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Neunundneunzigstes Kapitel.
Contremine

Wie wir bereits erwähnten, wohnte Mr. Conover in dem Hause des ehrenwerthen Theater-Zimmermanns Mr. Spangler. Dieser würdige Herr, ein Freund der Mrs. Gamp, war derjenige, den sie mit der Aufbewahrung ihres Schatzes betraut hatte.

Mr. Spangler pflegte sonst seinen langen, dünnen Hals, seine spitze Nase und sein eben so spitzes Kinn den ganzen Tag zur Portier-Loge hinaus auf die Straße zu stecken und jeden Vorübergehenden prüfend zu betrachten, so daß er in den Augen eines befangenen Deutschen für eine Art von Polizeispion hätte gelten können, zu welchem Posten er sich auch vorzüglich geeignet hätte, wenn die Constitution der Freistaaten die Existenz solcher Individuen erlaubt hätte.

Seit einiger Zeit indessen sah man Mr. Spangler bedeutend seltener, denn er hatte jetzt einen Zeitvertreib gefunden, welcher nicht nur ebenso interessant war, als die Beobachtung der Leute auf der Straße, sondern entschieden gewinnbringender zu werden versprach.

In seinem hintersten Kämmerchen saß er, dessen Luke den ganzen Tag verschlossen und seit einiger Zeit mit eisernen Stangen versichert war. Ein jämmerliches Talglicht brannte auf einem Tische, unter welchem eine Eichenkiste mit schweren Vorlegeschlössern stand.

Die Kiste ist dieselbe, welche in unserer Erzählung bereits mehrfach eine so bedeutende Rolle gespielt. Wir hatten bisher immer nur Gelegenheit, sie von außen zu sehen; Mr. Spangler's Neugierde hat uns Gelegenheit verschafft, auch ihren Inhalt näher kennen zu lernen.

Als ihm Mrs. Gamp die Kiste übergab, verschwieg sie ihm wohlweislich, was dieselbe in sich berge. Sie hatte ihm gesagt, daß die Kiste einige ihrer werthvollen Geräthe, Schmucksachen und auch ihr Erspartes enthalte, welches sie auf der Flucht nach dem Süden sich nicht mitzunehmen getraute, da sie ja möglicherweise ertappt und so ihres Eigenthums verlustig werden könnte.

Mr. Spangler hatte mit den kleinen stechenden, grauen Augen geblinzelt, seine Lippen zusammengekniffen und gesagt:

»Ich glaub's, Mrs. Gamp, reisen Sie in Gottes Namen; Ihre geringen Ersparnisse sind bei mir in guten Händen.«

Aber Mrs. Gamp hätte sich einen weniger argwöhnischen Freund und einen im Spioniren weniger geübten Aufbewahrer ihrer Schätze aussuchen sollen, als es Mr. Spangler war.

Nachdem er es in der That einige Tage über sich gewonnen, den Schatz uneröffnet in seinem Zimmer stehen zu haben, und sich begnügt hatte, die Kiste nur von außen kennen zu lernen, – bei welchem Studium er es allerdings so weit gebracht hatte, daß er jeden Nagel, jedes Niet, jedes Charnier, jede Fuge auswendig aufzählen konnte, und – falls er ein Meister dieser Kunst wäre – sogar hätte aufzeichnen können, – da konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, seine Kenntnisse zu erweitern und in das Geheimniß der Kiste ein wenig tiefer einzudringen.

Natürlich war das nicht leicht ausgeführt. Denn, wie wir bereits mehrfach erwähnten, war die Kiste mit drei schweren Eisenschlössern versehen, und im Fall dieselbe wirklich nichts Anderes enthielt, als was Mrs. Gamp angegeben hatte, so lohnte es sich ja auch kaum der Mühe, einen Versuch zu ihrer Oeffnung zu machen; wenigstens wäre der Erfolg nicht entsprechend den Unannehmlichkeiten, welchen er sich einer Frau von dem Temperament der Mrs. Gamp gegenüber aussetzte.

Da aber kam zufällig die Bekanntmachung der westindischen Handels-Compagnie und der New-Yorker Polizei in seine Hände.

Schnell combinirend machte er den Schluß: die Kiste, welche die westindische Handels-Compagnie zu Boston und New-Yorker Polizei suchen, ist keine andere, als die in meinen Händen befindliche.

»Eure Million Dollars! Himmel, das lohnt sich der Mühe!«

Die Schlösser waren schwer zu öffnen. Aber Geduld! Mrs. Gamp kam nicht so bald, uni sich die Kiste abzuholen, sondern wartete unstreitig, bis der Krieg vorüber sein würde.

Beharrlichkeit und Unverdrossenheit bewirkten schließlich, daß es ihm gelang, ohne die Kiste äußerlich zu verletzen, durch Nachschlüsse dieselbe zu öffnen.

Welcher Anblick! Banknote auf Banknote, in dicken Paketen zusammengebunden, jede einzelne von einem Werthe, daß sie ausgereicht haben würde, ihm eine sorgenfreie Zukunft zu verschaffen! Den Boden bedeckt mit Goldbarren, viele Tausende Dollars an Werth!

