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Hundertfünfundzwanzigstes Kapitel.
Vertheilung der Rollen

Während Abraham Lincoln heiter und harmlos sich der Ruhe und Erholung nach den Anstrengungen der letzten Tage hingab, war das Mordcomplott emsig beschäftigt.

Während Abraham die letzte Conseilsitzung abhielt, hielt Booth mit seinen Spießgesellen ebenfalls die letzte Berathung ab!

In demselben Gemach, in welchem sie von Miß Powel belauscht worden waren, saßen sie wieder versammelt, und zwar, nachdem sie die Vorsichtsmaßregeln, welche sie vor Ueberraschung und vor Lauschern sicherten, verdoppelt hatten.

Den Vorsitz in dieser Versammlung, wie in den übrigen des Mordcomplotts führte Mrs. Surratt.

»Nachdem es also unwiederruflich feststeht,« begann diese, »daß die That geschehen muß, handelt sich's nur noch um das wie?«

»Ich sollte meinen, es handele sich nicht im mindesten um das wie? sondern lediglich um das wer?« versetzte Payne.

»Wer fallen soll?« antwortete Booth; »Der Orden nennt uns fünf Namen: Abraham Lincoln, der Vicepräsident Johnston, der Premierminister William Seward, der Kriegsminister Stanton und der Oberbefehlshaber der Vereinigten-Staaten-Armee, Grant.«

»Da kommt fast aus Jeden von uns Einer!« bemerkte O'Laughlin.

»Ich für meine Person,« versetzte Harrold, »verzichte auf den Verdienst; und wenn nicht blos hundert tausend, sondern hundert Millionen Dollars ausgesetzt wären für jeden dieser Köpfe, so würde ich doch das Geschäft zurückweisen.«

»Warum?« fragte Payne barsch.

»Weil die That ausführen und seinen Hals in die Schlinge stecken so gut wie dasselbe ist!«

»Du bist ein feiger Schurke,« entgegnete Payne; »zu morden scheutest Du Dich nicht, und wenn es sich darum handelte, einem unschuldigen Säugling den Hals abzuschneiden, Du würdest Dich nicht beunruhigen, so lange Du vor Entdeckung sicher wärest. Aber den Todfeind der Nation zu beseitigen, da nimmst Du Anstand, weil die That gefährlich ist!«

»Gefährlich? Wenn sie blos gefährlich wäre, ich würde die hundert tausend Dollars gern verdienen! Ihr wißt recht gut, daß eine bloße Gefahr mich nicht abschreckt, sonst hätte ich den Auftrag mit dem Kleidermagazin nicht übernommen. Aber, ohne Prophet zu sein, sage ich es Euch allen, die Ihr Euch mit der Geschichte einlaßt, so bestimmt voraus, wie irgend einer der alten und neuen Propheten den Untergang Jerusalems, daß von dem Augenblick der That an Eure Tage gezählt sind, daß nicht drei Tage vergehen, und Ihr liegt in City-Hall in Ketten. Ihr nennt das Feigheit; ich nenne es Vorsicht! Das Blut Abraham Lincolns und seiner Freunde wird nicht weniger Aufsehen erregen, als das des heiligen Januarius zu Neapel; die ganze Bevölkerung wird sich zusammenrotten und Euch verfolgen, wie eine Rüde Schweißhunde einen davongelaufenen Nigger, und, noch ehe ihr das Blut von Euren Händen abgewaschen habt, werdet Ihr den tausenden von Verfolgern erlegen sein!«

»Er hat Recht,« stimmte Arnold bei, indem er sich leise flüsternd an Booth wandte, »er hat Recht, Wilkes; Ihr habt hier keinen Freund in diesem Lande, Ihr seid auf Euch selbst angewiesen, und jeder Bewohner der Stadt, ja des ganzen Staates, wird Euer Verfolger werden. Thue es nicht, Wilkes, gieb den Ruhm, ein Retter des Vaterlandes zu werden, auf.«

»Du meinst es gut, George,« gab Booth eben so leise zurück, »ich danke Dir für Deine freundschaftliche Warnung. Aber Du weißt, daß mir mein Leben nicht so viel gilt, als der Tod zum Heile der Menschheit. Die Bewunderung der Nationen bis in die entferntesten Jahrtausende hinein wird mein Lohn sein, wenn ich sterbe, und ein viel süßerer Preis ist mein, wenn ich lebe!«

Booth dachte ohne Zweifel an Mrs. Cleary. Sie hatte ihm ihre Hand als Preis für die That versprochen, und Mr. Cleary hatte sich's gelobt; »Er soll sie haben.«

Hätte Booth geahnt, in wie fürchterlicher Weise Cleary sein Wort löste, vielleicht wäre er erschrocken zurückgebebt und hätte auf den vermeintlichen Märtyrerruhm verzichtet!

