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Hundertzweiundzwanzigstes Kapitel.
Der besiegte Richter

Der nächste Name, welchen Brown aus der Liste fand, war der Mr. Clearys.

Cleary trat ein, zwar bekümmert und niedergeschlagen, aber gefaßt.

»Da Sie kein öffentliches Amt bekleidet haben,« sagte Brown, so steht Ihnen der Weg, ein Gnadengesuch einzureichen, offen. Wollen Sie von der Wohlthat der Ableistung des Treueides Gebrauch machen?«

Brown that diese Frage mit einer gewissen Besorgniß; an Clearys Antwort lag ihm mehr, als dieser ahnte. Fannys Bild schwebte ihm vor, und Fannys Elend, falls Mr. Cleary den Weg, der sich ihm zu seiner Rettung darbot, nicht einschlug.

»Ich erinnere Sie daran,« versetzte Cleary in ruhigem Tone, »daß Sie damals, als wir einander das letzte Mal sahen, als ich Ihnen meine Freilassung verdankte, zu mir sagten:

»»Begegnen wir uns wieder, so begegnen wir uns als Feinde!««

»Ich darf also Ihrerseits keine milde Beurtheilung meiner Handlungen erwarten; ich verlange auch nicht, milder beurtheilt zu werden, als meine Freunde und Parteigenossen, ich trage dieselbe Schuld, wie sie. Ich war Mitglied des Ordens und Agent der Conföderation in Canada; meine Schuld ist unzweifelhaft, und mich treffe dieselbe Strafe, welche die Uebrigen getroffen.«

»Mr. Cleary,« sagte Brown, »ich rathe Ihnen, den Trotz fahren zu lassen! ich theile Ihnen mit, daß Mr. Sanders sowohl wie Mr. Tucker sich bereit erklärt haben, den Treueid zu leisten; Sie werden sich also denen gegenüber nichts vergeben.

Cleary lächelte schmerzvoll.

»Es wirft ein schlechtes Licht auf die Sache, für welche wir kämpfen, wenn die Führer ihrer Fahne so leicht den Rücken wenden. Ich habe aus innerer Herzensüberzeugung für die Sache der Conföderation gestritten; man hat mir sehr oft allzu große Nachgiebigkeit, ja Schwäche, vorgeworfen; der Vorwurf war nicht ungerecht. Doch bin ich nicht so schwach, um die Partei, der ich Glück und Vermögen geopfert, durch Ableistung dieses Treueides zu verrathen!«

Auf Browns Gesicht malte sich immer größere Besorgniß. Er konnte nicht umhin, Cleary's Gesinnung zu schätzen; die Wankelmüthigkeit, welche er an Sanders und Tucker herzlich verachtet hatte, war es, zu welcher er Cleary überreden wollte.

Er schickte seine beiden Schreiber hinaus mit der Erklärung, daß er mit dem Angeklagten allein zu sein wünsche. Als dieselben das Gemach verlassen hatten, stand er auf und näherte sich dem Angeklagten.

»Mr. Cleary,« sagte er, »es mag Sie Wunder nehmen, daß ich mich so warm für Sie interessire; indessen flehe ich Sie an, ich beschwöre Sie, leisten Sie den Treueid, und Sie sind noch heute frei!«

»Bemühen Sie sich nicht vergeblich! Ich mag nicht mit einem Elenden, wie Tucker, in dieselbe Kategorie gebracht sein, oder mit einem Feigling, wie Sanders!«

»Thun Sie es um Ihretwillen.«

»An meiner Freiheit liegt mir nicht viel; mein Vermögen ist geopfert; ich kann der Sache wenig mehr nützen.«

»Um Ihres Kindes, um Ihrer Freunde willen beschwöre ich Sie, leisten Sie den Treueid!«

»Ich danke Ihnen, Herr Obrist, für Ihre Theilnahme, allein mein Entschluß steht fest; ich will mit der Conföderation stehen und fallen.«

»Fühlen Sie eine Pflicht des Dankes gegen mich?« fuhr Brown fort, immer eifriger in ihn dringend.

»Sie haben mir einmal das Leben und einmal die Freiheit gerettet; Sie haben meinen Dank zurückgewiesen, jedoch habe ich nie aufgehört, in meinem Herzen Dankbarkeit und Hochachtung für Sie zu fühlen.«

»So thun Sie es um meinetwillen, Mr. Cleary?«

»Ihretwillen?«

»Ich will es Ihnen gestehen, soeben lag Ihr Kind vor meinen Füßen; der Anblick hat mich erschüttert bis in's Herz. Der Eindruck war so mächtig und unwiderstehlich, daß ich zum Aeußersten entschlossen bin, wenn Sie bei Ihrer Weigerung beharren.

»Zu was sind Sie entschlossen?«

»Sie frei zu geben!«

Cleary blickte ihn verwundert an.

»Ich hätte kaum vorauszusetzen gewagt, daß Sie sich einer Verletzung Ihrer Pflicht schuldig machen könnten,« versetzte er dann.

