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Hundertvierunddreissigstes Kapitel.
Der neue Besitzer

Die Freudennachricht der Besiegung der Rebellion wirkte auf die nordamerikanische Nation wie ein erfrischender Lufthauch nach lähmender Schwüle eines Julitags. Die Pulse der Industrie begannen wieder zu schlagen und der Handel fing an, aus der Lethargie zu erwachen, in welche ihn der Krieg versetzt hatte. Alles lebte und regte sich, und Amerika begann wieder auf dem Weltmarkt seine Stelle würdig auszufüllen.

Man fing an, die verwüsteten Farmen wieder zu bebauen, man befrachtete wieder die Schiffe mit den Landesproducten, um sie in alle Welt zu versenden, das Geld, was während des Krieges zum großen Theil als todtes Capital gelegen, fing an zu arbeiten. Die Nachfrage nach Waaren ward lebhaft, und Arbeiter, die keine Arbeit fanden, gab es nicht mehr.

Freilich, in den Ländern, welche der vierjährige, fürchterliche Krieg verheert hatte, sah es traurig, sehr traurig aus. Der Staat Virginien machte fast den Eindruck einer Wohnung, aus welcher man sämmtliches Mobiliar ausgeräumt hat. Alle die blühenden Farmen waren vom Boden wegrasiert, die Städte zum Theil vernichtet, zum Theil gänzlich verarmt. Es gab hier nur Bettler und eine Anzahl Kapitalisten, denen der Krieg noch nicht Alles geraubt hatte. Die letzten 6 Monate des Krieges hatten hier größere Verheerungen angerichtet als selbst der dreißigjährige Krieg in Deutschland.

Die Districte, welche bereits längere Zeit vom Kriege nicht heimgesucht waren. hatten inzwischen begonnen, wieder aufzuathmen, in den Plantagen und in den Werkstätten ging es rüstig her, und alle die kleinen Quellen der Industrie wurden allmählig ergiebig, und ihre Producte fanden einen Concentrationspunkt in den großen Factoreien, durch welche der Weltverkehr vermittelt wird.

Das zuletzt Gesagte galt namentlich von den Staaten Maryland und Carolina, und der Hauptmittelpunkt des Handelsverkehrs dieser Staaten ist die große Factorei zu Old-Church. Hier wurden die Schiffe befrachtet, welche die Waaren über den Ocean bringen, und von hier aus wurden die Producte des Auslandes in alle Regionen der Vereinigten Staaten befördert.

Besitzer der Factorei war seit einigen Tagen Mr. Richard Brocklyn, ehemaliger Capitain des Macdonald.

Während man sonst in diesem endlosen Conglomerat von Speichern, Waagen, Schiffswinden, Schiffsutensilien, nichts sah als das wirre Durcheinander von tausend arbeitsamen Menschen, welche mit den aufgestapelten Ballen hantirten, und von Pferden, welche schwere Lasten zogen oder von Matrosen, welche am Krahn arbeiteten, war an dem Tage, da wir die Farm betreten, hier Alles still. Kein Geschrei von Fuhrleuten, welche die Pferde antrieben, kein Laut des monotonen Gesanges der an den Schiffswinden arbeitenden Matrosen – gleichsam Feiertagsruhe war über das ganze Etablissement ausgebreitet.

Und doch war es kein Feiertag, sondern ein gewöhnlicher Wochentag. Wohl waren Menschen genug auf den geräumigen Höfen aufgestellt, aber nicht in Blousen und Jacken, sondern im Sonntagsputz, und an dem Bollwerk des Canals, welcher vom Potomac bis zu der Factorei geleitet war, hatte sich ein Spalier von festlich gekleideten Beamten und Seeleuten aufgestellt. Die Fahrzeuge, welche im Canal lagen, hattest sich mit Flaggen geschmückt, und ihre Bemannung im Festtagscostüm sich an Bord derselben aufgestellt.

Plötzlich wird auf einer Schaluppe, welche dem Strom am nächsten lag, ein Kanonenschuß gelös't.

»Sie kommen!« tönte es aus vielen hundert Kehlen.

»Wer kommt?« fragte helltönend eine Stimme einen der Comptoristen, welcher eben Anordnungen traf, eine große Unionsflagge empor zu hißen.

