Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hundertdreiundzwanzigstes Kapitel.
Der letzte Wunsch einer Liebenden

In ganz Washington gab es vielleicht nur ein einziges Haus, welches den Siegesjubel nicht theilte. Zwar wehten auch hier aus allen Fenstern Flaggen, allein man hörte drinnen nicht den Freudenruf der Bewohner:

»Es lebe die Union, es lebe Abraham Lincoln, es lebe die Freiheit!«

Ja, die Fackelzüge, welche vorüber kamen, blieben von den Bewohnern unbeachtet, und sicherlich war Keiner derselben, welcher sich irgend einem Festzüge angeschlossen hätte.

Lampen und Transparente brannten die ganze Nacht hindurch in jedem Fenster, und tausendstimmig ward jubelnd Abraham Lincolns Name gerufen, und in der Nähe des weißen Hauses endeten die ganze Nacht hindurch Musik, Geschrei und Freudentumult nicht.

Die Bewohner jenes Hauses, von welchem wir sprachen, waren fast die Einzigen in der ganzen Union, welche mit grimmigen Blicken all' dem Treiben verstohlen durch die Oeffnungen der Jalousien zusahen und welche in den Jubel verbissene Flüche hineinschlenderten.

Es ist das Boarding-Haus von Mrs. Surratt.

Wir kennen die Bewohner dieses Hauses; wir wissen, daß das Haus selbst nur existirte, um ein Sammelplatz der Verschworenen zu sein.

Nach dem Versuch, Abraham Lincoln gefangen zu nehmen, hatten es Booth und Payne für unzweckmäßig erachtet, sich ferner in Washington sehen zu lassen, und nach der Aufhebung des Garderobe-Magazins am Union-Place hatte es auch Harrold vermieden, das Haus von Mrs. Surratt wieder zu betreten. Auch er hielt sich von jetzt ab im Süden verborgen.

Nur die Ereignisse in den ersten Tagen des Monats April veranlaßten sie, die sichern Schlupfwinkel zu verlassen, und sich nach der Stadt zu begeben, welche sie zum Schauplatze ihrer schwarzen Verbrechen ausersehen hatten.

Alle Verschworenen waren wieder zum Rathe versammelt. Booth halte sie beschieden, um mit ihnen die letzten Verbrechen, die einzigen, welche noch übrig waren von den durch den Orden der Ritter vom goldenen Zirkel angeregten Kampfmitteln, auszuführen.

Lincolns Tod, Lincolns und aller derer, welche geholfen hatten, die Rebellion nieder zu werfen, das war noch das einzige Mittel, welches dem Süden neue Hoffnungen hätte geben können.

Es war spät am Abend. Die Fenster auch dieses Boarding-Hauses waren mit Lichtern dicht besetzt; denn wie hätte es ein Bewohner Washingtons wagen dürfen, an einem solchen Tage nicht zu illuminiren!? Hinter den geschlossenen Gardinen aber, da saß Booth, finster vor sich hinblickend; schweigend, ihm vis á vis hatte Mrs. Surratt Platz genommen. Mit ihren scharfen, grauen, durchbohrenden Augen beobachtete sie ihn eine Weile; sie schien zu erwarten, daß er ihr Mittheilungen machen werde.

Da dies aber nicht geschah, so hob sie endlich mit ihrer scharfen schneidenden Stimme in bitterm Tone an:

»Ich habe es gesagt, das Verderben des Südens ist lediglich durch die Ziererei der Ritter hervorgerufen. Warum konnte das, was gescheitert soll, nicht bereits vor einem Jahre geschehen?«

»Vielleicht ist es noch nicht zu spät!« antwortete Booth in dumpfem Tone.

»Es ist noch nicht zu spät, nein; aber man hätte den verdammten Yankee's nicht die Triumphe zu lassen brauchen,« versetzte Mrs. Surratt. »Hätte man Lincoln damals ermordet, als ich es rieth, Richmond wäre nie gefallen, und Jefferson Davis hätte nicht nöthig gehabt, die Flucht zu ergreifen. Die Verzögerung hat übrigens einen noch viel größeren Nachtheil.«

