Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hundertundzwölftes Kapitel.
Die Aushändigung

Die beiden Damen Gamp und Bagges hatten, wie wir wissen, nach Beendigung der Auction in Old Church sich mit den dort eingekauften Schätzen beladen nach Washington begeben, und zwar hauptsachlich, um sich in den Besitz des Mr. Spangler zur Aufbewahrung übergebenen »Nothpfennigs« zu setzen.

Mr. Gamp, der würdige Gemahl der alten Kupplerin, hatte es vorgezogen, in die Südstaaten zurück zu kehren, oder vielmehr, seine theure Ehehälfte und Schwägerin hatten erklärt, das; sie seiner Dienste nicht weiter bedürften, und ihn mit gerade so viel Geld versehen entlassen, als ihm voraussichtlich der Punsch auf der Reise von Old Church nach Charleston kosten würde.

Sie hatten sich seiner wahrscheinlich aus dem Grunde entledigt, weil Mrs. Gamp sich in den Nordstaaten immer noch nicht ganz sicher fühlte.

Ihre Abenteuer bei der September-Revolution in New-York konnten ja ans Tageslicht gekommen sein, und sie in sehr arge Collision mit der Justiz bringen. Ihrer eigenen Schlauheit und die Verschwiegenheit ihrer Schwester konnte sie schon vertrauen; indessen galt dasselbe nicht von ihrem Herrn Gemahl, von dem sie wußte, daß einige Glas Grog hinreichten, um ihm jedes Geheimniß entlocken zu können.

Kein Besuch konnte Mr. Spangler unangenehmer sein, als der der Mrs. Gamp.

Nichtsdestoweniger aber stellte er sich höchst erfreut, und auf die Frage, ob man bei ihm logiren könne, antwortete er:

»Ei! Mrs. Gamp natürlich! Und wenn ich noch so beschränkt in meinem Hause wohnte, für eine so alte, theure Freundin, wie Sie sind, würde ich immer Platz haben. O, das trifft sich ganz vorzüglich! Mein bisheriger Miethsmann, Mr. Conover, ist ausgezogen, vermuthlich mit einem Mädchen durchgegangen, das ihn häufiger besuchte Sie, Mrs. Gamp, werden ein solches Verhältniß leichter durchschauen, als ich, denn Sie verstehen sich ja auf dergleichen Affairen.«

»Mit einem Mädchen durchgegangen,« bemerkte Mrs. Bagges; »ist immer noch nicht so schlimm, als wenn es mit dem Miethszins wäre.«

»O, was das betrifft,« versetzte Mr. Spangler, »so war Mr. Conover ein vorzüglicher Zahler. Ist auch nicht anders anzunehmen. Er ist, wenn auch nicht gerade einer von den reichen Junkern des Südens, so doch ein Freund von ihnen. Er war immer pünktlich, und obwohl ich ihm für sein Logis nur funfzig Dollars monatliche Miethe abverlangte, so sagte er doch: »Mr. Spangler, Sie sind ein honnetter Mann!«« – Mr. Spangler that sich auf dies schmeichelhafte Epitheton sichtlich viel zu Gute – »»ja, was noch mehr ist, Sie sind ein liebenswürdiger Mann, ja, und was noch mehr ist, Sie sind ein ehrlicher Mann. Ich werde Ihnen von freien Stücken sechzig Dollars zahlen!«« Bei meiner Seele, Mrs. Gamp, so sagte er.«

»Und zahlte die sechzig Dollars auch?« fragte Mrs. Bagges etwas ungläubig.

»Und zahlte sie auch!« bestätigte Mr. Spangler.

»Funfzig Dollars! Allerdings eine bedeutende Summe!« meinte Bethsey.