Die Stimme gehört einer jungen Dame an, welche sich in Begleitung einer alten Dame, einer Frau mit sehr harten Zügen aber dabei stechenden und mißtrauischen Augen, genähert hatte. Die Aufmerksamkeit Aller war so ausschließlich von den Erwarteten in Anspruch genommen und die Blicke so beharrlich den Canal hinab gerichtet, daß Niemand die Damen, welche von der Landseite gekommen waren, bemerkt hatte. Sie hatten ihren Wagen vor dem Eingangsthor halten lassen und hatten sich, da sie das Comptoir geschlossen fanden, dahin gewandt, wo sie die Leute gesehen hatten.

Der Gefragte wandte sich um. Das junge Mädchen machte einen sehr guten Eindruck auf ihn, denn wenn auch ihr ganzes Aeußeres ein wenig emanzipirt erschien, so war sie doch unstreitig sehr hübsch.

Er verneigte sich also und antwortete:

»Wir erwarten den neuen Besitzer der Factorei.«

»Ist Mr. Brocklyn nicht mehr der Besitzer?« fragte die junge Dame, augenscheinlich durch diese Auskunft nicht angenehm berührt.

»Sie meinen den älteren Mr. Brocklyn,« versetzte der Buchhalter. »Nein, der ist es nicht mehr, sondern sein Sohn, der Capitain Richard Brocklyn, derselbe wird heute mit seiner jungen Frau hier erwartet.«

»Ah!« machte die junge Dame, welcher das Ereigniß sehr gleichgültig war.

»Allerdings,« fuhr der Mann fort, »er hat sich mit Miß Lavinia Crofton vermählt, der Tochter des reichsten Schiffsrheders in Boston. Der gerichtliche Act ist in New-York vollzogen, der kirchliche und die Feier der Hochzeit werden hier stattfinden.«

Die junge Dame hatte auf diese Mittheilung kaum gehört, sondern flüsternd einige Worte mit ihrer Begleiterin gewechselt. Als der Andere geendet, sagte sie:

»Der ältere Mr. Brocklyn ist also nicht mehr hier?«

»O doch, Miß. Er ist hier und wird sogleich aus dem Schloß herabkommen, um seinen Sohn und seine Schwiegertochter zu empfangen.«

»Es ist nicht möglich, ihn vorher zu sprechen?«

»Nein, Miß. Die Yacht, auf welcher die Gäste kommen, ist bereits signalisirt. Mr. Brocklyn wird deshalb schwerlich geneigt sein, sich in Geschäftssachen jetzt noch sprechen zu lassen.«

»Aber nach Beendigung der Empfangsfeierlichkeit ...?«

»Ich will es versuchen.«

Wieder ein Kanonenschuß – ein zweiter – ein dritter – da bog die Yacht, von deren Mast das Sternenbanner wehte in den Canal ein, von einem Schleppdampfer gezogen, und nach einer Viertelstunde legte sie sich unter tausendfachem Hurrahruf und Kanonendonner an die Landungsbrücke, neben welcher eine Anzahl Equipagen warteten. Mr. Brocklyn der Vater stand da, um die Gäste zu begrüßen und demnächst in das festlich geschmückte Wohnhaus zu geleiten.

An Bord der Yacht befanden sich außer den beiden Neuvermählten – noch eine große Anzahl von Personen, welche mit hergekommen waren, um den Empfangsfeierlichkeiten beizuwohnen. Wir treffen unter ihnen so manchen lieben Bekannten.

Da ist vor allen Dingen der alte Mr. Croflon, der seine Tochter an der Hand dem Schwiegervater zuführt, welcher sie mit Herzlichkeit in seine Arme schließt. Da ist Mr. Powel, der jetzige Compagnon des Hauses Crofton & Co. in Boston. An seinem Arm Mrs. Powel, die vielgeprüfte Dulderin. Auf ihren bleichen Wangen hatte die Freude den Purpur des Morgenrothes gemalt. Ihr zur Seite hüpfte ein munterer Knabe, der keck sich die in Chaine aufgestellten Seeleute betrachtete, und an ihrer Hand führte sie ein fünfjähriges Mädchen, welches schüchtern ihr liebliches Gesichtchen vor dem Anblick aller der fremden Menschen in den Kleidern der Mutter barg – dann kamen die beiden Töchter Mr. Brocklyn's, Hellene und Carlyne, jetzt weniger wie sonst in ihren Gefühlen verschieden; denn in beider Herzen war die Freude eingekehrt, nur war es nicht schwer zu erkennen, daß Carlyne noch etwas Anderes empfand, als bloße Freude. Der sanfte, verklärte Blick strahlte aus dem Gesicht voll Glückseligkeit, und die Innigkeit, mit welcher sie sich Mr. und Mrs. Powel anschloß, ließ wohl errathen, daß diese zu ihrem Glück in Beziehung standen.