So verführerisch ihm auch diese Schätze entgegenwinkten, so war doch Mr. Spangler weit entfernt, sich davon einen Vortheil zu verschaffen. Er gehörte zu jenen Geizigen, welche von ihren Schätzen keinen andern Gebrauch zu machen wissen, als sich an ihrem Anblick zu weiden, – welche auf dem Kissen verhungern, das sie mit Tresorscheinen ausgestopft haben, und in Schmutz und Lumpen einhergehen, wo ihnen aller Luxus des Lebens zu Gebote steht.

Mr. Spangler hatte auch nicht eine einzige Banknote gewechselt, nicht einen einzigen Goldbarren zum Juwelier gebracht: Er dachte nur daran, wie er es am besten anfangen könnte, Mrs. Gamp um ihren Schatz zu betrügen.

Da auch diese denselben gestohlen, so brauchte er sich eigentlich kein Gewissen daraus zu machen, ihn wieder zu stehlen. Er kannte jedoch den Charakter seiner werthen Freundin gut genug, um zu wissen, daß es ein sehr riskantes Ding sei, sich diese Dame zur Feindin zu machen.

Tag aus, Tag ein sann er nach, wie er den Schatz verbergen und wie er ihn für sich sichern solle. Wenn er zu seiner Arbeit nach dem Ford-Theater ging, dachte er unablässig daran, und wenn er nach Hause kam, beschäftigte er sich mit diesem Gedanken, und wenn er schlafen ging, erschien ihm die Kiste im Traume, und wenn er aufstand, war es sein Erstes, daß er sich davon überzeugte, ob sie noch an ihrem Platze stand. Es machte ihm kein Vergnügen mehr, auf die Straße hinaus zu gucken und Jeden, namentlich diejenigen, welche in das Haus eintraten, zu mustern, als ob er unter ihnen irgend einen berüchtigten Spitzbuben vermuthe.

Diejenigen, welche zu seinem Miethsmanne im ersten Stock, Mr. Conover, zu kommen pflegten, hatten sich sonst seinerseits einer ganz ausgezeichneten Beobachtung zu erfreuen gehabt. Das war aber jetzt nicht so, und wenn der Präsident Lincoln selber zu Mr. Conover gekommen wäre, er hätte es nicht bemerkt. Man hörte von ihm nicht mehr sein:

»Hm, hm! da steckt etwas dahinter!«

das er fast jeder Person nachschickte, die zu Mr. Conover zu kommen pflegte.

Schlimm für ihn! Das Studium, welches sonst für ihn so interessant war, hätte gerade in dieser Zeit reichlichen Stoff gehabt, und hätte er nicht gerade in der Stunde, da wir sein Haus betraten, vor der Goldkiste gesessen, so hätte er einen ganz merkwürdigen Anblick haben können, und sein »Hm, hm! da steckt etwas dahinter!« hätte eine viel reellere Veranlassung gehabt, als irgend ein Verdacht, den er je gehegt.

Mr. Conover hatte Besuch, und zwar Besuch von einer Dame, die wir bereits schon einmal das Haus Sandford Conover's betreten sahen. Es war keine Andere, als Mary Powel.

Mr. Conover war ein scharfsinniger Kopf; wie wir wissen, Correspondent der New-Yorker Tribüne. Er hatte sich lange Zeit in Richmond aufgehalten, wo wir zuerst seine Bekanntschaft machten. Er galt bei den Rittern des Südens für einen passionirten Anhänger der Secessionisten-Partei. Er war jetzt nach dem Norden zurückgekehrt, theils, um Bericht abzustatten über seine Beobachtungen, theils, um neue Instructionen nach dem Süden mitzunehmen, und wie bereits in Richmond. so pflog er auch in Washington mit Mary Powel den freundschaftlichsten Verkehr. Er war der Einzige, der von vorn herein ihr Geheimniß wußte: er hatte ihr Vertrauen nie gemißbraucht, und ihm allein entdeckte sie die tiefsten Geheimnisse ihres sowohl von Patriotismus, als auch von Liebe glühenden Herzens.

Auch jetzt sprach sie mit ihrem Freunde von Dingen, die sie nie einem Menschen anvertraut hatte. Sie liebte Wilkes Booth mit glühender Leidenschaft, aber ihre Vaterlandsliebe ließ nicht zu, daß sie seine Pläne begünstigte. Pflicht und Neigung kämpften in ihrer Seele, und sie gebot dem stürmischen Kampfe nur dadurch Schweigen, daß sie eine scheinbare Versöhnung mit sich selbst herbeiführte.

Sie wollte den Mann nicht verrathen, den sie liebte – das wäre eine Sünde gegen ihr Herz; sie wollte aber auch zu seinen Anschlägen nicht schweigen – das wäre eine Sünde gegen das Vaterland; – allein sie wollte überall als seine Gegnerin auftreten, seine Anschläge vernichten, ohne daß die Vernichtung ihn selber träfe. Ihn selbst hätte sie mit ihrem Leben geschützt; seine Anschläge aber verdammte sie und hätte an ihre Zerstörung ebenfalls ihr Leben gesetzt.

