoßen zu haben, und desto qualvoller ist das Bewußtsein, ein Leben voll Glück nicht zu verdienen.«

Ehe Schleiden etwas erwiedern konnte, kam Eugene Powel bereits wieder die Treppe hinab.

Mary verwischte schnell die Spur ihrer Thränen.

»Diesmal raubt die Pflicht mir nicht die kostbaren Minuten an Deiner Seite,« sagte Eugene. »Es ist kein Schiff, das einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfte.«

»Was ist's für ein Schiff?« fragte Mary.

»Eure Handelsbrigg, welche Ladung nach Canada hat.«

»Bist Du sicher, daß Jefferson Davis nicht auf einem solchen Schiff entfliehen wird?«

»Ganz sicher, Schwester. Denn erstens nimmt der Rebellenpräsident seinen Cours sicher nicht nach Canada, zweitens befinden sich an Bord einer Handelsbrigg selten Passagiere, und endlich kenne ich diese Brigg und deren Eigenthümer so genau, daß es von meiner Seite eine Verletzung der Freundschaft wäre, wenn ich das Schiff anhalten würde.«

»Es ist ein Schiff Deines Freundes Brocklyn?«

»Ja, allerdings. Woher weißt Du ...?«

»Das Schiff heißt ›Lavinia‹?«

»Ich erstaune, Dich so unterrichtet zu sehen.«

»Du glaubst, daß keine Passagiere an Bord des Schiffes sich befinden?«

»Das glaube ich in der That, und wenn sich welche an Bord befinden, so sind es sicher unverdächtige Leute, denn Richard Brocklyn ist ein ebenso guter Patriot wie ich selber.«

»Ich kann Dir die Mittheilung machen, daß sich an Bord jenes Schiffes allerdings Passagiere befinden, und zwar drei Damen.«

»Weder weißt Du das?«

»Von Mr. Brocklyn selbst.«

»Nun, es ist, wie ich sage. Es sind unverdächtige Personen.«

»Doch möchte ich behaupten, daß diese drei Frauen keine unverdächtigen Personen sind, und würde Dir rathen, das Schiff anrufen zu lassen: ich kenne diejenigen, auf deren Fürbitte Mr. Brocklyn sie an Bord genommen hat, als Spione der Rebellen. Es waren Belle-Boyd und Mrs. Slater, welche sich deswegen bei Deinem Freund verwandten.«

»Sie mögen sein, wer sie wollen. Wir führen mit Frauen keinen Krieg, und ich habe weder die Vollmacht noch das Recht, eine Frau zu verhaften.«

»Ich rathe Dir aber doch, Bruder, mach eine Ausnahme.

Mr. Schleiden und ich sind jetzt ebenfalls bei dieser Angelegenheit interessirt. Es würde uns Beiden zur Beruhigung dienen, wenn wir diese Controle ausgeführt sähen.«

»Gut, so will ich es thun, obwohl ich weiß, daß Richard mir's übel deuten wird.«

Er ertheilte dem alten Oberbootsmann Befehl, der kein Anderer ist als unser alter Freund Jonas, welcher Eugene's Gefährte geblieben war seit ihrer Flucht von der Alabama.

»Vorderbramsegel beigesetzt!« ertönte die Stimme des ersten Lieutenants. »Klüver scharf beim Winde gebraßt!«

Das Fahrzeug machte eine halbe Wendung und schoß dann gerade in die Richtung der Brigg. Da die Fregatte jenes Fahrzeug bedeutend an Schnelligkeit übertraf, so verminderte sich die Distanz zwischen beiden schnell.«

Ein Kanonenschuß vom Deck des Kriegsschiffes gab jenem das Signal zum Beidrehen.

Die Handelsbrigg richtete augenblicklich ihre Segel gegen den Wind, so das sie zum Stehen kam, und hißte die Flagge der Union auf.