Miß Carlyne hatte den kühnen Seemann Eugene Powel, den Besieger der Alabama nicht vergessen. Sie hatte ihn in New-York gesehen und – liebte ihn längst schon, ehe ihr sein Händedruck und sein Auge sagte, daß auch sein Herz für sie schlug· –

Der Wagenzug setzte sich nach dem Wohnhause in Bewegung, eine festliche Tafel war daselbst aufgerichtet, eine Tafel, wie sie nur der amerikanische Millionär herzurichten versteht; und, was mehr werth ist, als alle Genüsse eines Lucullus, dies Mal war gewürzt durch die reinste, ungetrübteste Freude.

Doch es ist ja nichts Vollkommenes auf der Welt, auch in diesen Cirkel schönster Harmonie sollte ein Mißton dringen. –

Kaum war die Empfangsfeierlichkeit zu Ende, und die versammelte Menge begann sich zurückzuziehen und sich zu den unter den Buchenlauben des Parkes für sie hergerichteten Tafeln zu begeben, da näherten sich die beiden Damen, welche während dieser Scene von fern gestanden hatten, von neuem dem Buchhalter.

»Sie wollten die Güte haben, uns Mr. Brocklyn zu melden,« sagte die Jüngere.

»Aber Mr. Brocklyn ist zur Tafel;« versetzte Jener.

»Unser Anliegen hat Eile, wir müssen ohne Verzug abreisen.«

»Es wird ihm nicht angenehm sein, Miß, ich fürchte ...«

»Fürchten Sie nichts, nennen Sie ihm unsere Namen, und er wird nicht anstehen, uns einige Minuten zu schenken.«

»So bitte ich um Ihre Namen.«

»Ich heiße Belle-Boyd; diese Dame hier ist Mrs. Slater.«

»Ich werde einem Diener Ihren Wunsch mittheilen; – Wollen Sie gefälligst mit mir zum Schlosse hinaufkommen?«

Er führte die Damen in das Sprechzimmer Mr. Brocklyn's, ersuchte sie dort Platz zu nehmen und schickte einen Diener mit der Meldung in den Speisesaal.

Mr. Brocklyn hatte soeben einen Toast ausgebracht auf das Glück des jungen Paares, als ihm der Diener die beiden Namen zuflüsterte. Augenblicklich umwölkte sich seine Stirn.«

»Was ist Dir?« fragte Miß Helene, welche sofort diese Veränderung in seinen Zügen gewahrte.

Die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf ihn.

»Ich werde eben um eine Unterredung gebeten,« sagte er, »von zwei Frauenzimmern, welche dem Süden als Spione gedient haben.«

»Weise sie ab, Vater,« rief Richard, »laß ihnen sagen, daß Du mit dem Süden und seinen Anhängern gebrochen hast und nichts zu thun haben magst mit ihren Spionen.«

»Nicht doch, mein Sohn,« entgegnete der alte Crofton, bei welchem sich das in Amerika bis zur Ueberspanntheit vorhandene Mitgefühl für das weibliche Geschlecht regte. »Man ist Frauen allezeit Rücksicht schuldig· – Gehen Sie, Bruder,« wandte er sich an Mr. Brocklyn, »hören Sie das Begehr der Damen, und wenn es in Ihren Kräften steht, erfüllen Sie es.«

Mr. Brocklyn folgte diesem Rathe. Wenige Minuten später stand er den beiden Damen gegenüber.

»Ich sehe, Mr. Brocklyn,« redete ihn Belle-Boyd an, »daß nach dem unglücklichen Ende der Conförderation, Ihre Bereitwilligkeit, derselben Opfer zu bringen, nicht erloschen ist, da unsere Namen Sie bewogen, einer Gesellschaft von Freunden auf einige Minuten Ihre Gegenwart zu einziehen. Das läßt mich hoffen, Sie auch für unser Gesuch zugänglich zu finden.«

»Sie irren, Miß,« versetzte der alte Herr. »Nicht aus Rücksicht für die Namen der Anhänger der Conföderation, sondern aus der Rücksicht, die man dem weiblichen Geschlechte schuldig ist, verließ ich die Gesellschaft.«

