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Hundertundzwanzigstes Kapitel.
Vergeltung

Jede größere Farm besteht in der Regel aus einem Hauptgut und mehreren Nebengütern, Vorwerken, über welche Verwalter gesetzt, oder welche verpachtet sind.

Auch White-House, die ausgedehnte Farm des ehemaligen Kriegsministers Breckenridge, hatte solche Vorwerke. Die Farm selbst war jetzt völlig verödet; die Nigger, welche sich noch auf derselben befunden hatten, waren, seitdem die Nachricht von der Erstürmung Petersburgs und der Uebergabe Richmonds sie erreicht hatte, sämmtlich davon gelaufen. Die Felder waren durch den Krieg verwüstet, und die Gebäude theils durch Feuer zerstört, theils durch Vernachlässigung zerfallen, theils im Kriege zu Lazarethen oder Magazinen benutzt, und daher völlig demolirt.

Eins der zu White-House gehörigen Vorwerke stand noch ziemlich unversehrt.

Hierhin hatten sich Breckenridge und Berckley geflüchtet. Wie verändert war das Aussehen des Ersteren. Sein häßliches Gesicht von schlecht vernarbten Brandwunden noch mehr entstellt, seine sonst so straffe und muskulöse Figur gebeugt und schwankend – nur mit Hülfe eines Stockes vermag er durch die Gänge des kleinen, vernachlässigten Gartens hinter dem Pachthause zu gehen.

An seiner Seite Berckley, finsterer blickend als je, Ingrimm, Wuth, Verzweiflung in seinem verstörten Antlitz, – beide gingen schweigend die unsauber gehaltenen, zum Theil mit Gras bewachsenen, zum Theil durch Maulwurfshaufen verunstalteten Gänge auf und ab.

»Nicht einmal an dem Ruhme, für die Sache des Südens bis zum letzten Augenblicke gekämpft zu haben, dürfen wir Theil nehmen,« murmelte nach einer geraumen Zeit Breckenridge, mehr zu sich selber, wie zu seinem Begleiter redend; »verfolgt von unsern Feinden, und verachtet selbst von unsern Freunden!«

»Ihre Schuld, Mr. Breckenridge,« bemerkte Berckley verdrießlich; »Ihre Schuld allein! Hätten Sie nicht jene unselige Heirath betrieben und in Scene gesetzt, wir wären nicht als unwürdig aus dem Orden der Ritter ausgestoßen worden.«

»Meine Schuld!? Das ist eine nichtswürdige Lüge, Sir; es ist Ihre Schuld!« schrie Breckenridge. »Nur durch Ihre Schuld kann das Feuer angelegt sein, welches das Vermögen des Ordens verzehrte ...«

»Durch meine Schuld? Ich wüßte Niemanden, dem es möglich gewesen wäre, mir hierher zu folgen! Der Einzige, Jim, lag todtkrank im Kerker zu Richmond, und in demselben Zustande und in demselben Kerker fand ich ihn, dem Tode nahe, als ich nach Richmond zurückkehrte Er kann es nicht gewesen sein, er kann auch Niemanden dazu bestellt haben.«

Die Beiden schwiegen wieder eine Weile. Berckley war der Erste, welcher wieder von Neuem das Wort ergriff.

»Lassen Sie uns nicht streiten, Mr. Breckenridge! Lassen Sie uns gemeinsam handelt, lassen Sie uns auf Rettung sinnen! Wir sind hier nicht sicher.«

»Ich fürchte dasselbe,«· antwortete Breckenridge; »auch das ist Ihre Schuld.«

»Sie meinen, daß der Nigger einen Anschlag gegen uns unternehmen könnte? Fürchten Sie nichts! Ich habe Jim nach Charleston hin verkauft an einen Mann, bei welchem er eben so sicher aufgehoben ist, wie im Grabe selbst. Vielleicht fühlt er schon in diesem Augenblicke die Knute eines Plantagenbesitzers auf Domingo oder Jamaika.«

»An wen haben Sie ihn verkauft?«

»An einen Sclavenhändler in Charleston, einen gewissen Mr. Johnston aus New-Orleans, welcher mir eine so hohe Summe für den Sclaven bot, daß ich es vorzog, ihn zu verkaufen statt ihn sterben zu lassen.«