»Was auch Dein Schicksal sein mag, Wilkes,« erwiderte Arnold, »ich theile es mit Dir. Ich will mich zwar nicht an der That selbst betheiligen, indessen stirbst Du, so will auch ich sterben; Dein Loos sei das meinige!«

»So wäre also die Ausführung auf uns vier beschränkt?« fragte Payne.

»Das geht nicht!« entgegnete Booth »An einem Tage muß die That geschehen; die fünf Köpfe des Ungeheuers Union müssen auf einen Hieb fallen; lassen wir einen stehen, so ist so gut wie nichts gewonnen, und verschieben wir die Ausführung irgend einer der fünf Executionen, so nehmen wir uns damit überhaupt die Möglichkeit, sie je auszuführen Sind vier todt, so wird der fünfte zehnfach vorsichtig sein!«

»Ganz meine Ansicht, Mr. Wilkes,« hob Mrs. Surratt an, »und darum sage ich, es müssen fünf sein! Mr. Bob hat sich geweigert; ich sehe nicht ein, weshalb man seine Weigerung berücksichtigt; Mr. Bob gehört zum Complott und er hat unbedingt zu gehorchen. Auf diese Bibel hier« – sie deutete auf das Buch, welches sie in jeder Sitzung vor sich liegen hatte – »hat er Gehorsam dem Anführer geschworen. Es hängt also blos von Ihnen ab, Mr. Booth, ob Sie befehlen wollen.«

»Mrs. Surratt hat durchaus Recht!« stimmte Payne bei; »Die Strafe des Verräthers trifft den Ungehorsamen! Harrold ist der Mann, der zu einem solchen Geschäfte paßt, und er darf sich nicht weigern!«

Harrold grinste vor sich hin und betrachtete Payne eine Weile mit schadenfrohem Lächeln. Dann beugte er sich zu ihm herüber und sagte:

»Ich bitte mir aus, Mr. Payne, daß Sie nicht versuchen, mich zu etwas zu zwingen, was ich nicht will. Sie wissen, der Leichenschänder aus dem Elmiragefängnisse könnte möglicherweise etwas früher an den Galgen kommen, als er gerechnet hat!«

Payne biß sich in die Lippen, seine dunklen Brauen zogen sich zusammen, sein Auge schoß einen Wuthblitz auf Harrold, aber er schwieg und wagte seitdem nicht mehr, auch nur mit einer Andeutung, gegen ihn zu agitiren.

»Haben Sie sich anders besonnen, Bob?« fragte Booth.

»Da es in Ihrer Macht liegt, mich zu zwingen, Mr. Wilkes, so dürfte mir wohl meine Weigerung wenig helfen. Ich bin bereit, eine der Executionen von freien Stücken zu übernehmen, aber unter einer Bedingung.«

»Die wäre?«

»Daß man mir die Hälfte der Summe vorher anweist. Hunderttausend Dollars sind auf jeden Kopf gesetzt; Sie haben die Anweisungen von Sanders und Genossen in der Tasche. Legen Sie eine derselben, eine aus fünfzigtausend Dollars lautende, in meine Hand, und wir sind einig!«

»Oho!« fiel hier Atzerott ein, »das wäre eine Bevorzugung! Erhält Bob die funfzig Tausend vorher, so verlange ich dasselbe auch!«

»Und ich desgleichen!« fügte O'Laughlin hinzu.

»Gemeine Seelen,« murmelte Payne, »die um elenden Mammon morden, nicht fähig, sich für eine Idee zu begeistern, aber bereit, für Gold jedes Verbrechen auszuführen!«

Harrold beugte sich über die Lehne von Paynes Stuhl und flüsterte ihm ironisch lächelnd in's Ohr:

»Mr. Payne, Sie erweisen mir wohl die Freundschaft, meinen Antrag zu befürworten.«

Payne wandte sich mit Abscheu von dem Sprecher ab, allein er erkannte die Nothwendigkeit, den Mann, welcher im Besitz eines so schlimmen Geheimnisses war, nicht zu reizen.

»Thue es, Wilkes,« sagte er mit gerunzelter Stirn, »gieb ihnen, was sie verlangen, aber laß sie noch einmal auf die Bibel schwören.«

Booth folgte dem Rathe.

»Ich bin bereit,« sagte er, »die Summen auszuzahlen, sobald ein Jeder die Erklärung abgegeben hat, daß er die That, die er übernimmt, nach bestem Vermögen auszuführen gedenkt! Was zunächst mich anbetrifft, so habe ich es übernommen, das Oberhaupt der Union aus dem Wege zu schaffen; und Du, Robert?«

»Ich übernehme Seward,« antwortete dieser.