»Sehr zartfühlend, in der That,« antwortete das Mädchen mit einer Verbeugung »Gleichviel aber aus welchem Grunde Sie uns Audienz gewährten, Sie haben es gethan, und schon das verdient unsern Dank.«

»Darf ich Ihr Anliegen hören? – Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Nicht um uns handelt es sich, sondern um drei Freundinnen von uns, für sie wollten wir eine Gefälligkeit erbitten ... Wir haben uns gerade an Sie gewandt, weil es uns bekannt ist, daß Sie dem Süden stets treu gedient haben, und weil wir die Ueberzeugung hegen, daß Sie sich auch jetzt noch bereit finden lassen, zu einer Gefälligkeit gegen eine Person, für welche Sie sicherlich Interesse haben.«

»Sie sind völlig im Irrthum, Miß. Ich habe früher zwar der Conföderation meine Thätigkeit und mein Vermögen, ja, mehr als das, meinen ehrlichen Namen geopfert, ich habe das gethan, weil ich nach der Ueberzeugung meines Herzens handelte. Seit ich aber erfahren mußte, daß die Führer der Conföderation zu den fluchwürdigsten Verbrechen griffen, bin ich ihnen nicht weiter gefolgt, ich habe mich von ihnen losgemacht.«

»Aber doch nicht von der Sache der Conförderation,« warf Mrs. Slater ein.

»Eine Sache, welche zu solchen Mitteln greifen muß, um sich zur Geltung zu bringen, muß eine verwerfliche sein.«

»So schlagen Sie uns also die Gefälligkeit ab?«

»Das nicht, Ma'am, lassen Sie erst hören, wie ich Ihnen gefällig sein kann.«

»Jene drei Damen, von denen wir sprechen, beabsichtigen nach Canada zu reisen. Nun könnten sie sich zu dem Zwecke allerdings eines Passagierschiffes bedienen, allein ...«

»Es fehlt ihnen das Reisegeld. – Mit Vergnügen ...« fiel Mr. Brocklyn ein und griff nach dem Schlüssel seines Pultes.

»Das nicht,« rief Belle-Boyd, »sie bitten nur um die Gunst, mit der Handelsbrigg fahren zu dürfen, welche im Hafen zu Norfork ankert und von Ihnen nach Canada befrachtet ist.«

»Sie meinen die Brigg »Lavinia?«

»Dieselbe Sir. – Ich vermuthe, daß die Brigg zu Ehren Ihrer schönen Schwiegertochter so getauft ist.«

»Das ist sie. – Aber ich finde Ihren Wunsch ein wenig sonderbar. Sie wissen, daß eine Handelsbrigg keine Passagiere aufnimmt.«

»Wir haben uns darauf verlassen, daß es nur einiger Worte von Ihnen an den Capitain der Brigg bedürfen wird, um von dieser Regel eine Ausnahme zu machen.«

»Ich selbst kann darüber nicht bestimmen, ich bin nicht mehr Eigener des Schiffes, mein Sohn ist es.«

»Das ist dieselbe Sache, auf Ihre Befürwortung hin würde Ihr Herr Sohn sicherlich die Anweisung ertheilen, die drei Damen an Bord zu nehmen.«

Mr. Brocklyn durchschritt nachdenkend einige Male das Zimmer. Das Anliegen der beiden Frauen war zwar ein sehr unbedeutendes, doch im höchsten Grade auffälliges. Warum zogen sie es vor mit einer Handelsbrigg zu fahren, welche doch den Weg weit langsamer zurücklegt als das Dampfschiff und welches noch dazu für die Bequemlichkeit der Passagiere nicht die allergeringste Einrichtung hat. Sollten jene drei Damen etwa verdächtige Personen sein? – Doch das war nicht möglich, der Norden hatte ja alle Frauen, selbst die, welche sich thatsächlich an der Rebellion betheiligt hatten, amnestirt.

Er fand wirklich keinen Grund für das Verlangen der beiden ehemaligen Spioninnen.

»Wer sind jene Frauen?« fragte er nach einer längeren Pause.

»Es ist eine gewisse Mrs. Forster mit ihrer Tochter und Schwester, welche Mrs. Smith heißt.«

Brocklyn schüttelte den Kopf. Er kannte diese Damen nicht.