»Welchen?«

»Gesetzt, das Unternehmen mißglückt, wie die früheren ...«

»Es wird nicht mißglücken! Meine Sorge wird es sein, daß es nicht mißglückt!«

»Es liegt aber im Bereich der Möglichkeit, Mr. Booth, daß es Ihnen nicht gelingt, und wenn dieser Fall eintritt, so ist es nicht mehr Zeit, einen neuen Plan zu schmieden, denn jetzt ist jeder verlorene Tag kostbarer für die Conföderation, als früher ein ganzer Monat. Die Ketten, welche man jetzt dem Süden anlegt, werden mit jeder Stunde fester geschmiedet; damals aber hätte man nach einem mißglückten Versuche immer noch Zeit gehabt, einen zweiten zu wagen.«

»Ich weiß, daß Sie Recht haben, und um so mehr wird es meine Sorge sein, den von Ihnen vorausgesetzten Fall nicht eintreten zu lassen. Daß die früheren Unternehmungen mißglückten, das wissen Sie, hatte seine guten Gründe und war nicht unsere Schuld.«

»Nicht Ihre Schuld? Ha! Ha!« lachte Mrs. Surratt höhnisch; »ist es nicht Ihre Schuld, daß Sie ein Weib zur Vertrauten machen, welche Sie nicht kennen, und welche an Ihnen zur Verrätherin ward? Sie sowohl, wie Mr. Arnold haben heilige Eide geschworen, daß jene Miß Mary zuverlässig sei, und daß man von ihr nichts zu befürchten habe. Wie aber ist es gekommen?«

»Allerdings, es ist nicht anders anzunehmen, als daß sie es war, die den Plan, Lincoln gefangen zu nehmen, vereitelte.«

»Ohne Zweifel hat Mr. Arnold in seiner großen Vertrauensseligkeit und in seiner blinden Leidenschaft für das Mädchen ihr den ganzen Plan mitgetheilt.«

»Es ist nicht unmöglich: indessen kann sie ja damals so gut, wie bei einer späteren Versammlung, wo wir sie ertappt haben, uns belauscht haben.«

»Freilich wird sie uns belauscht haben! Wahrlich, eine herrliche, fein angezettelte Verschwörung, bei welcher die Hälfte der Verschworenen verliebte Schäfer sind, welche die Liebe blind und taub und die Leidenschaft vor Warnungen vollständig unempfänglich macht!«

»Schweigen Sie, Mrs. Surratt! Was Mrs. Cleary anbetrifft, so wissen Sie so gut wie ich, daß sie an uns nicht zur Verrätherin werden wird, und daß sie so zuverlässig ist, wie Sie und ich.«

»Ich will auch von Mrs. Cleary absehen. Mrs. Cleary hat nie einen Versuch gemacht, uns zu belauschen; damals aber, als es sich um die Errichtung des Kleidermagazins handelte, – Sie haben es ja selbst gesehen, – damals haben wir Mary lauschend gefunden, und zwar hatte sie sich den Zugang zu dem Nebenzimmer auf eine so raffinirte Weise verschafft, daß wir bestimmt annehmen können, sie ist eine bestellte Spionin Das beste wäre gewesen, wir hätten sie uns sofort vom Halse geschafft!«

»Das ist ja auch geschehen, Mrs. Surratt; wir haben sie eingesperrt an einem Orte, wo sie schwerlich Jemand auffinden wird, und werden sie dort so lange gefangen halten, bis sie uns nicht mehr gefährlich sein kann.«

»Wer sagt Ihnen, das; sie nicht einmal aufgefunden wird? Kann nicht einmal dies Haus durchsucht werden, und wird sie nicht dann von dem ganzen Complott die detaillirteste Beschreibung geben? Ich bleibe dabei, wir hätten sie uns vom Halse schaffen sollen! Es war eine Schwäche von Mr. Arnold, daß er sich dagegen sträubte. Daß Sie ihn darin unterstützten, Mr. Booth, das ist etwas, was ich nicht verstehen kann.«

»Ich habe gegen ihre Ermordung gesprochen, weil ich sie für eine Verwandte meines Retters halte. Mein Retter selbst einzieht sich meiner Dankbarkeit, so bin ich es seiner nahen Verwandten schuldig, mich ihrer anzunehmen, zumal ich nicht von ihrer Schuld überzeugt sein kann. Lassen Sie den Gegenstand fallen; Miß Mary ist unschädlich, und unsere Ausgabe ist nur, sie so lange gefangen zu halten, bis wir sie ohne Gefahr frei lassen können. Rufen Sie jetzt die Andern, damit wir die Rollen vertheilen bei dem Drama, das morgen aufgeführt wird.«

Mrs. Surratt rührte eine Glocke, welche vor ihr auf dein Tische stand, worauf Miß Mary Surratt eintrat.

