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Hunderteinunddreissigstes Kapitel.
Im Parlour des Boardinghauses

In derselben Stunde, da Mr. Conover die Bürger Washingtons aufrief, den Ermordeten an seinen Mördern zu rächen, fand die Vernehmung Harrolds statt.

Feige, wie er war, ward er bald zu dem Geständniß bewogen, daß er von Wilkes Booth gedungen sei. Auch der Name der Mrs. Surratt wurde von ihm genannt. Von den übrigen Verschworenen schwieg er.

Dies Geständniß konnte den Behörden nur wenig helfen.

Wilkes Booth war entkommen, und da man den Weg nicht kannte, den er genommen, so stieß seine Verfolgung auf manche Schwierigkeiten.

Nach allen Richtungen hin entsandte man Verfolger; bis in die entferntesten Theile des Landes trug der Telegraph den Namen und das Signalement des Mörders.

Das Haus der Mrs. Surratt war den Behörden bereits bekannt. Der Major von Schleiden bewachte dasselbe, wie ein Cerberus den Eingang zur Hölle.

Der Morgen kam.

Niemand trat in das Haus ein. Das Signalement des Mannes, welcher den Mordanfall auf den Staatssecretair ausführte, wurde ihm überbracht, aber auch dieser ließ sich nicht sehen. Als der Tag anbrach hatte die Besetzung des Hauses etwas Mißliches.

Schleiden schlug deshalb einen andern Weg ein, um sich der Mörder zu versichern.

In Begleitung des Polizeichefs, beide verkleidet wie Commissionäre, welche mit einander ein Geschäft abzumachen haben, begab er sich in das Haus.

Sie nahmen an einem Tische im Parlour Platz, bestellten ein Frühstück, zogen ihre Brieftaschen hervor und begannen ein unverfängliches Gespräch über den Stand dieses und jenes Papieres, und stellten sich, als ob sie beabsichtigten, irgend einen Kauf, etwa den eines Terrains Oelländereien, abzuschließen.

Je höher der Tag hinaufstieg, desto mehr Gäste sammelten sich im Parlour.

Es waren meist Arbeiter, welche theils an ihre Geschäfte gingen, theils zusammenkamen, um das eine große Ereigniß, welches jetzt alle Gemüther beschäftigte, zu besprechen.

Ein Boardinghaus ist um die Frühstücksstunde ein Sammelplatz der verschiedensten Leute.

Obgleich das Etablissement der Mrs. Surratt nur den einen Zweck hatte, den Verschworenen ein unverdächtiger Versammlungsort zu sein, so durfte doch, gerade um diesen Zweck nicht zu verfehlen, anderes Publicum vom Besuche des Etablissement nicht ausgeschlossen sein.

Mrs. Surratt war eine Frau der höheren Stände, eine Frau, welche nicht nur ihr Vermögen, sondern auch ihren angeborenen Hochmuth und ihre Eitelkeit der Sache der Sclavenhalter opferte. Sie hatte ihren Rang, nach welchem sie den ersten Ständen in den Südstaaten angehörte, aufgegeben, um in der unscheinbaren Eigenschaft als Wirthin eines Boarding-Hauses der Sache des Südens zu dienen.

Auch ihre Tochter, wie wir wissen, theilte diesen Fanatismus und sie, die am Hofe des Rebellenpräsidenten in so intimen Beziehungen zu Mistreß und Miß Davis gestanden, sie, welcher die Cavaliere des Südens als einer äußerst einflußreichen jungen Dame den Hof gemacht hatten, sie versah hier die niedrigen Dienste einer Kellnerin.

Das Parlour war so belegen, daß man vom Buffet aus Jeden in das Haus Eintretenden sehen konnte. Selbst diejenigen, welche nicht, um zu speisen, dahin kamen, sondern welche daselbst Wohnung hatten, mußten an der stets offenen Thür des Parlour vorüber.

Schleiden und der Polizeichef hatten wohl eine Stunde über dem fingirten Kaufe von Oelländereien zugebracht, und Miß Mary Surratt machte ein höchst verdrießliches Gesicht, als die Herren bald dies bald das bestellten, und sie unablässig zu dem ihr widerwärtigen Kellnerdienst zwangen.

Die Dame vom Hause thronte hinter dem Buffet.

Sie hatte ihre guten Gründe, nicht all zu viel Personal in ihr Haus zu nehmen; denn bei einer so gefährlichen Sache, wie ein Mordcomplott, ist ein Mitwisser mehr, stets auch eine Gefahr mehr.

Mrs. Surratt musterte jeden Eintretenden scharf und prüfend, und ihr Blick traf auch mehr als einmal die in der Nähe des Buffets sitzenden Commissionäre.

Die Verkleidung des Polizeichefs war eine vorzügliche; sie kannte ihn persönlich, aber hinter dieser Maske hätte sie ihn nicht vermuthet.