»Indem ich Sie frei gebe, Mr. Cleary, mache ich mich zugleich unwürdig des Vertrauens, das man in mich setzt, und unwerth, eine Stellung einzunehmen, wie ich sie jetzt inne habe.«

»Ich kann mir vorstellen,« versetzte Cleary, »daß es für Sie ein schlimmes Dilemma sein mag, in das Sie gerathen. Ihr weiches Gemüth, das Ihnen so viel Ehre macht, kämpft mit Ihrem Pflichtgefühl; erlauben Sie mir, daß ich Ihnen über diese Klippe hinweg helfe.«

»Es giebt keinen andern Weg, als den, daß Sie den Treueid leisten!«

»O, doch! überlassen Sie mich meinem Schicksal; dictiren Sie mir dasselbe Loos, wie meinen Parteigenossen.«

»Sie wollen es!« keuchte Brown.

Die Protokollführer und der wachthabende Officier traten ein.

»Sie sind entlassen, Mr. Cleary,« sagte Brown, nach Fassung ringend; »Sie sind frei! Ich habe Ihr Ehrenwort, Sie werden für den Fall, daß Sie sich den hiesigen Gerichten bei einer Vorladung nicht stellen wollen, sondern ins Ausland gehen, nie wieder den Boden Ihres Vaterlandes betreten.«

Cleary's Antlitz drückte das höchste Erstaunen aus. Hörte er recht? Der Obrist, der noch soeben das Verwerfliche einer solchen Handlungsweise selber in so crassen Zügen geschildert, beging diese Pflichtverletzung? Er zögerte zu gehen.

»Sie sind frei!« wiederholte Brown in festem Tone; »Herr Lieutenant, Sie haben wohl die Güte, Mr. Cleary einen Paß auszufertigen mit dem Bemerk: Auf Ehrenwort entlassen.«

Kopfschüttelnd fast betrübt verließ Cleary das Gemach.

Der Protokollführer reichte dem Obristen von Neuem die Liste hin; dieser aber schob sie bei Seite.

»Ich werde das Verhör nicht fortsetzen,« sagte er in dumpfem Tone.

Dann nahm er ein Blatt Papier und schrieb, faltete und versiegelte es und übergab es dem Adjutanten.

»Bringen Sie das zum General Weitzel; ich erwarte umgehend Antwort.«

Als das geschehen war, erhob er sich, schrieb fast mechanisch seinen Namen unter die Protocolle und entfernte sich.

In seinem Privatzimmer warf er sich erschöpft in einen Sessel.

Noddy konnte sich die Veränderung, die mit dem Obristen vorgegangen, nicht erklären.

»Was ist Ihnen, Herr Obrist?« fragte er, theilnehmend sich ihm nähernd.

»Eurem Wunsche ist genügt,« antwortete Brown mit hohler Stimme; »Fanny hat den Vater zurück und Du den Freund; Cleary ist frei; er ist frei!«

»O Dank, Dank! Herr Obrist!«

»Herr Obrist!« wiederholte Brown mit eigenthümlichem Lachen; »in dieser Rolle habe ich ausgespielt, lieber Noddy! So eben habe ich dem General Weitzel mein Abschiedsgesuch eingereicht und erwarte die Bestätigung desselben noch diesen Nachmittag.«

»Und das Opfer, Edward, brachtest Du mir!?« rief Noddy.

Brown schüttelte den Kopf.

»Nicht Dir, Noddy; ich brachte es ihr!«

*

Wenige Tage nach den erzählten Ereignissen erhielt die Rebellion ihren Todesstoß durch die Capitulation Lee's.

Grant hatte es, wie wir erwähnten. verschmäht, unter Pomp und Jubel in die eroberten Städte einzuziehen. Ihm lag viel mehr daran, den fliehenden Gegner zu vernichten.

Durch Petersburg hindurchmarschirend und Richmond vermeidend ging es frisch an's Werk der Verfolgung Er wußte, daß es für seinen Gegner nur einen Weg zum Entschlüpfen gäbe, und dieser mußte um jeden Preis versperrt werden.

Es war der Weg nach Danville, wo Lee, wenn er letztern Ort erreichte, wenigstens Aussicht haben würde, eine Vereinigung mit dem Heere Johnston's zu bewerkstelligen.

Von Chesterfield, wo Lee stand, führt die Danville-Bahn südwestlich nach dem Zielpunkt des Rebellenhäuptlings. Erreichte er dies Ziel, bevor Grant sich dort zeigte, so war er entkommen. Auf diesen Punkt waren daher die Bestrebungen beider Heere gerichtet.

Sheridan, der seinen Reitern nur wenige Stunden Rast gegönnt, ritt an dem Flußufer südlich vom Appomatox hinab, in der Hoffnung, dem Feind schon da vorauszukommen, wo die Danville-Bahn über den genannten Fluß geleitet ist.

Die Armee des Potomac folgte langsam nach.

Schlimme Tage waren dies für die braven Jungen des Unionsheeres!