»Nicht nöthig, alter Freund, wir wissen schon, daß Du keine Contrebande führst,« sagte der Capitain, »aber ich kann Dir die Unannehmlichkeit diesmal nicht ersparen.«

In einer Viertelstunde lag die Fregatte auf Sprachrohrweite von der Brigg. Ein Boot ward ausgesetzt und der Capitain, begleitet von Schleiden und George Borton, stiegen ein. Vier Matrosen arbeiteten kräftig, und der Oberbootsmann Jonas saß am Steuer.

»Ein schönes Fahrzeug,« sagte der alte Seemann, mit Kennerblick den gefälligen Bau der Brigg musternd. »Vorzügliche Takellage und richtige Proportion in Bug und Wanten. Wenn der da ein böses Gewissen hätte, Capitain, so würde er uns wahrscheinlich einige Arbeit gemacht haben, ehe wir ihn einholten, und würde nicht so still stehen wie ein Wanderer, der sich verwundert von einem Fremden begrüßt sieht.«

»Ganz meine Ansicht, Jonas,« erwiederte Eugene. »Nicht blos der Capitain wird erstaunt sein, sondern auch der Eigenthümer, Mr. Brocklyn, wenn er es erfährt.«

Das Fallreep war schon herabgelassen, ehe sie sich dem Schiffe ganz genähert hatten. Oben auf der Treppe stand der Capitain und grüßte schon von ferne Mr. Powel.

Dieser mit seinen Begleitern stieg die Fallreepstreppe hinauf.

»Ei, Herr Capitain, was verschafft mir die Ehre dieses Besuchs?« rief der Capitain der Lavinia.

Eugene schüttelte ihm die Hand wie einem alten Bekannten.

»Eigentlich nichts von Belang,« erwieberte er freundlich und herzlich. »Was macht mein alter Freund Richard Brocklyn, ist er nach all den Stürmen, die er zur See erduldet, jetzt endlich in den Hafen des Eheglücks eingelaufen? – Hat mir unendlich leid gethan, daß ich seiner Einladung nach New-York nicht nachkommen konnte.«

»Er ist mit seiner jungen Frau gestern in Old-Church angekommen, heute wird dort die Feier der Hochzeit stattfinden. Ah, Sie könnten ihm keine größere Freude gewähren Capitain, als wenn Sie ihn überraschten.«

Eugene zuckle die Achseln.

»Sie wissen, ich habe hier eine Aufgabe, die mir keine Stunde gönnet zu einem Ausfluge ans Land.«

»Noch immer keine Spur von Jefferson Davis?«

»Noch leine, doch steht zu erwarten, daß er bald aus seinem Versteck wird aufgestöbert werden, diese beiden Herrn hier,« – er deutete auf seine Schwester und Mr. Schleiden, – Werden die Umgegend aller Hafenstädte durchsuchen, und irgend wo in der Nähe derselben wird er wohl verborgen sein.«

»Habe ich auch schon gedacht,« versetzte der Capitain der Lavinia. »Nun, ich wünsche Ihnen Glück, meine Herren, nicht blos wegen der Prämie von 100,000 Dollars, sondern auch wegen des Jubels der Bürger! – Man müßte kein Fahrzeug, auch nicht die kleinste Schaluppe aus dem Hafen lassen, ohne sie zu durchsuchen, denn es kommt doch vor, daß ein Schiff, bei dem man es nicht vermuthet, Passagiere an Bord hat; so zum Beispiel habe ich, der ich gewiß nicht auf Passagiere gerechnet habe, doch gegenwärtig drei am Bord.«

»Dieser Umstand ist es eben, der mich hierher führt,« versetzte der Marinecapitain. »Es sind drei Damen, die Sie an Bord haben?«

»Sie sind gut unterrichtet, Mr. Powel. Es sind drei Damen.«

»Kennen Sie die Namen derselben?«

»Die Eine nennt sich Mrs. Forster, die zweite ist deren Tochter und die dritte ihre Schwester, Mrs. Smith Sie scheinen mit Mr. Brocklyn befreunden denn er hat mir geschrieben, daß ich ihnen den Aufenthalt hier an Bord der Lavinia möglichst bequem mache. Ich habe ihnen meine Cajüte eingeräumt und selbst die Steuermannskajüte bezogen.«

»Also Sie haben nichts Verdächtiges an den Damen bemerkt?«

»Nicht das Mindeste.«

»Das genügt mir. Bist Du ebenfalls zufrieden?« wandte er sich an seine Schwester.