»Eine bescheidene Summe, wollen Sie sagen, für das Logis!« verbesserte Mr. Spangler, »und Mr. Conover, als er auszog und mir die letzten sechzig Dollars voll auf den Tisch legte, obwohl er noch hätte anderthalb Wochen dafür wohnen können, sagte bei dieser Gelegenheit:

»‹Mr. Spangler, mein lieber Freund,‹« – er nannte mich seinen Freund, Ma'am! – »›ich setze voraus, daß derjenige, der nach mir das Logis bewohnt, Ihnen nicht weniger dafür zahlt, als ich; denn unter uns gesagt, mein lieber Freund,‹ – er nannte mich sehr häufig seinen lieben Freund, Ma'am, – ›das Logis wäre mit siebenzig Dollars nicht zu theuer bezahlt, und diese Summe, Mr. Spangler, werden Sie bekommen, wenn nach mir honette Leute das Logis beziehen!‹ Und Sie, Mrs. Gamp, und Sie, Mrs. Bagges, Sie beziehen nach ihm das Logis.«

Seine beiden Zuhörerinnen machten ein ungläubiges Gesicht und hatten auch Ursache dazu, denn das Haus und die Wohnung Mr. Spanglers, so viel sie von der letzteren sahen, ließen es kaum für wahrscheinlich annehmen, daß so comfortable Räume in diesem Hause vorhanden seien.

Mr. Spangler errieth ihre Gedanken und fügte deßhalb schnell hinzu:

»Es wohnen in meinem Hause nur Gentlemen. Beispielsweise wohnt gerade über Ihnen ein sehr honetter Mann, ein Arzt, Mr. Blackburn heißt er, der gestern aus dem Süden hier ankam. Sein Quartier ist kaum so comfortable, wie das was Sie beziehen werden, und er bezahlt mir ebenfalls siebzig; denn wie schon Mr. Conover sagte ...«

»Mein lieber Freund, sagte er ohne Zweifel,« fiel Mrs. Gamp schnippisch ein. »Aber lassen wir jetzt Mr. Conover, wir werden uns ohne ihn über die Miethe verständigen, führen Sie uns hinauf in die Wohnung, welche Sie für uns offen haben, und lassen Sie auch unsre Sachen, welche noch auf der Bahn sind, hinaufbringen«

Mr. Spangler that das mit dem Bewußtsein eines Mannes, der Jemand einen großen Freundschaftsdienst erweist, der aber anspruchslos genug ist, sich dieser aufopfernden Freundschaft nicht zu rühmen.

Mrs. Bagges machte ein etwas spöttisches Gesicht, als sie diese Räume, deren Miethswerth ihr splendider Vorgänger auf siebzig Dollars pro Monat geschätzt hatte, mit den luxuriös eingerichteten Gemächern ihres Hauses in Charleston verglich, aber sie sagte sich, daß man hier schon einmal gute Miene zum bösen Spiele machen müsse, da sich die theure Wohnung ja hinlänglich bezahlt machen würde aus dem bewußten »Nothpfennig.«

Als Mr. Spangler mit einem nicht zu unterbrechenden Redefluß die Vorzüge des Quartiers nach allen Seiten hin auseinandergesetzt und demnächst Sorge getragen hatte, daß zur Bereitung des Thees Alles zur Hand sei, verschwand er, angeblich, um die Sachen von der Bahn herauf zu schaffen, blieb aber von da ab mit einer Beharrlichkeit unsichtbar, welche sich schwerlich mit der von Mr. Conover gerühmten Liebenswürdigkeit vereinbaren ließ.

Die Sachen von der Bahn kamen, aber nicht durch Mr. Spangler selbst, sondern durch Packetträger expedirt.

Die Portierloge, welche der Wirth des Hauses bewohnte, war und blieb verschlossen, so oft auch Mrs. Gamp Veranlassung nahm, bei ihrem Wirthe eine Visite zu machen· Es verging fast eine Woche, ehe es ihr gelang, einmal, als Mr. Spangler eben in sein Hans schlüpfte, so leise und so vorsichtig, als ob er in seine eigene Wohnung einen Einbruch machen wollte, ihn zu ertappen, und das war ihr nur dadurch gelungen, daß sie sich einen halben Tag auf dem Hausflur auf die Lauer gestellt hatte.