»Sagten Sie nicht,« versetzte er, »daß es sich um Personen handele, für welche ich mich interessire?«

Belle-Boyd ward ein wenig verlegen. Mrs. Slater aber antwortete sofort statt ihrer:

»Allerdings, es sind Verwandte eines Mannes, welcher mit dem Hause Powel & Co., in welchem Sie Theilhaber waren, in vielfacher Geschäftsverbindung stand.«

»Ich entsinne mich wirklich nicht – doch kann es sein. – Ofer gestanden, meine Damen, dies Anliegen kommt mir so sonderbar vor, daß ich fast meine, ich machte mich zum Theilhaber irgend einer ungerechten Handlung, wenn ich darauf eingehe. Die Personen sind durchaus nicht verdächtig?«

»Nicht im Mindesten.«

»Aber warum fahren sie denn nicht mit einem Passagierschiffe?«

»Ganz einfach, Mr. Brocklyn. Bedenken Sie, daß es drei Damen von Erziehung sind, welche allein reisen, und bedenken Sie ferner, daß mit den Passagierschiffen nach Canada in gegenwärtiger Zeit alles mögliche Gesindel fährt, Verbrecher, welche die Justiz Johnsons fürchten, Nigger und anderes Lumpenpack, und in solcher Gesellschaft können drei allein stehende Damen unmöglich fahren. Miß Jenny, die Tochter der Mrs. Forster, ist ein noch junges Mädchen; erwägen Sie nur, welchen Gefahren und Unannehmlichkeiten sie in solcher Gesellschaft ausgesetzt wäre.«

Dieser Grund war Mr. Brocklyn plausible. Die Rücksicht, welche jeder Amerikaner dem weiblichen Geschlecht zollt, siegte über all seine Bedenken.

»Verweilen Sie gefälligst eine Minute,« sagte er. »Ich werde Ihnen sofort durch meinen Sohn die verlangte Anweisung für den Capitain der »Lavinia« ausfertigen lassen.«

Nach diesen Worten entfernte er sich.

»Es war in der That ein kluger Einfall von Ihnen,« sagte Mrs. Slater leise zu ihrer Gefährtin, »sich hierher zu wenden. Einen anderen Schiffseigener hätten wir schwerlich überreden die Flüchtlinge aufzunehmen, wenigstens würde es mit viel größeren Schwierigkeiten verbunden gewesen sein.«

»Der Vortheil, den wir jetzt erlangen, ist noch viel größer, als Sie denken,« versetzte Belle-Boyd. »Im Allgemeinen werden nur die Passagierschiffe controlirt und überwacht durch das Geschwader, welches die südlichen Hafen blokirt, aber hin und wieder ist es doch schon passirt, daß man ein Handelsschiff angehalten und die am Bord befindlichen Personen nach der Legitimation gefragt hat. Mit jedem Tage werden die Vorsichtsmaßregeln, welche man anwendet, die Flucht Jefferson Davis' zu verhindern, verdoppelt.«

»So meinen Sie, daß irgend eines der Blokade-Schiffe auch diese Brigg anhalten könnte, und daß also die Reisenden doch nicht sicher sind?«

»Im Gegentheil, sie werden auf der Brigg »Lavinia« so unbehindert reisen, als ob Lincoln eigenhändig ihnen die Pässe ausgefertigt hätte.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie kennen den Capitain, der das Geschwader der Blokade-Schiffe cominandirt?«

»Ich kenne ihn nicht, Miß«

»Sein Name ist Eugene Powel, derselbe, welcher die Alabama in den Grund bohrte.«

»Und was folgern sie daraus?«

»Daß dieser ein Schiff, welches Mr. Richard Brocklyn gehört, auch nicht durch einen Blick molestiren wird, denn Richard Brocklyn ist sein Freund und Waffengefährte und ihm so theuer, als wäre es sein Bruder.«

»Das trifft sich in der That sehr glücklich.«

Eben trat Mr. Brocklyn wieder ein und überreichte Belle-Boyd das verlangte Schreiben an den Capitain.

»Mein Sohn hat gleichzeitig dem Capitain aufgegeben,« setzte er hinzu, »daß er nach Möglichkeit für die Bequemlichkeit der Damen Sorge tragen möge.«

Belle-Boyd und Mrs. Slater dankten in den wärmsten Ausdrücken und verabschiedeten sich.

Ihr Wagen wartete bereits vor der Thür.