Mary schüttelte den Kopf.

»Geh hinab in die Cajüte,« flüsterte sie ihrem Bruder zu. »Ich bin überzeugt, es steckt etwas dahinter, haben doch Belle-Boyd und Mrs. Slater ihre Hand dabei im Spiel.«

»Du bist zu ängstlich, Schwester,« erwiederte Eugene. »Es wäre sehr wenig gentlemanisch, wollte ich die Damen einem Verhör unterziehen.«

Mary sah ein, daß er Recht habe. Wenn ihr Verdacht nicht gegründet wäre, so würde er nicht nur den Damen gegenüber sich den Vorwurf der Indiscretion zuziehen, er würde möglicherweise sogar seinen Freund beleidigen. Sollten sie aber andrerseits das Schiff verlassen, ohne die gewünschte Aufklärung erhalten zu haben?

Nachdenkend schritt sie, während ihr Bruder, Schleiden und der Capitain die Unterredung fortsetzten, auf dem Verdecke auf und ab, wobei sie jedoch dem Eingang zur Capitainskajüte immer näher kam.

In der Nähe der Treppe blieb sie endlich stehen. Sollte nicht Jemand von den Bewohnerinnen der Cajüte zufällig herauskommen? – Es schien, als ob die Thüre unten nur angelehnt sei, und als ob ein Gesicht durch die Spalte blickte. Mary Powel wartete und schaute gleichgültig zur Seite Aber Niemand kam heraus, und die Thür öffnete sich nicht weiter.

Da kehrte sie sich um, um zu den Uebrigen zurückzugeben, fühlte sich aber gleichzeitig leise an der Schulter berührt.

Mary wandte sich um. Eine Farbige stand hinter ihr.

»Ihr Name ist Mr. Parker?« flüsterte diese.

Der Name erinnerte Mary an die Zeit, da sie sich als Spion in Richmond aufhielt, an die Zeit, da sie selbst Zutritt im Hause des Rebellenpräsidenten hatte, und Miß Jenny Davis sie mit ihrer Liebe verfolgte Eine Sekunde genügte, um diese Zeit vor ihrem geistigen Auge vorüberrauschen zu lassen.

»Mein Name ist Parker,« erwiederte Mary eben so leise.

»Würden Sie Miß Jenny den Gefallen erweisen, ihr eine Minute Gehör zu schenken?« fuhr die Negerin fort,

Miß Jenny, das war der Name der Tochter des Präsidenten. Ha, der Verdacht tauchte von Neuem auf.

»Wo ist Miß Jenny?«

Die Negerin deutete auf die Treppe.

Mary besann sich keinen Augenblick. Sie stieg die Treppe hinab, öffnete die Thür zur Capitainscajüte und – stand vor Miß Jenny Davis. Die ehemalige Spionin hatte gelernt ihre Miene zu beherrschen. Kein Zug ihres Gesichts drückte die Freude aus über die Entdeckung, die sie gemacht.

Miß Davis sah sehr ängstlich aus. Sie zitterte und vermochte nur stotternd einige Worte der Begrüßung hervorzubringen.

Dann fügte sie hinzu:

»Sie tragen jetzt die Uniform der Unionsarmee, Sir? Sind Sie nicht mehr Advokat in Norfolk?««

»Nein Miß,« war Mary's kurze Antwort.

»Ich ließ Sie rufen, Sir, um Sie zu fragen, ob es wahr sei, was mir meine Dienerin mittheilte, daß nämlich der Commandant des Blockade-Geschwaders an Bord sei, um die Passagiere zu recognosciren?«

»Das ist in der That der Fall, Miß Davis.«

Das Mädchen stieß einen Schrei aus.