»Ha! den Kranken!« spottete Harrold. »Ein großes Heldenstück, Mr. Payne, einen Mann, welcher vor zwei Tagen Kinnbacken und Arm gebrochen, zu überwältigen!«

»Schweig!« befahl Booth; »Du kennst die Gefahr nicht! Sewards Sohn, der Major Frederick ist bei ihm; Payne hat es also mit zweien zu thun. Der Zugang zu dem Kranken ferner ist jedem Fremden durch mehrere Diener versperrt; auch diese muß Payne aus dem Wege schaffen. Payne's Aufgabe ist vielleicht die schwerste von allen!«

Dann wandte er sich wieder an Payne.

»Bedarfst Du Vorbereitungen zu Deiner Flucht?«

»Nein,« antwortete dieser; »ich bedarf Nichts, als diesen Dolch, der ja auch im Nothfalle hinreicht, mich den Händen der Häscher zu entziehen.«

»Weiter! Atzerott, wen übernehmen Sie?«

»Ich hätte es am liebsten mit Grant zu thun!«

»Und wie fangen Sie es an?«

»Grant beabsichtigte eigentlich erst morgen früh abzureisen; indessen, wie ich vernommen, wird er bereits heute Abend nach Appomattox-Courthouse zurückkehren. Ich nehme mit ihm dasselbe Coupé und tödte ihn im Eisenbahnwagen!«

»O'Laughlin,« fuhr Booth fort, »wen übernehmen Sie?«

»So werde ich Stanton nehmen!«

»Haben Sie sich überzeugt, daß Sie ihm heute Abend beizukommen im Stande sind?«

»O ja!« versetzte O'Laughlin; »er wird heute Abend einen Besuch bei Seward abstatten. Gegen acht Uhr kehrt er zurück, und auf dem Platz vor seinem Hause erwarte ich ihn. Die Bäume werfen tiefen Schatten auf den menschenleeren Platz und die verworrenen und verwahrlosten, mit Sträuchern bepflanzten Gänge begünstigen meine Flucht.«

»Also auch das wäre abgemacht! So bleibt für Sie, Bob Harrold, nur noch der Vice-Präsident Johnston übrig.«

»Mir ganz Recht, Mr. Booth!«

»Sie wissen, wie ihm beizukommen ist?«

»Ich habe mich darum nicht bekümmert; mein Entschluß ist ja noch nicht älter als zehn Minuten.«

»So werde ich es Ihnen sagen. Der Vicepräsident befindet sich heute Abend mit Abraham Lincoln im Ford-Theater. Vor Schluß des Theaters wird er höchst wahrscheinlich herauskommen, wird vielleicht in großer Hast seinen Wagen besteigen, überhaupt wird voraussichtlich gegen Ende der Vorstellung eine große Aufregung in der Nähe des Theaters herrschen. Eine große Menschenmenge ist dort versammelt! Sie können einen Dolchstoß sehr leicht ausführen und sich unter der Menge verlieren. Man wird die zunächst herumstehenden für die Thäter halten, und bevor man sich überzeugt, daß die Alle unschuldig sind, können Sie in Sicherheit sein. Natürlich verlassen wir, sobald es irgend thunlich ist, Washington wieder; aber nur nicht in auffälliger Weise! Wer seiner Sache gewiß ist, daß man ihn nicht erkannt hat, der mag sich lieber hier aufhalten, als ob nicht das geringste Bewußtsein einer Schuld ihn treffe. Merkt Euch das! Nur wem augenblickliche Gefahr droht, der begiebt sich sofort auf die Flucht. Ihr kennt jetzt Eure Aufgabe. John, Bob, Mac, hier Eure Anweisung, thut Eure Schuldigkeit, jetzt frisch ans Werk! Du, George, begiebst Dich unverzüglich zu einem Pferdeverleiher und wählst den besten Renner des Stalles aus; dann stelle Dich wieder hier ein, um meine ferneren Anordnungen zu vernehmen. Ich habe weiter nichts zu sagen.«

Er sprach diese letzten Worte mit einer Verneigung gegen Mrs. Surratt. Diese erhob sich jetzt von ihrem Sitze, ergriff mit der Rechten die Bibel, welche vor ihr lag, und sagte in feierlichem Tone:

»Jetzt, Ihr Retter des Vaterlandes, schwört. daß Ihr treu und gewissenhaft handeln wollt und nach besten Kräften ausführt, was Ihr hier versprochen. Trete ein Jeder heran, und küsse an Eides Statt das heilige Buch!«

Alle thaten es.

»So seid Ihr denn geweiht,« fuhr Mrs. Surratt in salbungsvollem Pastoraltone fort; »Gott der Herr wird seine Gesandten nicht verlassen! Ich verabschiede mich jetzt von Euch, um in die Kirche zu gehen und an heiliger Stätte für das Gelingen zu beten. Sehen wir uns wieder, so tragt Ihr die Krone der Märtyrer oder den Lorbeer der Helden! Auf Wiedersehen!«


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