»Eine schöne Geschichte da draußen!« sagte sie schnippisch; »das jubelt und singt Spottlieder auf Jefferson Davis und verhöhnt alle seine Freunde. Es fehlt nur noch, daß man alle die Freunde, die der Präsident in dieser Stadt hat, hinrichtet. Eine wahre Schande, daß man sich vor dem Gesindel fürchten muß und dass man gezwungen ist, sich zu stellen, als ob man an dem Jubel theilnähme. Die Lichter hier in diesem Fenster sind mir ein widerwärtiger Anblick!«

»Sehr wahr gesprochen, meine Tochter,« versetzte Mrs. Surratt; »indessen hoffe ich, daß, wenn wir den nächsten Abend diese Lichter anzünden, wir der Illumination eine andere Bedeutung geben können. Die Stunde der Erlösung für uns ist nahe. – Wo sind die anderen Herren?«

»Mr. Arnold hat es sich nicht nehmen lassen, der Gefangenen das Abendessen zu bringen, und ist wahrscheinlich vor der Thür ihres Kerkers zu finden, wo er seufzend ihr seine Liebesschwüre und die Versicherung seiner Unschuld an ihrer Gefangenschaft wiederholt. O'Laughlin, Atzerott und Payne sind im Parlour.«

»Rufe sie Alle herbei, meine Tochter, und schließe dann die Thür.«

Eben, als sich Miß Surratt entfernt hatte, trat Arnold ein; sein Gang war schwankend, sein Gesicht bleich und sein Auge geröthet, als hätte er Thränen vergossen. Seine Stimme klang schwach und weinerlich, als er Booth zuflüsterte:

»Sie verlangt Dich zu sprechen.«

»Wer?« antwortete Booth; »Miß Mary?«

Arnold nickte.

»Es ist der einzige Wunsch, den sie außer dem, zu sterben, noch hat. Sie würde sich selbst den Tod geben, wenn ich nicht dafür gesorgt hätte, daß man ihr alle· Mittel, die That auszuführen, nahm. Erfülle diesen ihren einzigen und letzten Wunsch, Wilkes, geh' hinauf!«

»Ich will es thun,« sagte Booth, »vielleicht, daß es mir jetzt gelingt, den Schleier des Geheimnisses zu lüften, mit dem sie sich bisher so hartnäckig umgeben hat.«

Booth beurlaubte sich bei Mrs. Surratt, die ihm ihren Unwillen deutlich genug zu verstehen gab, und verließ dann das Gemach. Ueber den Hof hinweg führte ein Gang durch einen Gemüsegarten. An demselben stieß ein Wirthschaftsgebäude, in welchem sich in früherer Zeit, als der Besitzer dieses Etablissements noch Sclaven gehalten, auch die Niggerwohnungen befunden haben mochten.

Booth nahm das Schlüsselbund, welches ihm Mrs. Surratt eingehändigt hatte, und schloß damit die äußere Thür des Hauses auf. Eine Blendlaterne stand auf dem dunklen Hausflur. Booth nahm dieselbe und ließ ihr Licht auf eine roh gezimmerte, schmutzige, vielfach zerbrochene und beschädigte Treppe fallen.

Er stieg die Treppe hinauf. Ein langer Gang führte auf dem oberen Flur nach beiden Seiten; auf den Gang mündeten rechts und links niedrige, schmale Thüren, zum Theil verschlossen, zum Theil offen; von den Wänden und von der Decke war der Kalk herabgefallen und lag auf dem Boden. Spinngewebe befanden sich hier in solcher Anzahl, daß sie dem durch den Gang Schreitenden zum Theil an den Kleidern haften blieben, kurz, Alles sprach von Unwohnlichkeit und Vernachlässigung.

Gegen das Ende des Ganges hin, wurde derselbe sehr niedrig, so, daß man nur gebückt ihn passiren konnte. Am äußersten Ende schloß Booth eine Thür auf; sie führte in ein kleines Gemach, von welchem aus wieder zwei mit Eisenstangen verwahrte Thüren weiter führten.