»So sind wir verloren. Mr. Parker verhindern Sie es· – Sie sind zwar jetzt nicht mehr Einer der Unsern, aber ich weiß, daß ich Ihnen einst nicht gleichgültig war, bei dieser Liebe beschwöre ich Sie, helfen Sie uns!«

»Das geht nicht an, Miß, denn ich bin expreß hier, um Ihren Vater zu verhaften.«

»Sie, Mr. Parker?«

»Es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß mein Name nicht Mr. Parker ist, daß ich mir nur damals diesen Namen beilegte.«

»So hat also das Gerücht die Wahrheit gesprochen, daß jener Parker kein Anderer sei als der berüchtigte Spion George Borton?«

»Das Gerücht hat nicht gelogen. Ich nannte mich damals auch George Borton.«

»Entsetzlich, von diesem Scheusal habe ich mein Herz umstricken lassen. Er heuchelte Liebe ...«

»Ist ebenfalls eine Täuschung, Miß. Von Liebe zu Ihnen, in dem Sinne, wie Sie meinen, konnte bei mir nicht die Rede sein, denn ich bin ein Mädchen und trage diese Uniform nur im Dienst des Vaterlandes. Mein Name ist Mary Powel. Ich bin die Schwester eben jenes Commandeurs, welcher Ihren Vater gefangen fortführen wird.«

Miß Davis sank in Ohnmacht. Mary überließ sie der Fürsorge ihrer Dienerin und stieg die Treppe wieder hinauf.

»Wo steckst Du?« fragte ihr Bruder, »wir sind bereits seit fünf Minuten zur Abfahrt bereit.«

»Ich bin ebenfalls bereit,« versetzte Mary. »Aber wir werden den Rückzug nicht ohne den Rebellenpräsidenten antreten, der sich an Bord dieses Schiffes befindet.«

Alle blickten erstaunt auf die Sprecherin. Diese fuhr fort:

»Ich habe soeben diese Entdeckung gemacht, eine der Damen ist der Präsident, ich habe fast die Gewißheit, denn die Miß Forster ist seine Tochter. Führen Sie uns demnach in die Kojen, Kapitain, er wird sich dort sicherlich verborgen halten.

Das geschah denn auch. Dort saßen zwei ältliche Damen, beide in Hüten und verschleiert.

Unter den Anwesenden war Niemand außer Mary Powel, der den Präsidenten persönlich kannte. Diese aber deutete ohne weiter zweifelhaft zu sein auf eine der Beiden.

»Das ist Jefferson Davis!«

Eugene ersuchte die bezeichnete Person, den Schleier empor zu heben.

Die angebliche Mrs. Smith zögerte, bis Schleiden den Schleier ergriff und aufhob. Der Präsident hatte ein sehr glattes Gesicht, aber doch verriethen Spuren eines sorgfältig rasirten Bartes, die trotz der Schminke sichtbar waren, daß hier eine Verkleidung stattgefunden. Davis machte auch in der That keinen Versuch mehr, sein Incognito zu bewahren, sondern bat nur, daß man ihm gestatte, Männerkleidung anzulegen, bevor man ihn vom Bord der Fregatte bringe.

Mistreß und Miß Davis schrieen und jammerten und verlangten ihn zu begleiten. Powel sagte in höflichem Tone:

»Gegen Sie, meine Damen, lautet mein Auftrag nicht. Ihrer Weiterreise steht kein Hinderniß entgegen, wollen Sie aber lieber Mr. Davis begleiten, so gestatte ich es Ihnen sehr gern.«

Mrs. Davis überlegte. Ob sie nun lieber den Weg nehmen wollte, den ihre Schätze bereits vorausgegangen, oder ob sie trotz Powels Versicherung fürchtete, daß man ihr in der Union nicht gut begegnen werde, genug sie zog es vor, an Bord der Lavinia zu bleiben.

Zwei Tage später saß Jefferson Davis wohl bewacht in den Kasematten des Fort Monroe.


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