»Und die Quadroone, welche Sie mehr zu fürchten haben als ich?«

»Ist verschollen; man will sie ebenfalls in Charleston gesehen haben, in Gesellschaft meiner Frau. Sie wird sich nicht zurückwagen nach Richmond; und wenn auch, so wird sie doch unsern Zufluchtsort schwerlich ermitteln.«

»Was nützt es uns, unser elendes Leben weiter zu fristen? Der Tod ist das einzige, was uns übrig bleibt; warum verbrannte ich nicht mit den Millionen!? Von unsern Freunden als Diebe angeklagt, von unsern Feinden gehängt als Rebellen, das sind unsere Aussichten!«

»Sie setzen keine Hoffnung auf die Ermordung des Präsidenten und seiner Rathgeber?«

»Wenn auch; wenn Alles glückt, wenn die Conförderation hergestellt ist wie zur Zeit ihrer größten Sicherheit, wir haben den Genuß nicht daran. Nicht einmal das Vermögen ist mir geblieben, mir eine andere Heimath zu suchen, und nicht einmal die Genugthuung, mein Vermögen der Sache des Vaterlandes geopfert zu haben. Im Wege des Rechtes ist der letzte Rest meines Vermögens confiscirt als Ersatz für die unterschlagene Summe. Ha! Es ist ein herrlicher Lohn für die endlosen Opfer, welche ich der Conförderation gebracht habe.«

Die Gedanken, welche Breckenridge beschäftigten, berührten Berckley nicht so tief. Breckenridge hatte Charakter; er hatte die Ehrsucht aller Junker des Südens, die Herrschsucht aller Sclavenbarone, und ein unwürdiger Verdacht gegen seine Ehrlichkeit schmerzte ihn tiefer, als der Verlust des Vermögens, der Freiheit oder des Lebens.

Berckley dagegen gehörte zu den feigen Verräthern, denen sich in neuester Zeit auch Jefferson Davis so würdig angereiht hatte; sein eigenes unwürdiges Leben war ihm das höchste Gut, dem er gerne den Ruf opferte, und seine eigene Rettung lag ihm jetzt mehr am Herzen, als Alles, womit sich seines Gefährten Gedanken beschäftigten.

Breckenridge hatte ihn an Esther Brown erinnert. Sonderbar! Der Gedanke an sie fing an, ihn mit jedem Augenblick mehr zu beunruhigen. Ja, er combinirte, daß Esther Brown in Charleston gesehen worden, daß Jim nach Charleston hin verkauft worden sei.

Konnte sie ihn nicht für sich erstanden haben, konnte sie nicht mit ihm verbündet sein?

Ohne auf des Kriegsministers letzte Aeußerungen zu antworten, blieb er plötzlich stehen und sagte:

»Wir müssen fort, Mr. Breckenridge! Ich fürchte die Rache des Weibes, das Sie nannten. Sie haßt mich bis zum Tode; sie hat geschworen, mich mit ihren eigenen Händen zu erwürgen, wenn ich sie betrügen würde ...«

»Und Sie haben sie betrogen,« ergänzte Breckenridge.

»Wenn sie unsern Aufenthalt erfährt, so sind wir verloren,« fuhr Berckley fort.

»Du bist verloren, Verräther!« ertönte in diesem Augenblicke eine Stimme hinter den Beiden aus dem Gebüsch schneidend und durchdringend, so daß Berckley bis in's innerste Mark erbebte.

Gleichzeitig theilte sich das Gesträuch, und Esther stand vor dem zitternden Schurken.

»Ich schwur, Dich mit eigenen Händen zu erwürgen, und ich bin da, es zu thun!«

Sie hielt in der Rechten ein Stilet, in der Linken einen Revolver.

Obwohl die Aufregung ihre Hände zittern machte, so war doch ihre Haltung fest und drohend, ihr Blick haftete durchbohrend auf Berckley.