Dies waren in früherer Zeit Strafzellen für die Nigger gewesen. Eine der Kerkerthüren stand offen, die zweite war mit einem großen Vorhängeschloß versehen. Am oberen Theile der Thür befand sich eine Klappe, ebenfalls verschlossen. Durch dieselbe pflegte man den Gefangenen die Speisen hineinzureichen.

Booth schob den Riegel zurück, der die Klappe fest hielt, öffnete dieselbe und ließ das Licht seiner Laterne hineinfallen.

Es war ein kleiner Raum, ungefähr sechs Fuß lang und 5 Fuß breit, von einem Bettgestell und einem kleinen hölzernen Tisch beinahe vollständig ausgefüllt Auf der eisernen Bettstelle lag eine Matratze, und darauf saß bleichen Antlitzes, mit aufgelöstem Haar, ein Mädchen.

Gram, Kerkerluft und Entbehrung hatten ihre Züge entstellt. Ihre Wangen waren hohl, die Augen lagen tief, die Knochen ihres abgemagerten Gesichtes traten scharf und markirt hervor; aber doch war dies Gesicht noch immer schön, doch strahlte aus diesen braunen Augen noch immer Feuer und Willensenergie, noch war die Figur gerade, und die Kraft der Muskeln ungebrochen.

Sie stieß einen Schrei aus, als sie das Licht erblickte.

»Sie haben mich zu sprechen verlangt, Miß Mary,« sagte Booth.

»Wer sind Sie, Sir?«

»Sie kennen mich unter dem Namen Wilkes,« war die Antwort.

»Wilkes Booth!« rief das Mädchen; »Dank! Dank, daß Sie kommen!«

»Wilkes Booth!« wiederholte er erstaunt; »Sie kennen meinen Namen, Miß?«

»O, ich kenne Ihre Namen, wie Sie selbst,« antwortete das Mädchen, »und Ihren Namen werden meine Lippen betend nennen, wenn ich meinen letzten Athem aushauche.«

»Sie sehen mich aufs Höchste erstaunt, Miß Mary; ich habe geglaubt, daß Sie eine Bitte an mich richten würden, und zwar die Bitte um Ihre Befreiung, und ich muß Ihnen gestehen, daß ich selbst Ihre Gefangenschaft um keine Minute länger verzögern werde, als dieselbe unbedingt nothwendig ist; indessen, da Sie meinen Namen wissen ...«

»So dürfen Sie mich nicht frei lassen,« fiel Mary ein. »Ich weiß, ich weiß! Es ist auch nicht das, um was ich Sie bitten will, Mr. Booth; es ist etwas Anderes: tödten Sie mich!«

»Wie!«

»Ich habe keinen andern Wunsch und keine andere Bitte, und ich habe mich an Sie gewandt, weil ich Niemanden auf der Welt weiß, der mir diese Bitte erfüllte. O, Mr. Booth, ich habe mehr gelitten, als sonst ein Weib zu ertragen vermag; aber ich habe es mit größerer Kraft ertragen, als sonst ein Weib zu haben pflegt, habe es ertragen, bis zu dieser Stunde. Aber nun kann ich es nicht mehr. Ich weiß, Sie tragen einen Dolch; Sie tragen ihn immer, Mr. Booth! Junius Brutus trägt den Dolch, der für Cäsars Brust bestimmt ist! Geben Sie den Dolch in meine Hand, damit ich meinem elenden Leben ein Ende machen kann.«

Booth zitterte; also wußte das Mädchen Alles! kannte seinen Plan, Lincoln in ermorden! Er durfte sie also unter keinen Umständen frei lassen.

»Miß Mary,« sagte er, »durch Ihre Worte nehmen Sie mir jede Macht, Ihnen zu helfen; tödten darf ich Sie so wenig, als Sie befreien. Tödten nicht, weil ein Anverwandter von Ihnen mein Retter ist ...«

Das Mädchen lachte laut auf.