»Ah! Mrs. Gamp, meine liebe Freundin!« rief Spangler, »Sie sind hier! Sie befehlen ohne Zweifel etwas; es fehlt Ihnen an Etwas!? – Ich gehe sogleich, Alles zu besorgen!«

Ohne sich weiter zu erklären, was er zu besorgen beabsichtige, öffnete er die Hausthüre, welche bereits hinter ihm in's Schloß gefallen war, wieder, und wollte hinaus, voraussichtlich, um aufs Neue wieder auf eine Woche unsichtbar zu werden.

Aber Mrs. Gamp hatte diese Kriegslist vorausgesehen und schnitt ihm den Rückzug ab, indem sie ihre umfangreiche Person, welche die Weite der Hausthür gerade ausfüllte, in dieselbe schob, und erklärte, daß sie nichts weiter verlange, als mit ihm einige Worte unter vier Augen zu sprechen.

Mr. Spangler machte ein Gesicht, das freudig überrascht aussehen sollte, indessen unbeschreiblich albern und verlegen wurde. Da ihm aber nicht Zeit gelassen wurde, sich zu sammeln, so blieb ihm nichts übrig, als·die Thür der Portierloge zu öffnen und durch dieselbe seine theure Freundin in die Räume seiner Wohnung zu führen.

»Sie sind mir ausgewichen, Mr. Spangler,« sagte Mrs. Gamp in drohendem Tone.

»Ich? Daß ich nicht wüßte!«

»Sie wissen es, und wissen auch warum; wo ist die Kiste?«

»Sie meinen ...?«

»Ich meine die Kiste von Eichenholz, welche ich Ihnen gab!«

»Welche Ihre kleinen Ersparnisse enthielt?«

»Gleichviel, was sie enthielt. Ja, meine Ersparnisse! Dieselbe Kiste, welche ich Ihnen zum Aufbewahren übergab.«

»Hm; ich glaubte, Sie hätten dieselbe schon mit den vielen Kisten, welche von der Bahn an Sie kamen, erhalten.«

»Sie wissen, daß es nicht der Fall ist, Mr. Spangler; denn Sie haben sich um die Sachen, die von der Bahn kamen, und nichts waren, als Gegenstände, die ich auf einer Auction kaufte, gar nicht bekümmert, also denselben auch kein Packet hinzugefügt.«

»Aber ich glaubte ...«

»Keine Ausflüchte, Mr. Spangler! ich will die Kiste sehen!«

»Nun, mein Gott, theuerste Freundin, ereifern Sie sich nur nicht! Wenn ich unbegreiflicherweise vergessen haben sollte, sie sofort zu Ihnen hinauf zu schicken, so können Sie überzeugt sein, daß sie noch an demselben Platze steht, an welchen Sie sie gestellt haben, als Sie mir dieselbe übergaben. Denn bei meiner Seele und bei meiner aufrichtigen Freundschaft für Sie schwöre ich Ihnen, daß ich sie nicht angerührt habe!«

»Desto besser,« murmelte Mrs. Gamp; »so geben Sie die Kiste heraus! Sie stellten sie damals in einen Winkel Ihrer Kammer,« fügte sie hinzu, »hinter den Kleiderschrank, der an der Kaminseite steht.«

»Ganz recht! Ganz recht! Ah, jetzt entsinne ich mich! Nun, ich hatte während der langen Zeit das Factum ganz vergessen. Ich entsinne mich jetzt ganz deutlich, Mrs. Gamp; Sie stellten sie damals dorthin; es war eine Kiste von Eichenholz.«

»Ja, eine Kiste von Eichenholz.«

»Hm, ganz recht; und mit drei Schlössern versehen! War's nicht so? Sie war mit drei Schlössern versehen?«

»Sie war mit drei Schlössern versehen!«

»Allerdings; ich entsinne mich jetzt ganz genau des Factums.