Lange Tagemärsche mit nur dürftigen Rationen: angefeuert durch die sichere Aussicht, Lee zuvorzukommen, gestählt durch das Bewußtsein, daß die Einholung auch seine Vernichtung nach sich ziehen würde, vielleicht ein letzter Kampf, und Friede und Rückkehr in die Heimath, das Wiedersehen von Freunden und Verwandten, das war es, was sich die heldenmüthigen Burschen sagten, und wodurch sie ihren müden Gliedern immer neue Kraft gaben!

Mit schwerem Tornister beladen, fort von dem Felde, auf welchem der Kampf kaum beendet, fort gen Westen in einem Wettlaufe mit dem leichtfüßigen Feinde, über grundlose Straßen durch Moräste und Flüsse, hungernd, dürstend, durchnäßt und auf den Tod ermüdet, sich auf den kalten Boden werfend, wo der Befehl zum Halt gegeben wurde, um den so sehnlich erwünschten Schlaf zu finden; Morgens wieder vorwärts, weiter mit leerem Magen, ohne Aussicht auf baldigen Halt, aber immer freudig vorwärts auf's Commando, mit wankendem Schritte, aber mit eisenfestem Herzen – so war der Marsch der Heere am James und Appomatox, so die Verfolgung der Rebellen unter Lee beschaffen!

Der dritte Tag ist da.

Sheridan ist zu spät gekommen, um dem Feind die Eisenbahnbrücke über den Appomatox abzubrechen. Doch auf Seitenwegen ihm nacheilend langt er vor ihm bei Jettersville an.

Ungestüm, wie immer, wirft er sich auf die Vorhut Lee's und treibt ihn zurück bis nach Amalia.

Hier, zwischen Jettersville und Amelia, war Lee eingeschlossen.

Von hier schrieb Sheridan die erste Depesche, mit der er die Nation electrisirt, indem er darin seine Ueberzeugung ausspricht, daß, wenn das Ding energisch betrieben würde, das ganze Heer Lee's aufgehoben werden könne.

Hier ist es, wo Grant gegenüber der verlorenen Lage, in welcher sich sein Gegner befindet, die erste Aufforderung an ihn ergehen läßt, die Waffen zu strecken.

Der noble, männliche Ton, in welchem sein Brief gehalten, soll Lee tief ergriffen haben, denn er fühlte nur zu gut, daß die Wunden, welche er dem Norden geschlagen, ihn nicht zu der Rücksicht berechtigten, die Grant ihm in Aussicht stellte.

Aber der hartnäckige Rebell schlägt das Anerbieten aus. Er hofft, daß eine List ihn rette.

Kaum aber bewegt er sich, so sind auch die Unionsstreiter im Sattel, und die Infanterie folgt ihm, wie eine hungrige Meute.

Es war am Sonnabend vor Palmsonntag. Der Abend bricht an, als Lee seine Massen zum letzten Verzweiflungskampfe ordnete. Er glaubt nur Cavallerie vor sich zu haben, und diese, weiß er, kann er durchbrechen.

Aber er weiß nicht, daß auch die Infanterie ihm bereits auf dem Nacken sitzt.

In der Dämmerung giebt er den Befehl zum Angriff.

Noch einmal erschallt der Kriegsruf des Südens, noch einmal fühlen die Leute Lee's sich zur Thatkraft geweckt. Blind stürmen sie heran, und – wie ein Schattenbild weicht die Cavallerie vor ihnen zurück.

Aber hinter ihrer Front erheben sich die erprobten Männer von Grants Infanterie, stehen in langen, tiefen Linien, wie aus dem Boden gewachsen, plötzlich vor den Sturmcolonnen des Feindes, empfangen sie mit einem schmetternden Feuer, benutzen ihr Erstaunen, ihren Halt, um sich auf sie zu werfen mit dem Bajonnet und dann – stiebt die ganze Phalanx der Rebellen, die letzte Hoffnung des Südens auseinander.

Ein jäher Schreck hat sie ergriffen, und kein Commando vermag sie mehr in Reihe und Glied zu bringen.

Es war der letzte Kampf.

Als die Schatten der Nacht sich auf das Schlachtfeld lagern, weiß Lee, daß ihm jede Rettung abgeschnitten ist. Zum letzten Male hat sein Commandowort das Heer von Virginien geleitet.

Am Palmsonntage war es, wo die Generäle Grant und Lee im Hauptquartiere des Ersteren zu Appomatox-Courthouse zusammenkamen, um die Bedingungen der Capitulation zu berathen.

Vierunddreißigtausend Mann streckten die Waffen; die Kranken und Verwundeten nicht eingerechnet.

Noch denselben Palmsonntag erreichte die Freudenbotschaft Washington und fuhr wie ein electrischer Funke durch alle Gemüther. Der Jubel in den Vereinigten Staaten von der äußersten Grenze des Nordens bis zu dem Schlachtfelde hin, da die Hyder den letzten Athem ausgehaucht hatte, war endlos und unbeschreiblich.

Die Freiheit gerettet, der Friede eingekehrt!« der Gedanke beseligte und begeisterte jeden Bürger der Republik.


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