»Ein Anverwandter von mir, Mr. Booth!? O, Verschwörer sollten bessere Augen haben! Warten Sie, ich werde Sie zu zwingen wissen, mir den Dienst zu erweisen, den ich von Ihnen verlangte Sie wissen nicht, wer ich bin? – Ich werde es Ihnen sagen; Mein Name ist Mary Powel.«

»Powel? Das war ja der Name meines Retters in New-York! Er war ihr Bruder?«

»Ich selbst war es, Mr. Booth! Ich selbst war der Mann in der Uniform einen Unions-Offiziers, jener Mann, welcher Sie den Händen Ihrer Verfolger in New-York entriß, jener Mann, welcher in Sheridans Lager ihre Fesseln durchschnitt, George Borton, der Spion, welcher Ihnen im Ritterhause gegenüber stand, Mary Powel, welche den Anschlag gegen Lincoln entdeckte, und ich, das ist Alles dieselbe Person!«

»O Gott! was höre ich!?«

»Sie erstaunen Mr. Booth? Erholen Sie sich von Ihrem Erstaunen und hören Sie, daß, wenn Sie mich frei lassen, ich diejenige sein werde, welche Sie und Ihre Genossen dem Richter in die Hände liefert! Sind Sie nun gewillt, mir jenen Dienst zu leisten?«

»Miß Powel, wie ist es aber möglich, daß Sie durch meine Rettung den Conföderirten und durch meine Vernichtung der Union dienen wollen? Was veranlaßt Sie, beiden Gegnern in gleichem Maße Ihre Dienste zu leihen?«

»Ich antworte Ihnen darauf, sobald ich den Dolch, den Sie im Gürtel tragen, in meinen Händen habe, Mr. Booth!«

»Sie wollen den Tod und verschmähen die Freiheit Miß Powel?«

»Ich kann nicht erwarten, daß Sie mir die Freiheit geben; denn die Präsidenten-Mörder müssen die Person fürchten, welche ihre Pläne bis in die kleinsten Details kennt.«

»Doch aber wage ich zu glauben, daß Sie an uns jetzt so wenig zur Verrätherin werden, wie Sie es bis dahin waren; es lag in Ihrer Hand, uns schon längst der Justiz auszuliefern; Sie thaten es nichts Habe ich Ihr Ehrenwort, Miß Powel, daß Sie uns nur eine einzige Woche Schweigen gewähren, so sind Sie noch heute frei!«

»Ich will meine Freiheit nicht; die Pflicht gegen mein Vaterland erfordert, daß ich keine Minute säume, die Verschwörung aufzudecken, und diese Pflicht zu erfüllen, Mr. Booth, ist schwerer für mich, als den Tod zu erdulden! Deshalb wähle ich den letzteren.«

»Sie wollen das Versprechen nicht geben?«

»Nein.«

»Ich gebe Ihnen Bedenkzeit bis morgen!«

»Und wenn mein Entschluß bis dahin nicht anders ausgefallen?«

»In einer Nacht kann Vieles geschehen! Ich darf, ich will Sie nicht tödten; Miß Powel, aber morgen vielleicht liegt es in meiner Macht, Ihnen die Freiheit zu geben.«

»Wollte Gott, ich lebte morgen nicht mehr!«

»Leben Sie wohl! Vielleicht sehen wir uns nicht mehr!«

»Also der morgende Tag ist schon zur That bestimmt?«

»Der morgende Tag ist bestimmt, die Tyrannei in den Staub zu werfen! Gute Nacht, Miß Powel!«

Booth steckte seine Hand durch die Oeffnung in der Thür.

Mary ergriff dieselbe mit Leidenschaft und preßte sie an ihre Lippen.

»Hören Sie, Wilkes Booth, das Wort einer Sterbenden, das Wort eines Mädchens, das Sie liebt, eben so heiß und glühend, wie sie ihr Vaterland geliebt hat, das Ehre, Ruf und Pflicht geopfert hat, um nicht an Ihnen zur Verrätherin zu werden. Treten Sie noch zurück, Wilkes, noch ist es Zeit! Abraham Lincoln ist kein Tyrann, und seinem Mörder wird man nicht Ehrensäulen setzen, sondern der Inbegriff alles Verruchten wird sich an seinen Namen knüpfen!«

Booth schien bewegt; Mary fühlte, wie seine Hand in der ihrigen zitterte.

Die Oeffnung in der Thür schloß sich. Mary hörte Booths Schritte weithin in dem Gange verhallen, und dann war in dem Gefängnisse des Mädchens wieder schwarze Nacht und tiefe Stille.

Erst zweimal vierundzwanzig Stunden später sollten sich die Schlösser wieder öffnen, welche sie von der Freiheit absperrten. Der Mann, welchen sie liebte, hatte sie der Gefangenschaft übergeben; der Mann, welcher sie liebte, sollte ihr den Weg zur Freiheit öffnen.


 << zurück weiter >>