Sie haben Recht, Mrs. Gamp; hinter den Kleiderschrank. Ei, ei, was Sie für ein Gedächtniß haben! Sehen Sie, ich hatte es völlig vergessen; beim Teufel, völlig vergessen!«

»Da ich Sie nun daran erinnert habe, Mr. Spangler, so bitte ich, daß Sie die Kiste heraus geben!«

»Sie könnte gestohlen sein,« murmelte Mr. Spangler halblaut, als ob er zu sich selber rede, und machte ein besorgtes Gesicht.

»Ich will nicht hoffen, Mr. Spangler, daß Sie selbst ...«

»Ich selbst!? Wohin denken Sie, Mrs. Gamp!« Kommen Sie mit in die Kammer! Wenn die Kiste nicht gestohlen ist, so muß sie noch auf demselben Fleck, genau auf demselben Fleck stehen, wo Sie sie hin gestellt haben!«

Mrs. Gamp folgte ihrem Wirth mit beklommenem Herzen.

Er führte Sie bis in das hinterste Zimmer, dessen Laden er, wie wir wissen, niemals öffnete, und in welchem wir ihn vor einiger Zeit einmal überraschten, als er ein Packet Banknoten über das andere häufte und die schweren Goldbarren mit gierigen Blicken in seinen Händen wog.

»Entschuldigen Sie, Mrs. Gamp,« sagte Spangler demüthig und mit halb verschämter Miene, indem er eine Kerze anzündete, »ich bin ein armer Mann und habe so mein bescheidenes Auskommen Sie wissen, ein Theaterzimmermann erwirbt keine Schätze. Dies mein Hinterstübchen ist fast zu bescheiden eingerichtet, als daß ich eine Dame, die so gewöhnt ist, wie Sie, einladen könnte, näher zu treten!«

Mrs. Gamp kümmerte sich jedoch nicht um den Mangel an Comfort, sondern trat unaufgefordert ein und begab sich unverzüglich nach der Kaminseite hin, dem dunkelsten Theile des dunklen Zimmers, und fast zitternd vor Spannung ergriff sie die Kerze, welche auf dem Tisch brannte, und leuchtete in den Winkel hinter den Schrank.

Ihre vor Aufregung fast verzerrten Züge hellten sich plötzlich auf.

Wahrlich! Da stand die Kiste auf demselben Flecke; die drei schweren Schlösser hingen noch davor. Mr. Spangler war nun auch in ihren Augen, wie angeblich Mr. Conover geäußert haben sollte, ein grundehrlicher Mann.

»Sie ist da!« sagte sie, einen Seufzer der Erleichterung ausstoßend. »Mr. Spangler, ich danke Ihnen und habe jetzt nur noch die eine Bitte, daß Sie mir die Kiste hinauf tragen helfen.«

»O, mit Vergnügen, Mrs. Gamp! Ist die Kiste denn so schwer?«

»Sie erinnern sich, Mr. Spangler, daß zwei Nigger dieselbe nur mühsam zu tragen vermochten, als sie sie hierher brachten.«

»Ganz recht! Ah, ja, jetzt entsinne ich mich! Ich mußte noch helfen, sie die Stufen an der Hausthür hinauf zu heben. Ja wohl, sie war sehr schwer! Sind auch wohl einige eiserne oder zinnerne Geräthschaften darin?«

»Vermuthlich wohl,« antwortete Mrs. Gamp kurz.

Wenn es sich darum handelt, einen Schatz zu heben, so risquirt man schon eine außerordentliche Anstrengung seiner Kräfte, und Mrs. Gamp leistete beim Trausport der Kiste mehr, als zwei Lastträger geleistet haben würden.

Mit wie wonneseligen Blicken betrachtete sie die wohl verschlossene Kiste, als dieselbe oben in ihrer Wohnung stand, nun ihr unbestrittenes Eigenthum! Wie schwelgte sie im Geiste bereits in dem Genusses einer Million Dollars!

Mr. Spangler hatte sie höflich grüßend verlassen. Während er aber die Treppe hinunter ging, da kicherte er verstohlen und murmelte vergnügt:

»Betrogen, alter Drachen! Der Schatz, den Du mir zum Aufbewahren gabst, war verzaubert. Du wirst es sehen, er hat sich verwandelt!«


 << zurück weiter >>