»Auch mit Ihnen, Sir,« wandte sie sich an Breckenridge, »habe ich abzurechnen. Ich habe gehört, daß der Tod Ihnen eine Wohlthat scheint, darum sollen Sie nicht sterben; nicht hier, sondern im Kerker von City-Hall in New-York oder am Galgen. So mögen Sie die tausendfache Schuld büßen, welche sie auf sich geladen! Jim!« rief sie, indem sie sich nach dem Gebüsche wandte, »übergieb unsern Leuten den Gefangenen; mit diesem hier habe ich allein zu thun.«

Jim ergriff ohne Zögern Breckenridges Arm, und halb ihn tragend, halb ihn mit sich fort ziehend verschwand er in dem Gesträuch.

Berckley war bis jetzt keines Wortes fähig gewesen. Hätte er auch eine Waffe gehabt, er würde nicht im Stande gewesen sein, sich ihrer zu bedienen; das Bewußtsein seiner Schuld und die drohende Nähe der Nemesis machten ihn zittern, wie Espenlaub.

»Kannst Du beten?« rief Esther mit gebieterischer Stimme; »so bete! Knie nieder!««

Berckley sank vor ihr auf die Knie. Schlotternd faltete er die Hände und hob sie zu dem vor ihm stehenden Mädchen empor.

»Miß Brown,« keuchte er mit kläglicher Stimme, »schonen Sie mein Leben! – Alles, was ich habe, es ist nicht viel, aber es gehört Ihnen; lassen Sie mich fliehen, Miß; ich verpflichte mich, nie wieder den Boden der Vereinigten Staaten zu betreten. Um Gottes Barmherzigkeit willen, legen Sie nicht Hand an mich!«

Esther blickte ihn mit unbeschreiblicher Verachtung an.

»Stellen Sie Bedingungen, Miß; Alles, Alles, was Sie wollen, nur lassen Sie mir mein Leben! – Geben Sie mich auch nicht in die Hände meiner Feinde. Sie wissen, ich war Präsident des Ordens; man würde mich hängen. Aber lieber lebenslänglicher Kerker, als der Tod! – Gnade – Gnade – Miß Brown, – haben Sie – Barmherzigkeit – mit mir, – Sie sehen meine Angst, – o Gott! was soll ich sagen, um Sie zu rühren, – ich bereue, was ich an Ihnen verschuldet – was soll ich thun – um Ihr Herz zu rühren!? ...«

Ein Fußtritt Esthers streckte ihn in den Sand.

»Hund, Du bist nicht werth, von meiner Hand zu sterben! Stehe auf, Elender, geh' voran ins Haus! Ich folge!«

Willenlos und zitternd gehorchte Berckley. Mit schwankenden Schritten trat er in das Haus und erwartete die ferneren Befehle des Mädchens.

»An den Schreibtisch!«

Berckley setzte sich und nahm die Feder.

»Schreibe den Antrag aus Ehescheidung von Miß Emmy Brown!«

Berckley that es und hielt, nachdem er vollendet, mit zitternder Hand ihr das Papier hin.

Sie las.

»Es ist gut, Schurke! Stehe auf, geh' hinaus und überliefere Dich den Soldaten, die draußen im Hofe warten!«

Esther wandte ihm den Rücken und verließ mit dem Document in der Hand das Gemach.

Draußen im Hofe stand eine Abtheilung des Weitzel'schen Negerregimentes. Hinter ihnen ein Wagen, aus welchem, von zwei Negern bewacht, Breckenridge saß. Man wartete eine geraume Zeit auf Berckley's Erscheinen Er kam nicht.

Alle Ausgänge des Gehöftes waren besetzt, entkommen konnte er also nicht.

Wo war er?

Eine Viertelstunde verging.

Da nahm Jim zwei Mann, um das Haus zu durchsuchen Berckley war nirgend.

Erst nach langem Suchen da fand man ihn; aber wie? – In einer Bodenkammer hatte er sich erhängt.

Der Sclavenzüchter, der Henker der Nigger ward von Niggern abgeschnitten; Nigger gruben ihm ein Grab aus dem Hofe, Nigger bildeten sein Leichengefolge und Nigger waren seine Todtengräber.

Breckenridge befand sich eine Stunde später auf dem Transport nach Richmond.


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