Die Unterbrechung der Unterhaltung an der Tafel hatte noch nicht aufgehört zu wirken, als zum größten Verdruß des Wirthes bereits eine neue Störung eintrat. Er hatte gerade wieder sein Glas erhoben, um nunmehr einen Toast auf den entfernten Freund seines Sohnes, den Capitain zur See, Mr. Eugene Powel, den verlobten Bräutigam seiner Tochter Carlyne auszubringen, als der Diener wieder eintrat.

»Zwei Offiziere der Unionsarmee bitten um eine Minute Gehör,« berichtete er.

»Offiziere der Unionsarmee?« wiederholte Richard. »Sie sind uns jederzeit willkommen. Laß sie eintreten. – He, Joseph, noch zwei Couverts.«

Die Thür öffnete sich, und die beiden Offiziere traten ein.

Mr. Richard ging ihnen entgegen und bewillkommnete sie mit der ganzen Herzlichkeit und Offenheit seines ehrlichen Charakters.

Einer der beiden Gäste war Stabsoffizier, der andere in der Uniform eines Oberlieutenants. Der Erstere ergriff das Wort.

»Wir beabsichtigen nicht den Frohsinn einer Gesellschaft zu stören, und hätten sicherlich uns nicht die Freiheit genommen, das Schloß zu betreten, wären nicht unsere Geschäfte sehr dringend. Wir sind auf der Verfolgung des Rebellenpräsidenten begriffen. Mein Name ist Schleiden« – er hatte es in Amerika verlernt, seinem Namen den »Grafen« oder auch das »von« hinzuzufügen – »und mein Gefährte hier ist der Hauptmann George Borton, dessen Name Ihnen bekannter sein dürfte als der meinige.«

Natürlich war Keiner in der Gesellschaft, der den Namen des gefürchteten Spions nicht schon gehört hatte, und für den die Persönlichkeit nicht Interesse gehabt hätte. Alle schüttelten dem kühnen Jüngling die Hände und hatten Worte schmeichelhafter Anerkennung für ihn. Nur Einer blieb stumm und starr auf seinem Platz sitzen und stierte den jungen Officier an, als ob er sich in einem Zustande der Verzauberung befände.

Es war Charles Powel. Keines Wortes mächtig, blieb er stummer Zuschauer der Scene.

George Borton riß ihn aus seiner Verzauberung. Er eilte auf ihn zu, ergriff seine Hand und flüsterte ihm in's Ohr:

»Du täuschest Dich nicht, Bruder, ich bin es, Deine Schwester Mary ... aber schweig!«

Eine Thräne der Freude netzte das Auge des Mannes, Stolz und Freude verklärten sein Antlitz, und nur mit Mühe zwang er sich, zu verbergen, was sein Herz in diesem Augenblick bestürmte.

Inzwischen hatte Mr. Schleiden sein Gesuch angebracht, das darin bestand, ihn und seinen Begleiter durch einen Dampfer möglichst schnell nach Norfolk zu befördern.

Mr. Brocklyn sagte bereitwillig zu, der Dampfer mußte aber erst geheilt werden, und bis dahin blieben die Gäste an der Tafel.

Tausend Fragen wurden an sie gerichtet. Das Gespräch drehte sich natürlich um die brennenden Tagesfragen. Auf Alles gingen die beiden Officiere bereitwillig ein, nur sobald die Rede auf Wilkes Booth kam, schwieg Schleiden, und George Borton unterdrückte einen schmerzvollen Seufzer.

Als eine Pause eintrat, richtete Georg an Mr. Richard die Frage:

»Kennen Sie die beiden Personen, welche eben, als wir ankamen, in den Wagen stiegen?«

»Es sind, wie mein Vater sagt, zwei Spione der Rebellen!« antwortete Richard Brocklyn.

»So ist es;« versetzte George. »Darf man wissen, was sie hierherführte?«

»Ganz gewiß. Sie baten, auf unserer Handelsbrigg »Lavinia« drei Personen nach Canada zu befördern.

George Borton heftete einen bedeutsamen Blick auf Schleiden. Richard Brocklyn entging derselbe nicht, er fügte deshalb hinzu:

»Nicht etwa verdächtige Personen, es sind drei Damen, eine Mrs. Forster mit ihrer Tochter und Schwester. Andernfalls würde ich mich wohl gehütet haben, sie an Bord nehmen zu lassen.«

Die Glocke vom Canal her verkündete, daß der Dampfer bereit sei, abzufahren.

Schleiden und George Borton verließen die Gesellschaft ohne Zögern. Der Dampfer fuhr schnell, und bald hatten sie Old-Church im Rücken.


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