»Sie wissen also genau, Miß Powel,« sagte Mr. Conover eben, »daß noch heute der Plan zur Ausführung kommen soll, Abraham Lincoln zu einführen?«

»Wie ich Ihnen sagte, noch heute. Mr. Atzerott hat herausgebracht, daß der Präsident auf Seward's Villa einen Besuch abzustatten gedenkt.«

»Und Sie meinen, daß der scheußliche Plan, die Pferde scheu zu machen, nicht früher, als auf der letzten Station vor Alexandria ausgeführt werden soll?«

»Auf dem Blackhouse, nicht früher.«

»Gut! So weiß ich Alles, was ich zu wissen nöthig habe.«

»Aber Sie versprechen mir noch einmal, Mr. Conover, daß·Sie nichts mehr thun wollen, als den Anschlag vereiteln?!«

»Ich verspreche Ihnen, Miß Powel, daß ich Nichts unternehmen will gegen den Mann, an dessen Sicherheit Ihnen liegt.«

»Nein, Sir, das ist mir nicht genügend; Sie dürfen gegen Niemanden denunzirend auftreten; es könnte Einer der Verräther des Andern sein!«

»Aber, Miß Powel, Sie zwingen mich zu einer argen Pflichtverletzung; Sie verlangen von mir, daß ich Leute in Freiheit lasse, welche Unheil zu verbreiten abgesandt sind, und welche vielleicht viel schlimmere Anschläge im Schilde führen, als die Gefangennehmung Lincolns.«

»Sollte etwas Anderes beabsichtigt werden, so seien Sie überzeugt, daß Sie Kenntniß davon erhalten. Alles Unheil, das durch jene Leute entstehen könnte, soll durch meine Thätigkeit verhindert werden. Mit doppelter Aufmerksamkeit und mit doppelter Pflichttreue werde ich jedes Wort, jedes Schriftstück, jedes Beginnen der Verschworenen überwachen; seien Sie unbesorgt, Mr. Conover, Ihre Pflicht ist, das Vaterland schützen zu helfen, und diese Pflicht verletzen Sie nicht, wenn Sie thun, was in Ihren Kräften steht, um Unheil vom Vaterlande abzuwenden.« –

Wenn Mr. Spangler nicht gerade über seinem Schatze gefesselt hätte, so würde er wahrscheinlich in dem Manne, der fünf Minuten später das Haus verließ, seinen Miether nicht erkannt haben.

Miß Mary Powel, welche etwa eine halbe Stunde später das Haus verließ, war aber nicht so glücklich, seinen Argusaugen zu entgehen. Er trat gerade, als sie ging, aus seiner Portier-Loge hervor und schnarrte ihr in zweideutigem Tone ein »Guten Morgen, Miß!« entgegen. »Sie waren bei Mr. Conover? – Hoffentlich befindet sich mein Miether wohl?«

»Mr. Conover war nicht zu Hause,« antwortete Mary.

»Nicht zu Hause, Miß? Ei! ich habe nicht bemerkt, daß er ausgegangen ist, und wenn er auch ausgeht, pflegt er mir doch den Schlüssel zu hinterlassen. Auch das ist nicht geschehen – Hm, dahinter muß etwas stecken!« – –

Als Mary über den Union-Place schritt, fuhr eine Equipage an ihr vorüber, welche mit zwei prächtigen englischen Pferden bespannt war. Ein Kutscher und ein Bedienter saßen auf dem Bock in einer Livree, welche weder prunkend, noch auch eine besonders feine war.

Allein Jedermann zog vor dem ältlichen Herrn, der in die Kissen zurückgelehnt saß und sich lebhaft mit dem jüngeren Manne unterhielt, der an seiner Seite Platz hatte, tief den Hut.

Der Börsenmann, dem die fallenden Papiere sicherlich Kopfschmerzen verursachten, und der Tag und Nacht an Nichts, als auf dem Spiele stehende Capitalien dachte, – er versäumte nicht, seine Berechnungen einen Augenblick zu unterbrechen und dem Manne im Wagen einen Gruß zuzuwinken.

»Guten Morgen, Sir!« – »Guten Morgen Excellenz!« – »Guten Morgen Old Abem!«

So hörte man es von allen Vorübergehenden.

Selbst der Jude und der Irländer, welche vor einer Stoa standen und über ein Geschäft sprachen, das sie heimlich mit dem Süden gemacht, und welche man, ohne gerade ein erfahrener Physiognomiker zu sein, schon in weiter Entfernung für »damned Copperheads« erkennen mußte, – auch sie konnten dem Manne die Achtung nicht versagen, obwohl sie ihn für den Feind, für den Tyrannen halten mußten, für den ihre Partei-Genossen ihn hielten.

»Dort kommt Old Abem,« sagte der Israelit, den Andern anstoßend. Und Beide wandten sich nach der Straße um, und Beide zogen die schmutzigen Mützen bis tief auf die Erde.

Lincoln's Wagen nahm die Richtung nach der Chaussee von Alexandria.


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