Dem erfahrenen Polizeimann entging die mißtrauische Beobachtung der Wirthin durchaus nicht. Er wußte aber ein etwa auftauchendes Mißtrauen auf die unbefangenste Weise zu beseitigen.

So oft ihn einer der durchbohrenden Blicke ihrer lauernden grauen Augen traf, bot er für das Oelland, das Mr. Schleiden angeblich zu verkaufen hatte, sofort tausend Dollars mehr, und das mit solcher Ostentation und mit so viel Geräusch, daß nicht nur die Boarding-Wirthin, sondern auch alle im Zimmer Anwesenden darauf hätten schwören müssen, der Mann hat nicht nur die reellsten Absichten, das Oelland zu kaufen, sondern ist auch ein Mann, der die nöthigen Mittel dazu besitzt, und dabei stolz darauf ist, ein reicher Mann zu sein.

Weder das Frühstück, noch das Geschäft hielt die beiden Männer ab, jeden Eintretenden vom Kopf bis zur Zehe zu mustern, aber es war Keiner unter den Eintretenden, auf welchen eins der Signalements, die sie in Händen hatten, gepaßt hätte.

Jedesmal, wenn ein neuer Gast eintrat, und der Polizeichef durch einen zwar schnellen, aber sehr scharfen Blick sich überzeugt hatte, daß es Keiner der Gesuchten sei, flog eine leichte Wolke des Unmuthes über seine Stirn; ein unmerklicher Wink, und ein leichtes Kopfschütteln unterrichteten Schleiden, daß nichts Auffälliges an der betreffenden Person sei.

Diese Manövres, wenn sie überhaupt von Einem der Anwesenden bemerkt wurden, konnten nicht auffällig erscheinen.

Ein Blick auf jeden Eintretenden und Vorübergehenden war ja so natürlich, und ein Kopfschütteln eines Käufers, an welchen man übermäßige Forderungen stellt, ist auch eben nichts Verdächtiges.

Es schlug neun Uhr.

Der Raum des Parlour war mit Menschen eng angefüllt. An jedem Tische sprach man von dem Doppelmord, der diese Nacht begangen. Man fluchte den Mördern, gelobte ihnen alle möglichen und unmöglichen Todesarten, wenn man sie zufällig irgend wo attrapire.

Jeder Einzelne schwur hoch und theuer, daß er nicht ruhen werde, bevor man die Verbrecher aufgefunden. Andere stellten wieder Andrew Johnson, dem bisherigen Vicepräsidenten, jetzigen Präsidenten die entschiedene Perspective auf den Galgen, wenn er irgend ein Mittel unversucht lasse, um dem scheußlichen Complott auf die Spur zu kommen.

»Ihr habt gehört,« rief ein breitschultriger Grobschmidt, der für heute seine Schmiede geschlossen hatte, um sich keine Minute der wichtigen Tagesfrage zu entziehen, und deshalb in seinem Arbeitsanzuge im Boardinghaus erschienen war; »Ihr habt gehört, was Mr. Conover uns gesagt hat auf dem Union-Place, wer die Mörder sind. Wenn ich einen Hund sagen hörte: Es geschah Old Abem recht! – mit dieser meiner Faust schlüge ich ihm den Hirnschädel ein!«

Er producirte bei diesen Worten das Instrument welches in der That für einen derartigen Verbrecher ein bedenkliches Volumen hatte, und wenn diese Faust auch nur halb so schwer auf den Schädel des Betreffenden gefallen wäre, als sie zur Bekräftigung seiner Worte auf den Tisch fiel, so wäre das schon mehr als genügend gewesen, um die Drohung nicht als bloße Phrase erscheinen zu lassen.

Der Schmied that einen fürchterlichen Zug aus seinem Punschglase, stemmte dann die beiden aufgestreiften Arme auf den Tisch und blickte in der Runde umher, als ob er Jeden herausfordere, der etwa eine ähnliche Aeußerung zu thun beabsichtige. Es fand sich aber Niemand zu einer solchen Aeußerung bewogen. In dieser Zeit hätte selbst der exaltirteste Anhänger des Südens nicht gewagt, auch nur durch eine Miene anzudeuten, daß er mit der That einverstanden sei.

»So ist's recht, Meister!« pflichtete dem Sprechenden ein Anderer bei, ein hochaufgeschossener Mann mit langem, dünnem Halse, mit langen, dünnen Beinen, dünner Stimme, dünnem Haar und dünnem Bart. »Meine Faust ist freilich nicht so stark, als die Ihrige, aber ich bin Friseur, Sir! Und wenn von diesen Democraten-Canaillen Einer käme und wollte sich rasiren lassen, und er sagte: »»Es ist gut, daß der Mörder entkommen ist!«« ich schnitte ihm nicht den Bart, sondern den Hals ab!« –

Noch immer kamen und gingen Gäste, ohne daß die beiden Beamten Veranlassung gehabt hätten, gegen irgend Jemand Verdacht zu hegen.


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